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Fernweh: Was die Lieblingslandschaft über uns verrät

Ob weißer Sandstrand oder Bergpanorama – was macht eine Landschaft schön? Die Evolutionsbiologie sieht den Ursprung unserer Vorlieben in der Frühgeschichte des Menschen. Doch auch die eigene Persönlichkeit spielt eine Rolle.
Zwei Landschaftsbilder nebeneinander: links eine tropische Küste bei Sonnenuntergang auf Hawaii mit Palmen und schwarzem Lavagestein, umgeben von sanften Wellen; rechts ein majestätischer Berg im Milford Sound, Neuseeland, beleuchtet von der Abendsonne, mit einem ruhigen See im Vordergrund, der die Szene spiegelt. Beide Bilder sind mit "Getty Images" gekennzeichnet.
Den einen ruft das ferne Meer, den anderen locken die Berge. Wo wären Sie jetzt am liebsten?

An Mallorcas Stränden scheint die Sonne auf das türkisblaue Wasser. Der Blick ist weit, der Himmel klar, und wer einen Moment unter dem Schirm der Pinien innehält, um die Natur der Baleareninsel auf sich wirken zu lassen, der mag sich denken: »Hier will ich nicht mehr weg.« Das Mittelmeer und seine Küsten zählen zu den charmantesten Landschaften überhaupt. Hunderte Millionen von Urlaubern zieht es jedes Jahr zum Baden und Entspannen dorthin. Sie scheinen sich einig zu sein: So malerisch wie hier ist es sonst nirgendwo. Doch was ist mit der Toskana? Sanftes Hügelland, Zypressen und Olivenhaine, wohin das Auge reicht. Auch darauf können sich die meisten einigen – ja, in Bella Italia ist es besonders schön!

Aber was genau macht eine Landschaft »schön«? Und wieso? Darüber rätselt die Wissenschaft seit einigen Jahrzehnten. Ansätze kommen aus der Evolutionsbiologie, der Soziologie, der Psychologie und der Philosophie. Sie alle legen nahe: Was gefällt, ist kein Zufall.

Verschiedene Menschen bewerten ein und dieselbe Landschaft oft ähnlich. Deswegen sucht die Forschung nach allgemeinen Kriterien für das unbestimmte Gefühl für Schönheit – und wird fündig. »Wasser ist der stärkste Faktor«, sagt Michael Roth. Er ist Landschaftsplaner und hat für das Bundesamt für Naturschutz eine »Karte der Schönheit« erstellt. Auf der Deutschlandkarte ist verzeichnet, wo es schön ist (und wo nicht). Wie man das misst? In Roths Fall mit mehr als 10 000 Fotos und 3500 Teilnehmern, die diese Bilder miteinander verglichen haben. Dabei kam heraus: Gibt es in einer Landschaft Seen, Flüsse oder Meer, dann wirkt diese auf die meisten besonders schön. Der Grund dafür könnte in der Evolution begründet sein.

»Es gibt die Theorie, dass wir Landschaften schön finden, die prähistorisch besonders günstig für das menschliche Überleben waren«, sagt Michael Roth. Und Wasser ist nun einmal überlebenswichtig. Vorfahren der heutigen Menschen, die sich in Wassernähe aufhielten, hätten einen Evolutionsvorteil gehabt. Ihre Präferenz könnte sich so genetisch bis heute erhalten haben. Vielleicht fährt Roth deswegen gerne Kajak in der Mecklenburgischen Seenplatte?

Savannen-Hypothese: Eine Vorliebe für die Heimat unserer Vorfahren

Von einer ähnlichen Prägung durch die Lebensräume unserer Vorfahren geht die so genannte Savannen-Hypothese aus. Der 1932 geborene US-amerikanische Soziobiologe Gordon Orians beschrieb das Grasland im Osten und Süden Afrikas als ideale Landschaft. In der Region um den Turkanasee in Kenia wurden tatsächlich einige der frühesten Spuren der Gattung Homo gefunden. Über Millionen von Jahren seien die Schauplätze der Menschwerdung im kollektiven Gedächtnis erhalten geblieben. Savannenähnliche Parklandschaften mit Bäumen, Wasser und Weitblick lösten deshalb noch heute positive Gefühle in Menschen aus, glaubt man dieser Theorie.

