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News: Kuscheln statt Sex

Hundert Männchen umschlingen ein Weibchen. Was aussieht wie eine wilde Orgie, ist in Wahrheit nur die Suche nach Nähe - und die Angebetete in der Mitte ist auch gar nicht weiblich, sondern ein verschlafenes Strumpfbandnatter-Männchen, dem es für heiße Flirts noch viel zu kalt ist. Es hat nur eines im Sinn: eine lebende Wärmflasche aus Artgenossen, die es gleich auch noch vor den gierigen Blicken hungriger Krähen schützt.
Strumpfbandnatter
Der April ist auch in Kanada noch recht frisch: Bodentemperaturen von weniger als zehn Grad sind normal. Wenn eine Rotseitige Strumpfbandnatter (Thamnophis sirtalis parietalis) nun nach acht Monaten Winterschlaf so langsam wieder zu sich kommt, dann ist ihr vor allen Dingen eines: kalt. Zwar blinzeln die ersten Sonnenstrahlen schon durchs Geäst, aber für die müden und trägen Gesellen reicht das nicht aus, um den Kreislauf schnell auf Touren zu bringen. Für ein gemächliches Auftauen ist das Leben in freier Wildbahn allerdings viel zu gefährlich, denn hungrige Krähen lauern überall. Und außerdem ziehen die Letzten den Kürzeren beim großen Frühlingsabenteuer, das nun vor ihnen liegt – dem erfolgreichen Werben um eine Braut.

Was tun? Sich als Weibchen tarnen und kuscheln, lautet die Empfehlung Rick Shines von der University of Sydney und seinen Kollegen. Denn die schon etwas wacheren, liebestollen Artgenossen schlingen sich in Knäueln von bis zu hundert Tieren um ihre Angebetete. Da fällt es gar nicht auf, wenn im Zentrum nicht das begehrte Weibchen sitzt, sondern ein frierendes Männchen, das nur so tut als ob.

Schon länger ist bekannt, dass männliche Tiere kurz nach dem Aufwachen über ihre Haut weibliche Pheromone abgeben. Bisher dachten Forscher allerdings, die noch geschwächten Schlangen wollten sich damit einen Vorteil im Kampf um ein Weibchen verschaffen, indem sie konkurrenzstärkere Artgenossen in die Irre führen und selbst eine kräfteraubende Balz vermeiden. Aber vielleicht ist die Erklärung eben viel einfacher, und die Schlaftrunkenen suchen nur eine lebende Wärmflasche.

Zum Überprüfen ihrer Annahme rückten Shine und seine Mitarbeiter den Reptilien mit Thermometern zu Leibe. Sie setzten mit Sensoren beklebte, vier Grad kalte Weibchen allein und zusammen mit liebeshungrigen Männchen in Terrarien ins Freiland. Das Wandeln auf Freiersfüßen macht die Tiere im wahrsten Sinne des Wortes "heiß" – sie sind in der Regel wärmer als 25 Grad. Eng von ihren Bewerbern umschlungen ließen sich die Schlangendamen gern davon anstecken, schneller als ihre nicht umworbenen Artgenossinnen kletterte auch ihre Temperatur auf 20 Grad. Und dass es sich dabei nicht um deren eigenes inneres Feuer der Liebe handelte, wiesen die Forscher an toten Tieren nach, die sich in solchen Paarungsknäueln ebenfalls rascher aufheizten.

Das bisschen Wärme beschleunigt auch deutlich die Rückkehr vom Pseudoweibchen ins normale Männerdasein. Denn frisch erwachte Exemplare, die sich anschließend bei molligen Temperaturen räkeln durften, verloren ihre Attraktivität für paarungsfreudige Männchen viel schneller als ihre Artgenossen, die sich erst einmal mit frostigen zehn Grad im Terrarium begnügen mussten: Als die Forscher die Tiere am Schwanz ins Balzrevier hielten, zeigten die dortigen Männchen immerhin fünf Stunden Interesse für die kalten Genossen, während sie die warmen Brüder schon nach drei Stunden links liegen ließen.

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