Warum verließ der Mensch seine afrikanische Heimat? Weil es ihm auf einmal zu gut ging, könnte eine überraschende Antwort lauten. Denn nachdem er Zehntausende von harten Jahren erdulden musste, förderten plötzlich besser werdende klimatische Zeiten seinen Aufbruch in die weite Welt.
Auch ohne tatkräftige Unterstützung durch den
Menschen hat sich das Klima auf der Erde schon immer gewandelt. Und
nicht nur das: Anthropologen sind davon überzeugt, dass es
just auch diese Klimaveränderungen waren, welche die Evolution
des Menschen vorangetrieben haben.
So soll es in Afrika – wo unsere Wurzeln zu suchen sind – zunehmend
trockener geworden sein: Die dichten Waldbestände schwanden
und machten einer lockeren Savannenvegetation Platz. Unsere
baumlebenden Ahnen sahen sich damit vor die Alternative gestellt,
entweder in die noch bestehenden Waldgebiete zurückzuweichen -
wo sich auch heute noch Menschenaffen wohl fühlen – oder von
den Bäumen herabzusteigen und sich den veränderten
Umweltbedingungen zu fügen. Offensichtlich wählten
sie Letzteres mit entsprechenden Anpassungen: aufrechter Gang,
gesteigerter Fleischkonsum, Werkzeuggebrauch und ein
vergrößertes Hirnvolumen.
Doch so einleuchtend diese Savannenhypothese klingt, ein Haken bleibt:
Sie ist falsch. Oder zumindest nicht ganz richtig.
Inzwischen haben Paläoklimatologen herausgefunden, dass dieser
allmähliche Klimawandel in Afrika nicht stattgefunden hat. Im
Gegenteil: Die klimatischen Verhältnisse haben sich in den
vergangenen drei Millionen Jahren mitunter sehr drastisch gewandelt.
Ausgeprägt feuchte Phasen wurden immer wieder von langen
Trockenperioden unterbrochen. Doch gerade dieser Umweltstress – so
besagt die Variabilitätshypothese – prägte unsere
Vorfahren und formte sie zu anpassungsfähigen Generalisten:
Als Spezialisten der Nicht-Spezialisierung konnten sie den
wechselnden Gegebenheiten immer wieder trotzen.
Malawisee | Der 580 Kilometer lange, bis zu 80 Kilometer breite
und über 700 Meter tiefe Malawisee gehört zu
den größten Sees des ostafrikanischen Grabenbruchs.
Bohrkerne im Sediment zeugen von der Geschichte des Klimas in dieser Region.
Die Klimakapriolen bis vor etwa einer Million Jahre könnten
also das Werden des anatomisch modernen Menschen, Homo sapiens,
maßgeblich geprägt haben. Doch was geschah vor
100 000 Jahren, als die hart gewordene Spezies sich
anschickte, ihre afrikanische Heimat zu verlassen? Genau mit
diesen Zeiten beschäftigten sich Forscher um
Christopher Scholz von der amerikanischen Universität
Syracuse.
Die Wissenschaftler wählten als Klimaarchiv das
neuntgrößte Binnengewässer der Erde: den
ostafrikanischen Malawisee. Technisch anspruchvolle Bohrungen im
Sediment des bis zu 704 Meter tiefen Sees sowie benachbarter
Gewässer förderten einen Einblick in die Geschichte
Afrikas in der Zeit von vor 135 000 bis vor
75 000 Jahren zu Tage.
Bohrschiff | Die Sedimentkerne aus dem Grund des Malawisees gewannen die Forscher mit Hilfe spezieller Bohrschiffe.
Biologische Funde – wie Pollen trockenresistenter Bäume oder
winzige Muschelkrebse, die längere Trockenphasen
überdauern konnten – neben hohen Kalzium-Gehalten
zeugen tatsächlich von
harten Zeiten: In den 60 000 Jahren müssen
sich mehrfach extreme Dürren mit
verhältnismäßig feuchten Phasen
abgewechselt haben. Zeitweise ging die Wassertiefe des Malawisees auf
lediglich 100 Meter zurück; der See hatte damit
über 95 Prozent seines Wassers verloren. Andere
ostafrikanische Gewässer trockneten gänzlich aus.
Doch dann, vor etwa 70 000 Jahren, trat Ruhe ein: Es
wurde feuchter, die Wasserspiegel stiegen wieder an, das Klima
stabilisierte sich. Diese Erholung nach den langen Jahrzehntausenden
der Unsicherheit nutzte der noch junge Homo sapiens.
Wahrscheinlich hatten nur wenige Exemplare die strenge klimatische
Schule überlebt. Doch diese – so vermuten die
Forscher – vermehrten sich jetzt prächtig, bis ihnen
schließlich Ostafrika zu klein wurde. Einige von ihnen
brachen auf und eroberten schließlich den gesamten Planeten.
Ihre Nachfahren begannen 70 000 Jahre
später, das Klima der Erde noch schneller und drastischer zu
verändern als je zuvor. Auch wenn Klimaveränderungen
die Evolution des Menschen maßgeblich gefördert
haben mögen – diesmal könnte es auch schief gehen.
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