Geoengineering: Lässt sich das schwindende Meereis in der Arktis wieder einfrieren?

Feine Eiskristalle hängen in der Luft und erzeugen eine Art Heiligenschein um die tiefstehende Sonne, als an einem Morgen im Februar 2025 im hohen Norden Kanadas drei Schneemobile über das Meereis jagen. Schneeverwehungen tänzeln über die weiße Fläche. Es ist minus 26 Grad Celsius kalt, als das Team des britischen Unternehmens Real Ice die Ortschaft mit dem Namen Cambridge Bay verlässt. Das Inuit-Dorf liegt inmitten eines weiten Archipels aus kahlen Inseln und zugefrorenen Kanälen. Minus 26 Grad gelten hier als mild – immerhin liegt die Temperatur damit 6 Grad Celsius über dem Durchschnitt. Es ist der wärmste Winter seit 75 Jahren.
Noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen gab es weniger Meereis auf dem Arktischen Ozean. In spätestens 15 Jahren könnte das Polarmeer zum ersten Mal seit Jahrtausenden in einem Sommer komplett eisfrei sein. Das würde die globale Erwärmung nochmal beschleunigen. Doch die dick eingepackten Männer auf den Schneemobilen haben einen kühnen Plan, wie sich das vielleicht aufhalten lässt. Kritiker allerdings bezeichnen das Vorhaben als verrückt oder sogar gefährlich.
Etwa sieben Kilometer vom Dorf entfernt steigen die Männer von den Schneemobilen. Einer von ihnen – ein Ire mit roter Mütze und struppigem Ziegenbart – packt einen Elektrobohrer aus, um ein Loch in das mehr als einen Meter dicke Eis zu bohren. Cían Sherwin ist Mitbegründer von Real Ice. Als er unten angekommen ist, schwappen kaltes Wasser und Eisspäne aus dem Loch. Inuit-Führer David Kavanna erweitert die Öffnung mit einer riesigen Eissäge und platziert einen Holzrahmen darauf. Sherwin lässt eine Pumpe an einem Gummischlauch hinab. Er schließt ein Kabel an ein Batteriepaket an, kurz darauf fließt Wasser aus dem Schlauch. »Wenn es gefriert, verhält sich das Wasser beinahe wie Lava«, erklärt Sherwin. »Die Eisbildung beginnt fast augenblicklich.«
Die Eisschichten in der Arktis wachsen im Winter, wenn es dunkel und kalt ist, und schmelzen im Sommer, wenn die Sonne 24 Stunden am Tag scheint. Das Eis wirkt dabei wie ein riesiger Spiegel und reflektiert bis zu 90 Prozent der Sonnenstrahlung zurück ins All. Das Meerwasser hingegen absorbiert 90 Prozent des Sonnenlichts. Der Kern der Eiskappe bleibt zwar bislang noch das ganze Jahr über bestehen. Allerdings ist er in den zurückliegenden vier Jahrzehnten bereits um etwa 40 Prozent geschrumpft. Das führt zu einem Teufelskreis: Je mehr Eis schmilzt, desto mehr Meerwasser wird freigelegt, das sich weiter erwärmt und damit noch mehr Eis zum Schmelzen bringt. Wenn das Eis im Sommer ganz verschwindett, könnten allein durch diesen Effekt die globalen Temperaturen bis 2050 um 0,19 Grad Celsius steigen.
Das Unternehmen Real Ice will das saisonale Eis verdicken, damit es in den warmen Monaten länger hält. Die Idee: Dadurch, dass Wasser an die Oberfläche gepumpt wird, soll rund eine Million Quadratkilometer Eis neu eingefroren werden – eine Fläche etwa dreimal so groß wie Deutschland. Insgesamt wäre das rund ein Fünftel dessen, was aktuell im Sommer vom Eis übrig ist. Das könnte den Teufelskreis stoppen, so der Plan von Real Ice. Laut dem Unternehmen bräuchte man dafür »nur« eine halbe Million darauf spezialisierter Roboter.
