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News: Lahmes Huhn

Damit große Tiere schnell und wendig sind, benötigen sie unverhältnismäßig viel mehr Muskelmasse als kleine Tiere. Deshalb bewegen sich die Beine einer Maus viel schneller als die eines Elefanten. Und deshalb war während der Kreidezeit auch kein Tyrannosaurus rex so schnell wie seine Double auf der Leinwand.
Um die Wette...
Es hat schon seinen Grund, warum Geparden und Löwen blitzschnellen Gazellen hinterherjagen, während Elefanten und Giraffen gemächlich ihres Weges ziehen. Denn je größer ein Tier ist, umso mehr Muskelmasse braucht es, und ab einer gewissen Größe verschlechtert sich das Verhältnis von Körpergröße zu Muskelmasse derart, dass die Agilität immer mehr abnimmt. Tiere von der Größe eines Blauwals können daher nur existieren, weil das Wasser ihnen Auftrieb verleiht.

Angesichts zahlreicher Kinofilme könnte man meinen, derlei biomechanische Grundgesetze hätten während der Kreidezeit keine Gültigkeit gehabt. Selbst Wissenschaftler gehen weithin davon aus, dass elefantenschwere Dinosaurier vom Schlage des Tyrannosaurus rex heimtückisch schnelle Jäger waren. Doch fußen all die Abschätzungen zur Geschwindigkeit, nach denen dieser Raubsaurier bis zu 72 Kilometer pro Stunde schnell gewesen sein soll, auf qualitativen Abschätzungen aus Körpermasse, Körperhaltung und fossilen Laufspuren. Eine solide Rekonstruktion des bipeden, also auf den Hinterbeinen laufenden Raubsauriers fehlte bislang.

Und das ist kaum verwunderlich, denn die Saurier sind seit 65 Millionen Jahren ausgestorben und nur in Gestalt von fossilen Knochen erhalten. Ihre ferne bipede Verwandschaft hingegen ist heute vergleichsweise klein und schwach - wie das Huhn beispielsweise, aber auch die Alligatoren, die nur deshalb nicht auf zwei Beinen laufen, weil ihnen dazu die Muskeln fehlen.

Erstaunlicherweise dienten eben diese beiden Nachfahren von T. rex zwei Forschern von der University of California in Berkeley als Grundlage für die Antwort auf die Frage: Wie schnell war T. rex wirklich?

Um die Höchstgeschwindigkeit des Raubsauriers abzuschätzen, eichten John Hutchinson und Mariano Garcia, die derzeit an der Stanford University forschen, an Huhn und Alligator ein Computermodell, das eigentlich Ärzten dazu dient, die Folgen von chirurgischen Eingriffen abzuschätzen. Grundlage des Modells waren die Anatomie und die dadurch bedingten biomechanischen Zusammenhänge. So konnten die Wissenschaftler einzelne Parameter, wie Körperhaltung, Schwerpunkt, Gewicht der Beine und gesamtes Körpergewicht derart variieren, bis sie mit den anatomischen Gegebenheiten und den Geschwindigkeiten von Huhn und Alligator übereinstimmten.

Während das Huhn mit seinen beiden Beinen schnell und wendig ist, sind Alligatoren so schwach, dass sie sich nicht einmal auf ihren beiden Hinterbeinen halten. Um genau zu sein: Hühner haben ziemlich genau doppelt so viel Muskelmasse, wie sie zum aufrechten Gang benötigten, Alligatoren hingegen nur etwa halb so viel.

Nachdem die Forscher mit ihrem Modell den Vogel und das Reptil einwandfrei beschreiben konnten, übertrugen sie die biomechanischen Verhältnisse auf zwei kleine Dinosaurier und den über zwölf Meter langen und bis zu sechs Meter hohen T. rex, der immerhin bis zu sieben Tonnen auf die Waage brachte. Die biomechanischen Daten wie Knochenlänge, -winkel et cetera, hatten sie in Museen ausgemessen.

Wie erwartet benötigten die kleinen und schnellen Dinosaurier im Verhältnis viel weniger Muskelmasse als ihr großer Artgenosse. Um in gebückter Haltung mit über 70 Kilometern pro Stunde durch die kreidezeitlichen Prärien zu rasen, hätte der Tyrannosaurus so viel Muskelmasse benötigt, dass für den ganzen Rest kaum etwas übrig geblieben wäre. 86 Prozent seines Körpergewichts hätten in den Beinmuskeln stecken müssen.

Aber selbst, wenn er diese Geschwindigkeit in der energetisch viel günstigeren, gestreckten Haltung erreicht hätte, müsste die Muskelmasse in den Beinen von T. rex immer noch 13 Prozent des Gesamtgewichts ausgemacht haben. Im Vergleich zu heute lebenden Tieren ein extremes Verhältnis. Bei guten Läufern machen die Beinmuskeln gerade einmal fünf bis zehn Prozent des Körpergewichts aus, bei schlechten sogar noch weniger.

Besonders drastisch zeigte sich das Missverhältnis zwischen Körpermasse, Geschwindigkeit und Muskelmasse, nachdem Hutchinson und Garcia das Huhn numerisch derart vergrößerten, bis es die Dimensionen eines Tyrannosaurus erreichte: Aus dem flinken Renner wurde ein sechs Tonnen schwerer Muskelprotz, der keinen Millimeter laufen könnte. Das Riesenhuhn müsste, um entsprechend schnell zu sein, zu 99 Prozent aus Beinmuskelmasse bestehen.

Damit ist klar, dass auch T. rex kein Raser war. Wie schnell, das können die Forscher auch nicht genau sagen - auf jeden Fall aber langsamer als bislang angenommen. Vielleicht erreichte er im Sprint zwischen 20 und 40 Kilometer pro Stunde, vielleicht aber auch weniger. Sich an den noch trägeren Pflanzenfressern vom Schlage eines Triceratops oder Edmontosaurus zu vergreifen, schaffte er aber allemal.

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