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Pandemie: Laborunfall als Ursprung des Coronavirus unwahrscheinlich

Die Coronavirus-Spur führt zu Fledermäusen, die Weltgesundheitsorganisation WHO glaubt nicht an einen Laborunfall. Das zeigt ein Bericht. Doch Antworten auf die wichtigsten Fragen fehlen weiterhin. Die Suche muss weitergehen.
Menschen mit Masken sind am 5. Februar 2021 in der Nähe des Bahnhofs Hankou in Wuhan City, Provinz Hubei, China.

Einen Monat lang hatte ein Team der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach dem Ursprung des Coronavirus Sars-CoV-2 gesucht. Die Spur führt allen Erkenntnissen nach zu Fledermäusen. Einen Laborunfall halten die WHO-Experten für »extrem unwahrscheinlich«, wie sie am 9. Februar 2021 auf einer Pressekonferenz in Wuhan, China, mitgeteilt haben.

Laut dem WHO-Team wurde Sars-CoV-2 höchstwahrscheinlich zuerst von einem Zwischenwirt auf den Menschen übertragen. Das entspricht der führenden Hypothese unter Forscherinnen und Forschern. Doch das Team stellte noch zwei weitere Hypothesen vor, die die chinesische Regierung aus politischen Gründen unterstützt: Es wäre möglich, dass das Virus oder sein jüngster Vorfahre von einem Tier außerhalb Chinas stammt und dass der Erreger, sobald er in Menschen zirkulierte, sich über gefrorene Wildtiere und andere kalt verpackte Waren auf andere verbreitet haben könnte. Chinesischen Medien haben das stark propagiert.

Außenstehende bewerten die Untersuchungsergebnisse der WHO unterschiedlich. Es gebe noch immer viel zu tun, sagt Angela Rasmussen, eine Virologin an der Georgetown University in Seattle, Washington. »Wichtig ist aber, dass dies den Grundstein für eine längere Untersuchung in Zusammenarbeit mit der chinesischen Regierung legt«, sagt sie.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

WHO will Hinweise auf coronakontaminierten Fisch und Fleisch haben

Dem Team gehören 17 Forscher aus China und 17 internationale Wissenschaftler an. Einigen Forschern zufolge haben sie relevante Fragen gestellt und auf große Datenmengen zugegriffen. »Es scheint, dass das WHO-Team und seine chinesischen Mitarbeiter mit Bedacht vorgehen, die verfügbaren Daten angemessen abwägen und mit den richtigen Leuten sprechen«, sagt David Robertson, ein Virologe an der University of Glasgow, Großbritannien. Robertson hofft, dass genauere Details in dem anstehenden Untersuchungsbericht zu lesen sein werden.

Andere Wissenschaftler halten dagegen. Sie sagen, es fehlten eindeutige Beweise des Teams für einige der präsentierten Schlussfolgerungen. Die Ergebnisse änderten nichts an der bestehenden, weit verbreiteten Ansicht, dass das Virus von Tieren stammt, sagte etwa Nikolai Petrovsky, ein Immunologe an der Flinders University in Adelaide, gegenüber dem Australian Science Media Centre. Petrovsky sagt weiter, dass es nur begrenzte Belege für die Idee gibt, dass die frühe Übertragung in China mit dem Transport von gefrorenen Waren wie Fleisch verbunden war, »abgesehen von relativ schwachen Daten, die bereits öffentlich sind«. Er räumt jedoch ein, dass das Team Zugang zu bislang unveröffentlichten Informationen haben könnte.

»Ob uns nun alles gezeigt wurde? Das kann man nie wissen«
Dominic Dwyer, medizinischer Virologe

Es gebe einige Hinweise darauf, dass sich das Coronavirus auf kontaminiertem Fisch und Fleisch auf chinesischen Märkten verbreitet haben könnte, sagt wiederum Dominic Dwyer, medizinischer Virologe an der New South Wales Health Pathology in Sydney und Mitglied des WHO-Teams. Weitere Details wären in dem kommenden schriftlichen Bericht zu finden.

Das WHO-Team hat während seiner Besuche nichts gesehen, was auf einen Laborunfall hindeutet. Peter Ben Embarek, ein Wissenschaftler für Lebensmittelsicherheit, der die WHO-Mission leitet, sagte, man habe ausführliche Gespräche mit Mitarbeitern des Wuhan Institute of Virology (WIV), das im Mittelpunkt dieser Spekulationen stand, und anderen virologischen Labors in Wuhan geführt. Ein Leck sei auch deshalb unwahrscheinlich, weil das Virus den Wissenschaftlern vor Dezember 2019 nicht bekannt war.

»Ob uns nun alles gezeigt wurde? Das kann man nie wissen. Die Gruppe war nicht darauf ausgelegt, eine forensische Untersuchung der Laborpraxis durchzuführen«, sagt Dwyer.