»Wir müssen etwas dagegen tun. Die Emissionen zu reduzieren, reicht einfach nicht mehr aus«Cían Sherwin, CEO von Real Ice
Geoengineering in der Polarregion in so großem Maßstab könnte dazu beitragen, die Erderwärmung zu verlangsamen, bis die Welt von Kohle, Erdöl und Erdgas wegkommt. Viele Wissenschaftler glauben allerdings nicht daran, dass das funktionieren wird. Die Mitarbeiter von Real Ice halten dem entgegen, dass wir keine andere Wahl mehr haben, als es zu versuchen. Studien legen nahe, dass wir das Meereis nicht mehr retten können, selbst wenn wir die Nutzung fossiler Brennstoffe sofort einstellen würden. »Es ist traurig, dass es so gekommen ist, aber umso mehr müssen wir etwas dagegen tun«, sagt Sherwin. »Die Emissionen zu reduzieren, reicht einfach nicht mehr aus.«
Cambridge Bay ist ein Dorf mit 1800 Einwohnern, größtenteils Inuit, wie die indigenen Völker der Arktis sich selbst nennen. Der Ort, den die Mitglieder der Expedition um den Polarforscher John Franklin im 19. Jahrhundert nach einem Herzog von Cambridge benannt haben, liegt gegenüber dem kanadischen Festland auf Victoria Island, einer der größten Inseln der Welt, und zudem direkt an der Nordwestpassage, einem eisigen Seeweg zwischen Europa und Asien.
Das Überleben der Inuit hängt vom Eis ab
Die Inuit nennen Cambridge Bay Ikaluktutiak, was so viel wie »guter Angelplatz« bedeutet. Seit Jahrtausenden kamen ihre nomadischen Vorfahren hierher, um Seesaiblinge zu fischen, silbrig-orangefarbene Verwandte der Bachforelle. In den 1940er und 1950er Jahren siedelten sich die ersten Inuit hier dauerhaft an. Das US-Militär engagierte sie, um beim Bau eines Navigationsturms und einer Radarstation zu helfen, mit denen sowjetische Bomber aufgespürt werden sollten, die über das Gebiet hinwegflogen. Der Kalte Krieg führte auch zu verschiedenen Bemühungen, die arktische Region zu verändern und zu kontrollieren. Die Regierung der damaligen UdSSR wollte das Meereis mit Kohlenstaub oder Sprengstoff beseitigen und zündete drei nukleare Sprengsätze, um einen Arktiskanal auszuheben. Und die USA waren kurz davor, die Idee des Physikers Edward Teller umzusetzen, der einen Hafen in Alaska bauen wollte – mithilfe von Atombomben.
Heute soll Geoengineering dabei helfen, die Erde abzukühlen. Es gibt dafür verschiedene Ansätze: Einige Wissenschaftler und Unternehmer wollen Sulfatpartikel in der Stratosphäre verteilen, um die Sonnenstrahlung abzuhalten. Das könnte zwar die Erwärmung verringern, aber auch unbeabsichtigte Folgen mit sich bringen und zum Beispiel Wetterphänomene wie den südasiatischen Monsun stören. Mexiko hat deshalb angekündigt, derartige Methoden des solaren Geoengineerings zu verbieten, nachdem das US-amerikanische Startup Make Sunsets dort zwei mit Schwefeldioxid gefüllte Ballons gestartet hatte. Die Stadt Alameda in Kalifornien stoppte ein Experiment, bei dem Meersalzpartikel in den Himmel gesprüht wurden, um die Reflexionsfähigkeit der Wolken zu erhöhen.
Experimente in der Arktis, der Antarktis und auf den Gletschern der Himalaja-Gebirge haben weniger Kontroversen ausgelöst – vielleicht weil unbeabsichtigte Folgen weitgehend auf diese abgelegenen Orte beschränkt wären. So verstreute die im Silicon Valley ansässige Initiative Bright Ice winzige Glasperlen sowie Material auf Tonbasis auf Gletschern in Island und im Himalaja, in der Hoffnung, dass so mehr Sonnenlicht reflektiert wird. Chinesische Behörden bliesen mit Raketen, Flugzeugen und Drohnen chemischen Rauch in Wolken, um Schneefall über dem tibetischen Plateau zu provozieren. Und Forscher in Skandinavien sind dabei, riesige Vorhänge zu entwickeln, die am Meeresboden verankert werden und verhindern sollen, dass warmes Meerwasser die Unterseite des Schelfeises in der Antarktis zum Schmelzen bringt. Aber um das Klima wirklich nachhaltig zu beeinflussen, bräuchte man etliche Milliarden Dollar.
