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Akustische Evolution: Der Sound der Saurierzeit

Vor mehr als 200 Millionen Jahren dominierten Laubheuschrecken die Klanglandschaft. Ihr vielstimmiges Zirpen könnte sogar die Evolution der Säugetiere beeinflusst haben.
Zwei Paläo-Laubheuschrecken zirpen auf einem Ast. Im Hintergrund stürzt sich ein frühes Säugetier von einem Baum, möglicherweise aus purer Verzweiflung über diese künstlerische Darstellung.
Künstlerische Darstellung zirpender Laubheuschrecken in dinosaurierzeitlicher Vegetation.

In den Städten übertönt heute das sonore Brummen der Autos Tierstimmen und Naturgeräusche. Allenfalls auf dem Land ist ab und zu das Krähen eines Hahns oder das Rascheln des Windes in den Bäumen zu hören. Den Aufstieg der Dinosaurier in der Trias dagegen begleitete das vielseitige Zirpen von Laubheuschrecken (Tettigoniidae). Das schließt eine Arbeitsgruppe um Bo Wang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften aus ihrer Analyse von fossilen Laubheuschrecken und ihrer Hör- und Zirporgane. Schon vor mehr als 200 Millionen Jahren hatte diese Gattung der Insekten ein breites Repertoire an akustischer Kommunikation entwickelt, darunter sehr hochfrequente Rufe. Nach Ansicht der Arbeitsgruppe war das Zirpen dieser Insekten deswegen zu dieser Zeit das bedeutendste und verbreitetste tierische Geräusch.

Laubheuschrecken zirpen, indem sie ihre Vorderflügel aneinanderreiben. Dabei ziehen sie eine Art Vorsprung des einen Flügels über eine aus Querrippen bestehende Schrillleiste am anderen, man nennt diese Art der Geräuscherzeugung Stridulation. Welches Geräusch dabei entsteht, bestimmen neben dem Aufbau dieser Organe auch die Flügelbewegungen. Dadurch können moderne Laubheuschrecken unterschiedliche Arten von Signalen erzeugen – zum Beispiel Paarungsrufe, aber auch andere Signale zwischen Artgenossen. Die Tiere hören solche Rufe mit Hilfe spezialisierter Ohren an den Vorderbeinen. Wie das Team um Wang berichtet, lässt sich anhand von Fossilien dieser Organe die Evolution der akustischen Fähigkeiten der Laubheuschrecken nachverfolgen.

An den mehr als 200 Millionen Jahre alten Flügelvorderkanten sahen die Fachleute, dass die Geräusche der Insekten schon zu dieser Zeit vielfältig waren. Laut der Veröffentlichung scheinen unterschiedliche Arten unterschiedliche Frequenzen zu benutzen – diese akustische Nischenaufteilung lege nahe, dass akustische Kommunikation ein wichtiger Treiber der Evolution der Insekten gewesen sei, schreibt die Arbeitsgruppe. Daneben entdeckte das Team an 160 Millionen Jahre alten Laubheuschrecken-Fossilien aus China die bisher ältesten bekannten Insektenohren. Die Strukturen zeigten, dass die Tiere zu dieser Zeit bereits moderne Ohren hatten und zum Beispiel Richtungshören beherrschten.

Aus ihrer Studie schließt die Arbeitsgruppe um Wang, dass das Zirpen der Laubheuschrecken die Klangwelt der ersten Hälfte des Erdmittelalters dominierte. Sie spekuliert außerdem, dass diese Geräuschlandschaft zur Evolution eines guten Gehörs bei frühen Säugetieren beigetragen haben könnte, die sich meist von Insekten ernährten. Das könne sogar zu einer akustischen Koevolution von Säugetieren und Laubheuschrecken geführt haben, heißt es in der Veröffentlichung. Die stimmliche Dominanz der Laubheuschrecken währte demnach einige zehn Millionen Jahre. Erst im Jura machten mit dem Auftreten von Fröschen und Vögeln andere stimmgewaltige Gruppen den Insekten Konkurrenz. Unklar ist dabei allerdings die Rolle der Dinosaurier – über deren Laute wissen wir nahezu nichts, weil ihre Stimmorgane nicht fossil erhalten sind.

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