Savannenlandschaft | Sonnenaufgang in der Serengeti: Die »Wiege der Menschheit« mit ihrem goldenen Grasland könnte die Vorlieben von Homo sapiens geprägt haben.

Aber die Savannen-Hypothese ist umstritten, denn Frühmenschen lebten wahrscheinlich in vielfältigeren Habitaten, als Orians annahm. Und: Auch wenn Schlüsselphasen der menschlichen Entwicklung in Savannen stattgefunden haben, muss das nicht an der Savanne als optimaler Umgebung gelegen haben. Immerhin lebten Vormenschen lange Zeit in ähnlichen Gebieten, ohne dass ihr Gehirn leistungsfähiger geworden wäre. Auch die Vorstellung eines »genetischen Gedächtnisses« hat entschiedene Gegner, denn bislang fehlen stichhaltige Belege dafür, dass derart komplexe psychologische Inhalte über das Erbgut weitergetragen werden. Hinzu kommt eine grundsätzliche Schwierigkeit bei der wissenschaftlichen Untersuchung von Präferenzen. Was vererbt ist und was erst durch Sozialisierung entsteht, lässt sich kaum voneinander trennen.

Trotzdem hält sich die Savannen-Hypothese seit Jahrzehnten in der Forschung – weil eine andere, überzeugendere Theorie mit ihr zusammenhängt. Laut der »Prospect-Refuge Theory«, der Theorie von Aussicht und Rückzug des britischen Geografen Jay Appleton, waren die Savannen Afrikas für die Entwicklung des Menschen tatsächlich äußerst vorteilhaft. Grund sei ihre Struktur. Die Landschaften glichen jenen der Savannen im heutigen Kenia und Tansania. Sie waren offen und weit, bewachsen mit Gras und Sträuchern. Flache Kronen von Schirmakazien legten sich vor den Horizont. Die Savannen gewährten den Vorfahren des heutigen Menschen damit sowohl Überblick als auch Schutz.

Sehen, aber nicht gesehen werden

Anders als etwa in einem dichten Wald konnten sie im flachen Gras sehen, was sich um sie herum abspielte. Auch kleine Hügel waren dafür dienlich. Von hier aus ließ sich überblicken, wo sich Beutetiere aufhielten oder ob sich eine Gefahr näherte. Gebüsch und Gehölz dienten als Versteck, die Schirmakazien spendeten Schatten. Das passt zum zweiten wichtigen Faktor, den Michael Roth für schöne Landschaften identifiziert hat: Relief, also Höhenunterschiede. Abwechslungsreiche, halb offene Landschaften gefielen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern seiner Umfrage besonders gut. Dort gab es einerseits Berge zu erklimmen, andererseits Bäume und Hecken als Unterschlupf.

Bergweide | Die Seiser Alm in Südtirol legt sich wie ein grüner Teppich über die sanft geschwungenen Hügel. Im Hintergrund ragen die Dolomiten auf. Diese Landschaft hat »Relief« – Höhenunterschiede –, eines der wichtigsten Naturmerkmale, die Menschen schön finden.

Wasser und Sicht machen eine Landschaft also attraktiv, wenn es nach der Evolutionsbiologie geht. Und tatsächlich sind die beliebtesten Reiseziele der Deutschen auch im Jahr 2025 die hiesige Nord- und Ostseeküste sowie die Alpen, sprich: Wasser und Berge. Das steht in der Deutschen Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen. Vielleicht also doch ein Vermächtnis unserer Vorfahren in Ostafrika?

»Zu beweisen, dass Erfahrungen der Frühmenschen vor zwei Millionen Jahren immer noch in uns stecken, ist schwierig«, sagt Joachim Rathmann. Er ist Geograf und forscht an der Universität Augsburg zu Landschaftsästhetik. Auch Rathmann kennt die menschliche Vorliebe für strukturreiche Landschaften mit offenen Flächen, Bäumen und Wasser. Solche Terrains habe es aber nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent gegeben. Auch im Wechsel der Wärme- und Eiszeiten der letzten Jahrhunderttausende in Mitteleuropa hätten sie über lange Strecken die Szenerie dominiert, wie sich aus Analysen von Pollenablagerungen im Boden rekonstruieren lasse. »Wir hatten nie komplett dunkle Wälder in Mitteleuropa«, so Rathmann. »Mammute und Wollnashörner haben die Flächen offen gehalten.« Das Ergebnis seien Mosaiklandschaften aus offenen Steppen, lichten Wäldern und Feuchtgebieten gewesen. »Ähnlich wie in der Savanne konnten die Frühmenschen hier Ausschau halten: Wo ist der gefährliche Säbelzahntiger oder das Mammut als mögliches Beutetier?« Laut Rathmann boten savannenähnliche Landschaften also auch für Vorfahren im späten Pleistozän Überlebensvorteile.