Studierende bauen Vereisungsmaschine
Die Idee, Eis künstlich zu verdicken, hat ihren Ursprung im Weltall. Auf einer Konferenz im Jahr 2012 fragte sich der Astrophysiker Steve Desch von der Arizona State University nach einer hitzigen Debatte über die Erderwärmung, ob sich vielleicht Zeit gewinnen ließe, indem man im Arktischen Ozean zusätzliches Eis erzeugt. Desch, der eisige Himmelskörper wie Plutos Mond Charon erforscht, wusste, dass Meereis von unten gefriert. Sobald sich die erste Schicht gebildet hat, isoliert sie das Meerwasser von der Luft, die bis zu 50 Grad kälter sein kann. Das bedeutet: Je dicker das Eis wird, desto langsamer wächst es. Im Jahr 2016 schlug Desch daher vor, dass windbetriebene Pumpen das Meereis dicker machen könnten, indem sie Wasser von unten anziehen und über die Oberfläche sprühen.
Ungefähr zur gleichen Zeit hatten Studierende der Bangor University in Wales eine Idee, nachdem sie einen Dokumentarfilm über die Arktis gesehen hatten: Sie bauten eine »Vereisungsmaschine«, eine unhandliche Spindel aus Schläuchen, die wie ein Rasensprenger herumwirbelt. Einer dieser Studenten war Cían Sherwin. Ermutigt durch Deschs Arbeit gründeten er und der Londoner Unternehmer Simon Woods im Jahr 2022 das Unternehmen Real Ice. Sie wollten herausfinden, ob sich die Eisverdickung skalieren lässt, also ob sie tatsächlich in großem Maßstab funktionieren kann. Sherwin und Woods ließen sich von Desch und mehreren weiteren Meereisforschern beraten. Real Ice testete sein Konzept erstmals im Januar 2023 in Nome, Alaska, und tauschte dafür die Sprinkleranlage gegen eine kommerzielle Pumpe. Im darauffolgenden Jahr zogen sie zur kanadischen Forschungsstation für die Hocharktis in Cambridge Bay um. »Es ist nicht dasselbe wie ein natürlicher Prozess, aber es kommt dem schon recht nah«, sagt Desch.
Inzwischen hat das Team um Cían Sherwin das erste Loch gebohrt und die Pumpe gestartet. Anschließend fährt es mit dem Schneemobil ein paar hundert Meter weiter zum nächsten Ziel. Hier beginnt der Prozess erneut: Erst wird ein Loch angelegt, dann eine Pumpe hinabgelassen, anschließend sprudelt Wasser heraus. Insgesamt installieren die Männer von Real Ice an diesem Tag vier Pumpen an vier verschiedenen Stellen. Das hochgepumpte Wasser breitet sich nach außen aus, sickert in den Schnee und bildet schließlich innerhalb weniger Stunden Schneematsch, der dann zu Eis gefriert.
Nach einem Mittagessen mit Fruchtriegeln und Kartoffelchips um einen winzigen Gasofen im Rettungszelt des Teams herum geht es zu einer Stelle, die das Team einen Tag zuvor präpariert hat. Unter einer feinen Schneedecke liegt graues Eis. Ein Mann aus dem Team bohrt ein Loch hinein mit einem Bohrer, der fast so groß ist wie er selbst, und legt ein Maßband an: Das Eis ist 152 Zentimeter dick; um beinahe 30 Zentimeter ist die Eisschicht in nur einem Tag gewachsen.
Die Methode birgt etliche Risiken
In den nun folgenden Wochen wird sich das Eis weiter verdicken. Da Schnee ein besserer Isolator ist als Eis – übrigens auch der Grund, warum Menschen in Iglus wohnen können –, führt genau dieses ständige Überfluten und Gefrieren des Schnees dazu, dass verstärkt Kälte an der Unterseite der Eisschicht ankommt und so mehr Eis entsteht. Nachdem Real Ice hier im Winter 2023/24 eine Fläche von 4100 Quadratmetern auf diese Weise bearbeitet hatte, kam das Team im Mai 2024 zurück und stellte eine deutliche Zunahme fest. In dem gesamten Gebiet betrug die Eisdicke 1,9 Meter, verglichen mit 1,4 Metern an anderen Stellen. »Eiswachstum von unten ist wirklich effizient«, erklärt Simon Woods, während er an einer weiteren Stelle ein Loch bohrt, um die Eisdicke zu messen.
