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Indus-Zivilisation: Leben am verschwundenen Fluss

Für lange Zeit lieferte ein Fluss aus dem Himalaja gute Lebensbedingungen. Doch erst als er seinen Lauf änderte, begannen die bronzezeitlichen Städte der Induskultur zu blühen.
Mohenjo-Daro, Pakistan, Industal

Die frühen Hochkulturen Ägyptens und Mesopotamiens entwickelten sich allesamt an einem Fluss als Lebensader. Nicht anders soll dies im Fall der immer noch rätselhaften Induskultur gewesen sein, die ungefähr zur gleichen Zeit im heutigen Indien und Pakistan entstand. Doch womöglich irrten die Forscher in dieser Annahme: Laut einer neuen Studie führte bei der Induskultur erst das Verschwinden eines großen Flusses dazu, dass die frühen städtischen Siedlungen entstanden.

Die größte Konzentration an lokalen Zentren der Induskultur lag an einem trockengefallenen Flusstal; das war bereits länger bekannt. Bislang hatte man diesen Zusammenhang jedoch eher mit dem Niedergang der bronzezeitlichen Hochkultur in Verbindung gebracht. Deren "urbane Phase" begann vor rund viereinhalbtausend Jahren. Es entstanden erste richtige Städte wie Mohenjo-Daro oder Harappa und hunderte städteartige Siedlungen, oft mit eindrucksvollen Wasserbauten. Wie es nach etwa 500 Jahren zu einem markanten Niedergang kommen konnte, ist Gegenstand langer und ausgiebiger Spekulationen: Warum ließen die Menschen ihre zivilisatorischen Errungenschaften plötzlich hinter sich und lebten für die kommenden 1000 Jahre wieder in einfachsten dörflichen Gemeinschaften?

Im Verdacht haben Wissenschaftler neben klimatischen Veränderungen eben auch geologische – etwa das Verschwinden jenes Flusses, der einst das Tal durchströmte, das nach seinem eher kümmerlichen Nachfahren Ghaggar-Hakra benannt ist, und dessen Quellen die Geologen im entfernten Himalaja verorteten. Als er seinen Lauf änderte und das Ghaggar-Hakra-Tal trockenfiel, könnte auch die Lebensgrundlage der Menschen verschwunden sein.

Der Ghaggar-Hakra-Paläokanal | Das Flusstal zeigt sich in dieser Satellitenaufnahme als dunkelblaue Linie.

Für ein Team um Sanjeev Gupta vom Imperial College London war das Grund genug, mit Hilfe von Bohrkernen und Datierungsverfahren nachzuvollziehen, wie sich das Flusstal über die Jahrtausende veränderte. Im Fachmagazin "Nature Communications" publizieren sie nun ihre überraschende Erkenntnis, dass das Trockenfallen des Flussbetts der urbanen Phase der Hochkultur zeitlich vorausging – und folglich nicht zu ihrem Niedergang beigetragen haben kann. Vielmehr könnte es nach Meinung von Gupta und Kollegen die kulturelle Blüte überhaupt erst ausgelöst haben.

Laut ihrer Rekonstruktion floss bis vor 8000 Jahren der Fluss Satluj durch das Ghaggar-Hakra-Tal, änderte dann aber seinen Lauf in sein heutiges, weiter nördlich liegendes Bett. Während der Paläo-Satluj durch seine unvorhersehbaren Wassermassen größere Siedlungen an seinem Ufer nicht zugelassen hätte, bot sein trockengefallenes Bett ideale Bedingungen: Hier sammelte sich nun das Wasser der alljährlichen Monsunregenfälle und versorgte die Anwohner. Die Spuren dieses Vorgangs fanden die Wissenschaftler in Form feiner Sedimentablagerungen. Der Einschnitt in die Ebene, den der alte Satluj hinterlassen hatte, eignete sich zudem für die Errichtung von Tümpeln zur Wasserspeicherung.

Offen bleibt bei dieser Untersuchung, wie die Forscher auch selbst einräumen, warum die größten Städte der Ghaggar-Hakra-Region außerhalb des alten Flusstals liegen. Zudem scheinen sich die Menschen in vielen anderen Regionen der Induskultur nicht an der Überschwemmungsgefahr großer Flüsse gestört zu haben. Dass man auch mit einem jahreszeitlich äußerst wechselhaften Fluss in der Nachbarschaft eine herausragende Hochkultur aufbauen kann, beweisen nicht zuletzt die Ägypter mit ihrer Abhängigkeit von den Überschwemmungen des Nils.

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