Instinkt oder Prägung?

Studien zeigen aber ebenfalls: Was Menschen schön finden, hängt stark von individuellen Erfahrungen ab. Zu diesem Ergebnis kamen Forscher in Schweden mit einem 2011 erschienenen Beitrag im Fachjournal »Landscape Research«. Einem Großteil von 2000 Befragten gefielen Landschaften, die jenen ähnelten, in denen sie aufgewachsen waren. Die typischen savannenartigen Favoriten schnitten zwar auch hier gut ab, allerdings mit Einschränkungen. Für Menschen, die ursprünglich aus Waldlandschaften kamen, war ein unverstellter Blick in die Ferne kein wichtiger ästhetischer Faktor. Anders bei Studienteilnehmern, die in der Nähe von Küsten oder in hügeligen Umgebungen groß geworden waren. Sie legten Wert auf Weite. Dafür musste es für Küstenkinder – anders als für Waldsprösslinge – weder besonders grün noch besonders artenreich sein. Meer, Sand, Klippen und Felsen waren in ihren Augen am schönsten.

Küste | Strände gehören heute zu den Sehnsuchtsorten, hier die Lagune von Balos im Nordwesten der griechischen Insel Kreta. Doch nicht immer war der Ozean in den Köpfen so positiv besetzt.

Zählen individuelle Erfahrungen also womöglich mehr als Instinkte? Die Forschenden gehen davon aus. Sie schreiben, dass wir in der Kindheit eine Bindung zu unserer Umgebung aufbauen. Zur Orientierung in der Welt greifen Menschen im Erwachsenenalter auf früh Erlerntes zurück. Heimatpanoramen sind zudem oft mit besonders angenehmen Erinnerungen aufgeladen.

Naturkulissen können aber auch negativ konnotiert sein. »Der eine ist als Kind ins Wasser gefallen und hat jetzt Angst davor, der andere fürchtet sich vorm dunklen Wald«, sagt Michael Roth.

Eine bereits in den 1980er Jahren im Fachmagazin »Environment and Behaviour« veröffentlichte Studie legt nahe, dass mögliche instinktive Landschaftsvorlieben ab dem frühen Jugendalter überprägt werden. Probanden unter zwölf Jahren zeigten darin noch eine klare Präferenz für Savannenlandschaften. Ältere Testpersonen hingegen bewerteten vertraute Landschaften aus ihrer Kindheit und Jugend als genauso schön. Einmal erwachsen, scheint uns tendenziell zu gefallen, was wir kennen.

Aber was ist mit tropischen Stränden, mit Geysirwanderungen, Arktisexpeditionen und schwülen Flussabenteuern auf dem Amazonas? Viele Menschen reizt doch gerade die nicht alltägliche Kulisse. Das völlig Unbekannte, mit nichts vergleichbar, was ein Mensch bisher zu sehen bekam, sorgt oft für das größte Staunen über die Natur. So schrieb auch der Entdecker Alexander von Humboldt um 1800 auf seiner Südamerikareise über die Besteigung des ecuadorianischen Vulkans Chimborazo: »Das, was unerreichbar scheint, hat eine geheimnisvolle Ziehkraft.«

Um das zu verstehen, muss man die Philosophie hinzuziehen. In der philosophischen Disziplin der Ästhetik gibt es den Begriff des Erhabenen: »Keine Postkartenidylle«, so Joachim Rathmann. Es geht hier um größere Dinge. »Für viele ist es eine transzendente Erfahrung, am Meer oder vor endlosen Dünen zu stehen und ein Gefühl von Unendlichkeit zu bekommen. Dann spürt man plötzlich, dass man in etwas eingebunden ist, das einen selbst übersteigt.« Kriterien wie Sicherheit, die in evolutionsbiologischen Theorien zur Schönheit von Landschaften zentral sind, spielen plötzlich keine Rolle mehr. »Natürlich spürt man, dass die ewige Wüste oder der große Ozean auch gefährlich sein können«, erläutert Rathmann. Und dennoch sei der Mensch fasziniert.