Aber es gibt einen Haken: Schnee ist auch ein besserer Reflektor als Eis. Mit Schnee bedecktes Meereis wirft 90 Prozent der Sonneneinstrahlung zurück, während blankes Meereis nur 50 bis 70 Prozent reflektiert. Real Ice müsste also im Frühjahr Schnee auf der gesamten Fläche verteilen, die im Winter künstlich überflutet wurde. Sonst könnte sich der Schmelzprozess im darauffolgenden Sommer noch verstärken.
Es gibt noch mehr Risiken der Methode: Wenn Meerwasser gefriert, wird das darin enthaltene Salz aus den Eiskristallen getrieben und konzentriert sich im verbliebenen Wasser. Das führt dazu, dass sich an der Oberfläche salzige Pfützen bilden. Salz senkt bekanntlich den Gefrierpunkt von Eis, weshalb man es im Winter gegen Glatteis auf der Straße verwendet. Bleibt durch das Hochpumpen von Meerwasser im Sommer mehr Salz an der Oberfläche zurück, könnte auch das dazu führen, dass das Eis erst recht schmilzt.
Bislang scheint das allerdings nicht zu passieren. Am nächsten Morgen setzt Woods ein hohles rotes Rohr auf den Bohrer und treibt ihn an einer gefrorenen Stelle ins Eis, um einen etwa armdicken Eiskern zu entnehmen. Er hält diesen gegen die fahle Sonne, sodass die haarfeinen Kanäle sichtbar werden, in denen sich die salzige Flüssigkeit durch das Eis gefressen hat. »Dieser natürliche Prozess hilft der Sole, zurück ins Meer zu wandern«, sagt er.
Unklare Folgen für das Leben im Meer
Noch ist nicht klar, wie sich die Eisverdickung auf das Leben im Meer auswirken wird. Die Nahrungskette beginnt bei den mikroskopisch kleinen Algen, die an der Unterseite des Eises wachsen. Sie werden von kleinen Krebsen und Quallen, dem Zooplankton, gefressen, das wiederum Fischen als Nahrung dient, die anschließend von Säugetieren verspeist werden.
Um das zu untersuchen, ist der Meeresbiologe Brendan Kelly von der University of Alaska Fairbanks angereist. Er fährt mit einem Schneemobil zu einem niedrigen Bergrücken, der von zwei riesigen Eisplatten gebildet wird, die sich zusammenschieben. Kelly war Berater für polarwissenschaftliche Fragen in der Regierung von US-Präsident Barack Obama und beschäftigt sich seit mehr als vier Jahrzehnten mit Robben und Eisbären. In dieser Zeit hat er auch beobachtet, wie die Emissionen aus fossilen Brennstoffen stetig zunehmen. Trotz seiner Skepsis gegenüber Geoengineering erklärte er sich bereit, Real Ice zu beraten.
In dem trüben Licht betrachtet scheint die monochrome Landschaft leblos zu sein. Doch während er zu Fuß über den mit Schnee bedeckten Grat stapft, hält Kelly an und zeigt auf einen Pfotenabdruck eines Polarfuchses. Ein Stück weiter findet er einen Urinfleck, dann vertrockneten grünen Kot und schließlich eine kleine Grube. »Wahrscheinlich eine Robbe«, sagt Kelly. Im Frühjahr graben Ringelrobben Löcher in die Schneewehen. Sie verstecken ihre pelzigen weißen Jungen in diesen Höhlen, während sie nach Fischen und Krustentieren tauchen. Füchse und Eisbären durchwühlen anschließend die Gegend, um die Jungen zu finden. Kelly schaufelt den festen Schnee beiseite, findet aber keine Höhle.
