Fossilien: Langfinger im Bernstein
Um in der freien Natur Nahrung zu finden, haben viele Tierarten kreative Strategien entwickelt. Ein anschauliches Beispiel dafür haben Wissenschaftler konserviert in einem Bernstein gefunden: einen Vogel, der vor 99 Millionen Jahren mit einem unproportioniert riesigen dritten Zeh lebte. Vermutlich angelte er damit Essbares aus Baumstämmen, schreibt das Team um Jingmai O’Connor in der Fachzeitschrift »Current Biology«.
Ein im Vergleich zu den restlichen Zehen derart überdimensioniertes Fußglied kannten Zoologen bisher weder von lebenden noch von ausgestorbenen Vögeln. Die Anatomie erinnert allerdings an den langen Mittelfinger der passend getauften Fingertiere, einer Lemurenart in Madagaskar. Fingertiere ziehen mit ihm Larven und Insekten aus Baumstämmen. Auch Eidechsen, die auf Bäume klettern, haben solche Zehen. Verlängerte Zehen sehe man generell häufig bei Tieren auf Bäumen, erklärt Autorin O’Connor von der Chinese Academy of Sciences: Gut möglich also, dass auch der Vogel ein Baumbewohner war.
Die Arbeitsgruppe hatten den Bernsteinfund mit einem kleinen CT-Gerät untersucht. Genau wie bei einer Computertomografie im Krankenhaus nutzten sie Röntgenstrahlen, um die Gliedmaßen im Bernstein zu erfassen. So maßen die Wissenschaftler, dass der mittlere Zeh 41 Prozent länger ist als der zweite und 20 Prozent länger als der Tarsometatarsus, eine Verschmelzung aus Mittelfuß- und Fußwurzelknochen.
Der Fund gehört damit zu einer neuen Art: Elektorornis chenguangi. Übersetzt bedeutet das Bernsteinvogel von Chen Guang – dem Leiter der »Amber Association«, dem die Wissenschaftler den Fund verdanken. Der Bernstein stammt aus dem Hukawng-Tal in Myanmar. Dort haben Forscher schon viele ausgestorbene Tiere in Bernstein entdeckt, unter anderem fünf Vertreter ausgestorbener Vögel. Unter diesen ist Elektorornis das erste erwachsene oder fast erwachsene Tier. Er gehört zu den Enantiornithes, einer Gruppe von fossilen Vögeln, die vor etwa 66 Millionen Jahren ausgestorben sind.
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