Schön ist, was kulturell aufgeladen wird

In den sozialen Medien bekommen vor allem jene Landschaftsaufnahmen Aufmerksamkeit, die besonders spektakulär sind. Fernreiseboom und Programme wie Work and Travel auf Farmen in Neuseeland oder im australischen Outback locken Menschen in ganz neue Szenerien. Ist also auch eine Frage des Zeitgeistes, was als schön gilt? »Ästhetik wird immer auch von gesellschaftlichen Strömungen geprägt«, erklärt Landschaftsinformatiker Michael Roth. Und Literatur, Film und Musik haben ebenfalls großen Einfluss auf beliebte Kulissen.

Neuseeland | Wasserquellen und fruchtbare Wiesen: Lupinen am Lake Tekapo. Aufnahmen wie diese ernten Millionen von Likes.

So pilgern immer mehr junge Anhänger der K-Pop-Kultur (Korean Popular Music) aus aller Welt in die bunt leuchtende Hauptstadt Seoul. Oder: Klassiker wie »Frühstück bei Tiffany« (1961) beschwören einen besonderen Zauber der Stadtlandschaft New Yorks. Und viele Menschen träumen wohl deshalb von einem romantischen Picknick unter dem Eiffelturm in Paris, weil die teils gar nicht so malerische Metropole an der Seine den Beinamen »Stadt der Liebe« trägt. Ein großer Teil der Empfindungen gegenüber Orten ist kulturell bedingt.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass selbst die evolutionär einleuchtenden Landschaftsvorlieben keineswegs konstant sind. Ein Beispiel dafür ist das Meer. »Ist das schön!«, war bis ins späte 18. Jahrhundert wohl nicht der erste Gedanke, der unseren Vorfahren beim Anblick des Ozeans kam. Lange Zeit galt die See überwiegend als unbarmherzig und Furcht einflößend. Auch die Alpen als Touristenmagnet sind ein vergleichsweise junges Phänomen. Karg, grausam und gefährlich wurden sie noch bis ins 19. Jahrhundert genannt. Erst später stand das Hochgebirge für majestätische Pracht und unberührte Natur.

Wie Landschaften symbolisch aufgeladen werden, lässt sich gerade am Beispiel des Waldes beobachten. Ehemals dunkel, unheimlich und mythisch wie im Märchen von Hänsel und Gretel, wird der Wald nach einer ersten sehnsüchtigen Umdeutung in der Epoche der Romantik heute zunehmend zur Gesundheitsressource: Der Schatten der Wälder soll Entspannung an immer heißeren Sommertagen bringen, das feuchte Klima Kreislauf und Schleimhäuten guttun. Zahlreiche Studien deuten in der Tat darauf hin, dass Stress, Angst und Depression im Wald nachlassen können. Auch physiologische Effekte wurden gemessen. So sanken in Untersuchungen etwa Blutdruck und Puls. Im Blut nahm die Konzentration von Stresshormonen wie Kortisol und Adrenalin ab. »Waldbaden«, ein Trend aus Japan, hat auch hier zu Lande immer mehr Fans. Als »Shinrin Yoku« wurde die Praxis in den 1980er Jahren in der Inselnation bekannt.

Beim Waldbaden geht es darum, ganz in die Natur einzutauchen. »Wir empfinden etwas, das man als ungerichtete Aufmerksamkeit beschreibt«, sagt Landschaftsforscher Joachim Rathmann. Durch das Blätterdach der Bäume werde der Wind abgebremst. Umgebungslärm verstumme. Laut Rathmann ein besonderer Erholungseffekt: »In der Natur schweifen die Sinne hin und her. Ein Vogel hüpft vorbei, Äste knacken, Blätter rauschen.« Ästhetik betreffe schließlich nicht nur das Visuelle. Auch Geräusche, Gerüche und Ertastbares beeinflussten, in welchen Umgebungen Menschen sich wohlfühlten. Zusätzlich zum Blättergrün bietet der Wald erdigen Duft, raue Rinden und samtiges Moos.

Introvertierte zieht es in die Berge

Trotzdem gibt es Menschen, denen ein Bad im Meer immer lieber wäre als ein Bad im Wald. Und auch solche, die sich nur auf einer Alm so richtig mit der Natur verbunden fühlen. Wie der Einzelne auf Landschaften reagiert, entpuppte sich in einer Untersuchung von Forschenden der University of Virginia im Jahr 2015 als eine Frage der Persönlichkeit. Das Team führte fünf Teilstudien mit verschiedenen Ansätzen durch, darunter neben Umfragen auch die Auswertung geografischer Bevölkerungsdaten und weitere Experimente.