Auch Eisbären sind auf Schnee angewiesen. Sie graben ebenfalls Höhlen in größere Verwehungen, um ihre Jungen zu wärmen, die als Neugeborene so klein sind wie Meerschweinchen. Der meiste Schnee in der Arktis fällt in der Regel im Spätherbst. Niemand weiß, ob nach der Eisverdickung im Winter noch genügend Neuschnee fällt, damit Bären und Robben im Frühjahr Höhlen bauen können. Gleichzeitig profitieren sie davon, wenn ihr Lebensraum auf dem Meereis erhalten wird und nicht wegschmilzt. Die zentrale Frage ist also: Schadet das Vorhaben von Real Ice mehr, als es nützt? »Das wissen wir derzeit noch nicht«, sagt Kelly. »Doch wir müssen es herausfinden.«
Unterwasserdrohnen sollen Löcher bohren
Im Winter 2024/25 pumpte Real Ice zwei Monate lang Wasser durch fast 200 Löcher. Bohrer und Schneemobile gingen kaputt, Teammitglieder bekamen Frostbeulen, Polarfüchse fraßen sich durch lange, dünne Spezialkabel, die zur Messung der Temperatur in Schnee und Eis verwendet werden. Insgesamt 250 000 Quadratmeter Meereis verdickten die Forschenden. Jedes Jahr verliert die Eiskappe das 300 000-Fache dieser Fläche.
Der Schlüssel, um bei diesen Maßstäben mithalten zu können, sei, »die Technik unter Wasser zu bringen«, wie es Sherwin beschreibt. Studierende an der Sant'Anna School of Advanced Studies in Pisa, Italien, entwickeln daher gerade eine zwei Meter lange Unterwasserdrohne, die sich mit einem beheizten Rohr von unten durch das Eis bohren und Wasser nach oben pumpen soll. Real Ice hofft, noch im Jahr 2025 einen Prototyp testen zu können, sagt Co-CEO Andrea Ceccolini, ein italienischer Computerwissenschaftler und Investor, der im Jahr 2022 zur Firma dazugestoßen ist.
Geplant ist, im Winter 2027/28 rund 100 Quadratkilometer Meereis zu verdicken, um die Technik der Politik und potenziellen Investoren vorzustellen. Der Plan grenzt an Wahnsinn: Ein Schwarm von 50 Drohnen soll innerhalb von wenigen Minuten Löcher ins Eis schmelzen, Wasser hindurchpumpen und den Fortschritt der Arbeit mit Infrarotkameras überwachen. Techniker würden von einer schwimmenden Plattform aus den Vorgang betreuen, bei Bedarf Akkus austauschen und die leeren Akkus an Ladegeräte anschließen, die von Windturbinen oder mit per Schiff angeliefertem, grünem Wasserstoff betrieben werden. Strom aus der kanadischen Region Nunavut zu beziehen, würde zum Klimawandel beitragen, da dieser größtenteils mit Dieselkraftstoff erzeugt wird.
Um das Meereis schließlich auf einer Fläche von einer Million Quadratkilometern zu verdicken, wären rund 500 000 Drohnen erforderlich, die zusammen zwei Terawattstunden Strom verbrauchen und für deren Wartung 20 000 Menschen benötigt würden, lauten die groben Berechnungen von Ceccolini. Die Kosten beliefen sich auf zehn Milliarden Dollar jährlich. Das sind umgerechnet etwa 8,5 Milliarden Euro.
Welcher Anteil der globalen Erwärmung überhaupt durch den Erhalt des Meereises aufgehalten werden kann, hängt von vielen Variablen ab. Wenn eine Million Quadratkilometer Meereis für nur einen zusätzlichen Sommermonat erhalten bleiben würde, könnte man die Erde so stark abkühlen, als würde man 930 Millionen Tonnen Kohlendioxid über einen Zeitraum von 20 Jahren aus der Atmosphäre entfernen, schätzt Real Ice. In Anbetracht dessen seien zehn Milliarden Dollar wirklich günstig, meint Ceccolini. Zudem würde die Abkühlung sofort eintreten. Die Abscheidung einer solchen Menge CO2 aus der Luft mit bestehenden Maschinen kostete hingegen mindestens 465 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Die Menschheit stößt 910 Millionen Tonnen CO2 innerhalb von acht Tagen aus, und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Verdickung des Meereises wäre wie ein Pflaster, »während man den Patienten – unseren Planeten – vernünftig heilt«, sagt Ceccolini.