Frühe Wuhan-Fälle sollen Klarheit bringen

Die Untersuchung bietet mehr Einblick in das, was in Wuhan geschah, sagt Jason Kindrachuck, ein Mikrobiologe an der University of Manitoba, Kanada. Aber die Kluft zwischen dem Laborleck und der Theorie des »natürlichen Ursprungs« sei tiefer geworden, als die Pandemie sich ausbreitete und politisiert wurde, sagt er. Noch sei die Debatte nicht beendet.

Das WHO-Team hat sich auf die frühen Tage des Ausbruchs in Wuhan konzentriert, wo erstmals im Dezember 2019 Fälle einer »viralen Lungenentzündung« gemeldet worden waren. Die Forscherinnen und Forscher versuchten, den Zeitpunkt der ersten Infektionen dort festzulegen. Das WHO-Team überprüfte, ob es Aufzeichnungen zufolge in Stadt und Provinz ungewöhnliche Schwankungen bei grippeähnlichen Erkrankungen und schweren Atemwegsinfektionen, Apothekeneinkäufe für Erkältungs- und Hustenmedikamente sowie Sterblichkeit und Todesfälle speziell im Zusammenhang mit Lungenentzündung in der zweiten Jahreshälfte 2019 gegeben hatte. Außerdem untersuchten sie retrospektiv rund 4500 Patientenproben auf Sars-CoV-2-RNA und analysierten Blutproben auf Antikörper gegen das Virus. Basierend auf diesen Analysen fanden die Forscher keine Hinweise darauf, dass das Virus vor Dezember 2019 in der Stadt zirkulierte.

Dennoch könne das Virus zu diesem Zeitpunkt bereits gut in der Gemeinde etabliert gewesen sein, sagt Dwyer. Die Analyse des Teams basierte auf begrenzten Daten und einem Überwachungssystem, das nicht darauf ausgelegt war, ein Virus zu erfassen, das sich lautlos ausbreiten könnte. Um richtig einschätzen zu können, ob der Erreger schon vor Dezember 2019 auftrat, müssten die Forscher verfolgen, was in der weiteren Gemeinschaft geschah, nicht nur in den Gesundheitseinrichtungen, sagt er weiter.

Falls Sars-CoV-2 aus einem Tier stammt – aus welchem?

Der tierische Ursprung gilt als der wahrscheinlichste. Welche Tierart das Virus an Menschen weitergegeben haben könnte, ist jedoch unklar. Ben Embarek sagt, dass chinesische Forscher viele Haus-, Nutz- und Wildtiere im Land getestet haben, aber keine Beweise dafür gefunden haben, dass das Virus in diesen Spezies vorhanden war oder weiter zirkuliert.

Das WHO-Team empfiehlt, die Untersuchungen in Wuhan und den umliegenden Gebieten fortzusetzen, insbesondere um die frühesten Fälle aufzuspüren, die helfen könnten zu verstehen, wie die Pandemie begann. Es gelte, ältere Proben aus Blutbanken in der Provinz und anderen Gebieten zu analysieren. Auch seien mehr Studien notwendig, um die mögliche Rolle von gefrorenen Wildtieren bei der Virusübertragung besser zu verstehen. Zu klären ist weiterhin, ob Menschen über diesen Weg infiziert werden können. Umfangreiche Tests von Tieren, die als Virusreservoir dienen könnten, seien ebenfalls erforderlich, sagte die Gruppe.

Außenstehende sagen, der Rat des WHO-Teams, die Suche nach dem Ursprung des Virus über China hinaus auszuweiten, sei gerechtfertigt. Insbesondere angesichts neuer Berichte über Coronaviren, die eng mit Sars-CoV-2 verwandt sind und in Fledermäusen in Japan, Kambodscha und Thailand gefunden wurden.

In einer Studie, die am 9. Februar 2021 im Magazin »Nature Communications« veröffentlicht wurde, berichten Wissenschaftler über den Fund eines neuen Coronavirus, dem sie den Namen RacCS203 gegeben haben, in Fledermäusen (Rhinolophus acuminatus), die im Juni in einer Höhle im Osten Thailands gefangen wurden. Das Virus teilt 91,5 Prozent seines Genoms mit Sars-CoV-2. Obwohl es nicht der engste bekannte Verwandte des Pandemievirus ist, zeigt der Befund, dass derzeit eng verwandte Viren in Südostasien zirkulieren. Es lohne, weiter in der Region zu suchen, sagt Linfa Wang, ein Virologe an der Duke-National University of Singapore Medical School, der die Studie geleitet hat.

Die gefrorenen Fledermausproben, die in Kambodscha und Japan gelagert wurden, bargen mehrere andere Coronaviren, die eng mit dem Pandemievirus verwandt sind. Außerdem haben Teams in den vergangenen 15 Jahren umfangreiche Proben von Fledermäusen in China genommen. Das hat dazu beigetragen, RaTG13 in Rhinolophus affinis zu identifizieren. Es ist das engste mit Sars-CoV-2 verwandte Virus, das bislang bekannt ist. Die Genome der Viren decken sich zu 96 Prozent. »Wenn wir den gleichen Aufwand in Südostasien betreiben, werden wir vielleicht noch mehr eng verwandte Viren finden«, sagt Wang.

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