In einer Onlinebefragung zeigte sich zunächst: Introvertierte Personen bevorzugen bergige, abgelegene Landschaften, während Extravertierte sich eher zu offenen Umgebungen wie Stränden hingezogen fühlen. Um zu überprüfen, ob diese Vorlieben auch regional sichtbar sind, werteten die Wissenschaftler Daten aus verschiedenen US-Bundesstaaten aus. Dabei zeigte sich, dass in Gebirgsregionen tatsächlich ein höherer Anteil an introvertierten Zeitgenossen lebt.

Aber was heißt das? Verändert die Umgebung die Menschen, oder suchen sie sich gezielt passende Gefilde aus? Um dieser Frage nachzugehen, schickte das Team Introvertierte und Extravertierte zufällig entweder in ein weitläufiges Areal oder in den Wald. Dort sollten sie miteinander diskutieren. Es wurde erhoben, wie oft die Teilnehmer das Wort ergriffen, als wie gesellig sie sich selbst beschrieben und wie glücklich sie am jeweiligen Ort waren. Das Ergebnis: Die Umgebung veränderte weder Verhalten noch Selbsteinschätzung, aber sie beeinflusste sehr wohl das Wohlbefinden. Introvertierte fühlten sich in einer abgeschiedenen Waldumgebung wohler, Extravertierte im offenen Gelände.

Die Forschenden deuten dies als Beleg für das Konzept des »Person-Environment-Fit«: Menschen geht es dort besonders gut, wo die Kulisse zu ihren psychologischen Bedürfnissen passt. Statt genetischer Prägung oder kultureller Normen allein seien es auch individuelle Persönlichkeitsmerkmale, die mitentscheiden, welche Landschaft als schön empfunden wird.

2023 belegten Forscher im Fachmagazin »Journal of Personality«, dass gewisse Charaktere bestimmte Orte häufiger bevorzugten. Die Wissenschaftler nutzten Daten von knapp 2,7 Millionen Menschen im Alter von 10 bis 99 Jahren, die sich anhand der so genannten Big Five selbst eingeschätzt hatten. Als diese fünf zentralen Charaktereigenschaften gelten Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus, also emotionale Labilität. Mit Hilfe von Satellitenbildern ordneten die Forschenden die Wohnorte der Teilnehmenden verschiedenen Landschaftstypen zu. Die Auswertung ergab deutliche Zusammenhänge zwischen Charakter und Kulisse: Menschen, die sich selbst als besonders offen, kreativ und neugierig beschrieben, lebten häufiger in abwechslungsreichen Szenerien – etwa in der Nähe von Küsten oder Seen. Emotionale Sensibilität trat ebenfalls verstärkt in solchen Gegenden auf. Die Forschenden vermuten: Solche Szenerien regen die Sinne an, bieten Reize, aber auch Rückzugsmöglichkeiten – genau das, was sensible oder offene Persönlichkeiten suchen.

Weniger aufgeschlossene und gewissenhaftere Menschen fanden sich dagegen öfter in flachen, landwirtschaftlich strukturierten Regionen. Diese Gegenden bieten Ordnung, Verlässlichkeit und wenig Ablenkung, was offenbar besonders gut zu Menschen passt, die Struktur und Vorhersehbarkeit schätzen. Auch diese Studie legt damit nahe: Was schön ist, hängt vom Betrachter ab.

Dass Meer, Gipfel, Forst und Felder aber überhaupt auf diese besondere Weise zu den Sinnen und der Seele sprechen, zeigt ihre enorme Bedeutung für den Menschen. Landschaftsplaner Michael Roth hofft, diese Resonanz für den Schutz jener Kulissen nutzen zu können: Die Liebe zu ihnen sei vielleicht auch eine Motivation, die schönen Flecken der Erde zu bewahren.

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  • Quellen

Adevi, A. A., Grahn, P., Landscape research 10.1080/01426397.2011.576884, 2012

Militaru, I. E. et al., Journal of personality 10.1111/jopy.12822, 2023

Oishi, S. et al., Journal of Research in Personality 10.1016/j.jrp.2015.07.001, 2015

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