In Cambridge Bay holt das Team jeden Tag nach drei oder vier Stunden Dauerbetrieb die Pumpen mit einem Eispickel aus ihrem Loch. Auf der erstarrenden Oberfläche bilden sich riesige weiße Eisblumen. Es ist beeindruckend, wie schnell das Wasser gefriert und wie unermesslich riesig die gefrorene Ebene ist, die sich bis zum Horizont erstreckt. Es lässt sich kaum ausmalen, wie es wäre, wenn hier Hunderttausende von Drohnen jahrzehntelang Tag für Tag, den ganzen Winter über Wasser durch das Eis pumpten.
Die älteren Inuit sind skeptisch
Die einzige Autobahn in Cambridge Bay ist die Eisfläche. Im Winter und im Frühjahr, so erzählt es der einheimische Jäger Brandon Langan, fahren die Inuit mit ihren Schneemobilen darüber, um Eisfischen zu gehen und Moschusochsen und Robben zu jagen. Er arbeitet in Teilzeit für Real Ice und überwacht aktuell mit Drohnen, wie sehr das verdickte Eis die Sonne reflektiert.
Wenn sich das Eis im Sommer zurückzieht, fischen die Inuit den Seesaibling, der aus Seen und Flüssen in die Bucht schwimmt. Wenn das Eis im Herbst zurückkehrt, jagen sie die Karibus, die darüber zum Festland ziehen. Zwei von drei Mahlzeiten bestehen aus Fisch oder Wild. »Meereis ist für uns überlebenswichtig«, sagt Langan. »Es gibt uns Nahrung und Kleidung.«
Angesichts des Klimawandels müssen die Jäger, die früher bereits im Oktober auf das Eis gingen, heute bis Dezember warten. Einige sind sogar schon durchgebrochen und ertrunken. Im Frühjahr schmilzt das Eis früher. Der Eisverlust hat die örtliche Karibuherde um 90 Prozent schrumpfen lassen. Die Tiere verhungern, während sie darauf warten, endlich das Eis überqueren zu können. Und wenn sie zu lange am Ufer festsitzen, sind sie eine leichte Beute für Wölfe. Ein Jäger, der früher für Real Ice tätig war, erzählt, dass er darauf hofft, die Eisverdickung möge den Wildbestand verjüngen.
Das Wissen der Inuit ist entscheidend für derartige Projekte – das zeigt die Geschichte. Zahlreiche Wissenschaftler und Entdecker ignorierten das Wissen der indigenen Völker über die Arktis. Für die Crew des britischen Polarforschers John Franklin im Jahr 1845 wurde diese Überheblichkeit zur Todesfalle: Inuit-Jäger stießen auf die hungernden Seeleute, als diese in der Washington Bay ein Rettungsboot über das Eis zogen und nur mit Wollfetzen statt mit Fellen bekleidet waren. Franklin war bereits tot, und die verbliebenen Männer tauschten Perlen gegen Robbenfleisch ein – sie wussten offenbar nicht, wie man Robben jagt. Später fanden die Eingeborenen weiter südlich verstümmelte Leichen, was darauf hindeutete, dass die Abenteurer aus Verzweiflung einander verzehrten.
Charles Dickens tat diese Berichte, die sich später als wahr bestätigten, als »wilde Geschichten einer Horde von Wilden« ab und behauptete, die Inuit hätten Franklins Männer erschlagen. Diese koloniale Denkweise setzte sich fort, als die Arktis von verschiedenen Staaten unter deren Kontrolle gebracht wurde. Kanada und Alaska verschleppten indigene Kinder, darunter auch einige aus Cambridge Bay, in Internate. Tausende von ihnen starben.
»Wenn jemand behauptet: ›Wir brauchen euer Land im Namen eines höheren Gutes‹, dann wiederholt sich nur das, was auch während der Kolonisierung passiert ist«Sara Olsvig, Vorsitzende des Inuit Circumpolar Council
Die Vorsitzenden des Inuit Circumpolar Council, Sara Olsvig, ist eine von denen, die sich gegen den geplanten Meeresbodenvorhang in ihrer Heimat Grönland ausgesprochen hat. Sie ist der Meinung, die Regierungen müssten anfangen, Geoengineering zu regulieren, und Forscher müssten die vorherige Zustimmung der lokalen Gemeinschaften einholen. Olsvig sagt: »Wenn jemand behauptet: ›Wir brauchen euer Land für einen höheren Zweck‹, dann wiederholt sich nur das, was auch während der Kolonialzeit passiert ist.«
Real Ice hat Genehmigungen von der Inuit-Regierung der Nunavut sowie von der Organisation der Jäger und Fallensteller in Cambridge Bay bekommen. Ceccolini verspricht, das Vorhaben sofort zu beenden, sollte sich herausstellen, dass die Eisverdickung unwirksam oder gar schädlich ist. Zwar könnte das Unternehmen seine Drohnentechnologie patentieren lassen; die Satzung verbietet jedoch, Gewinne auszuschütten. Ceccolini sagt, man ziehe in Betracht, ein neues Unternehmen mit indigener Beteiligung zu gründen, falls man das Geschäft ausweite.
Die Ältesten vor Ort sind noch zurückhaltend. Sie treffen sich wochentags im Kulturzentrum, um Pelzstiefel und Fäustlinge zu nähen. Während einer Pause mit schwarzem Tee und kandiertem Seesaibling berichten drei von ihnen von ihren Sorgen: Sollten die Drohnen von Real Ice in der Meerenge bei Cambridge Bay unterwegs sein statt weiter nördlich wie angekündigt, dann könnte das ihre Nahrungsgrundlage gefährden. »Sie werden die Fische und die Robben vertreiben«, befürchtet Annie Atighioyak, die 1940 in einem Iglu auf dem Meereis geboren wurde.
Polarforschung über Geoengineering zerstritten
Während die Emissionen aus fossilen Brennstoffen international weiter steigen, beginnt sich der Blick auf die Methoden des Geoengineerings zu ändern. Auf einer jährlich stattfindenden Konferenz der Arktisforschung im Ozeanographischen Institut von Monaco im März 2025 hielt Frederik Paulsen, ein schwedischer Pharmamilliardär im Maßanzug und mit randloser Brille, einen Vortrag. Obwohl kein Wissenschaftler, war Paulsen der erste Mensch, der alle acht Pole erreicht hat: die beiden geografischen Pole, die geomagnetischen, die magnetischen und die Pole der Unzugänglichkeit. So werden die Punkte auf der Erdoberfläche bezeichnet, die am weitesten von allen Ozeanen entfernt sind. Und er war an Bord eines der beiden Tauchboote, die 2007 eine russische Flagge auf dem Meeresboden des Nordpols verankerten.
Als Paulsen 2023 mit einem Ultraleichtflugzeug über Grönland flog, habe er mit Erschrecken festgestellt, so berichtet er, dass die einst glänzende Eisdecke immer dunkler wurde, da immer weniger Neuschnee fiel. Er sei daher zu dem Schluss gekommen, dass nur »drastische Lösungen« katastrophale Klimaauswirkungen verhindern könnten, da es der Menschheit bislang nicht gelungen sei, die fossilen Brennstoffe zu reduzieren. Es reiche nicht aus, das Klima nur zu erforschen, weist er die Wissenschaftler zurecht. »Jetzt ist es an der Zeit zu handeln.«
Die University of the Arctic – ein Netzwerk von Bildungseinrichtungen unter Paulsens Vorsitz – hat die Durchführbarkeit von 61 polaren Eingriffen bewertet: darunter das Vorhaben, Gletscher mit Schneekanonen zu besprühen, oder auch Eisberge mit Seilen daran zu hindern, nach Süden zu treiben. John Moore, Glaziologe an der Universität Lappland, stellte auf der Konferenz die Idee des Meeresbodenvorhangs vor. Ebenfalls anwesend war Fonger Ypma von Arctic Reflections, einem niederländischen Unternehmen für Meereisverdickung, das Feldversuche in Neufundland und Spitzbergen durchgeführt hat. Im Jahr 2024 sei er in Cambridge Bay gewesen, um von Real Ice zu lernen, erzählt Ypma. Aber er hoffe, statt Drohnen große bewegliche Pumpplattformen einsetzen zu können, sagt er.
Das riesige Interesse an derartigen technischen Lösungen spaltet die Gemeinschaft der Polarforscher. Im Oktober 2024 bezeichneten 42 führende Glaziologen in einem Preprint-Paper die Eisverdickung und andere Geoengineering-Techniken in den Polargebieten als gefährlich und nicht durchführbar. Vorhänge auf dem Meeresboden könnten den Nährstofffluss für Phytoplankton unterbrechen. Winzige Glaskugeln auf Gebirgsgletschern zu verteilen, könne das Reflexionsvermögen des mit Neuschnee bedeckten Eises verringern. »Aber die dominierende Sorge ist, dass Geoengineering-Maßnahmen die Dekarbonisierung unattraktiv machen«, sagt Heidi Sevestre, eine der Autorinnen der Studie. »Sie packen nicht die Ursache des Problems an, die fossilen Brennstoffe.«
»Ich mache jeden Tag Fehler, Sie machen jeden Tag Fehler, und wenn wir ein System schaffen, das jeden Tag funktionieren muss, wird es scheitern«Kim Holmén, Klimawissenschaftler
Auf der Konferenz in Monaco spricht auch Kim Holmén, ein Klimawissenschaftler des Norwegischen Polarinstituts, der mehr als drei Jahrzehnte auf Spitzbergen verbracht hat, dem sich am schnellsten erwärmenden Ort der Erde. Er hält es für töricht, die Schäden unserer Technologie durch noch mehr Technologie ungeschehen machen zu wollen: »Ich mache jeden Tag Fehler, Sie machen jeden Tag Fehler, und wenn wir ein System schaffen, das jeden Tag funktionieren muss, wird es scheitern.« Andere Kritiker sagen, dass es effektiver wäre, die Mittel nicht für Geoengineering einzusetzen, sondern dafür, Emissionen zu reduzieren.
Noch ist der Betrag, der für die Maßnahmen in der Arktis ausgegeben wird, gering – aber er wächst. Arctic Reflections hat 1,1 Millionen Dollar und Moore 2 Millionen Dollar Investorengelder eingetrieben. Real Ice plant fünf Millionen Dollar für sein Eisverdickungsprojekt ein. Das allerdings ist nur ein kleiner Bruchteil der Kosten, die für eine 100 Quadratkilometer große Demonstration aufzubringen wären. Es ist schwer vorstellbar, dass staatliche Stellen zehn Milliarden Dollar pro Jahr für die Verdickung des Meereises bereitstellen, zumal China, Russland und wohl auch die USA die arktischen Schifffahrtsrouten ausbauen wollen. Dafür ist weniger Eis von Vorteil. Und der brasilianische Amazonas-Fonds zur Erhaltung des Regenwaldes beispielsweise – der Real Ice zufolge ein Vorbild sein könnte – hat nur 780 Millionen Dollar von den Regierungen erhalten.
Real Ice und Arctic Reflections wollen in naher Zukunft »cooling credits«, auf Deutsch etwa »Kühlungsgutschriften«, verkaufen: Einzelpersonen und Unternehmen, die ihre CO2-Emissionen kompensieren wollen, können die Unternehmen finanziell unterstützen. Allerdings sind auch solche Maßnahmen umstritten. So wurden und werden mit CO2-Zertifikaten bereits Klimaschutzprojekte zur Aufforstung bezahlt, da die Bäume der Atmosphäre rein rechnerisch CO2 entziehen. Kritiker bezeichnen solche Kreditvereinbarungen allerdings als »Lizenz zur Umweltverschmutzung«, weil sie dazu führen, dass fossile Brennstoffe nicht vermieden, sondern lediglich kompensiert werden. Unter den größten Käufern sind Technologieunternehmen wie Microsoft, deren Emissionen durch den Bau von KI-Rechenzentren ansteigen.
Auch Brendan Kelly, der frühere Berater des Weißen Hauses, fürchtet, dass Geoengineering von Öl- oder Technologieunternehmen »gekapert« wird, um einfach so weitermachen zu können wie bisher. Noch mehr Sorgen aber bereitet ihm das »gigantische Geoengineering-Experiment«, das wir bereits durchführen, indem wir jedes Jahr mehrere Milliarden Tonnen Treibhausgase ausstoßen. »Wir alle müssen bereit sein umzukehren, sonst ergeht es uns so wie Franklin und all den anderen arroganten Entdeckern«, mahnt er. Sie alle sind sehenden Auges in ihr Verderben gelaufen.
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