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News: Lebender Paniksimulator

Eine panische Menschenmenge folgt kaum berechenbaren Regeln - was rechnergestützte Paniksimulationen unendlich erschwert. Panikmassen aus lebenden Mäusen könnten das Problem umgehen.
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Erschreckt man einen Menschen bis aufs Blut, raubt ihm seinen klaren Kopf und nüchternen Verstand, so bleibt nur eines sicher: die Unberechenbarkeit seiner Reaktion. Mehrere derart Verängstigte wirken in einer diffus bedrohten Menschenansammlung ansteckend, und oft werden sie zu den ersten fallenden Dominosteinen einer Massenpanik mit fatalem Ausgang. Erst Anfang diesen Jahres starben, kopflos zu Tode gequetscht, 21 Menschen in einem Nachtklub in Chicago, mehr als 120 vor zweieinhalb Jahren in einer überfüllten Fußball-Arena in Ghana, fast hundert 1989 bei der Tragödie im englischen Hillsborough-Stadion.

Moderne Computersimulationen sollten derartige Todesfälle in Zukunft verringern helfen: Zeigen sich mit ihrer Hilfe innere Gesetzmäßigkeiten im massenpanischen Chaos, so könnten etwa die Fluchtwege in Stadien, Konzerthallen, Hochhäusern oder Ozeandampfern sinnvoller geplant und darauf ausgerichtet werden.

Obwohl aber Paniksimulatoren durchaus hilfreiche Hinweise darauf lieferten, wie Menschenmassen in Panik reagieren, überfordert das komplexe Zusammenspiel der vielfältigen, oft bizarr anmutenden Einzelreaktionen einzelner panischer Personen selbst leistungsstärkste Rechner – auch hier bleiben Menschen eben lebende Individuen und ähneln nur wenig den einzelnen gleichförmig-schablonenhaften, nur einprogrammierten Regeln folgenden Datenpunkten einer nüchternen Computersimulation.

Caesar Salomar und seine Kollegen von der University of the Philippines suchten nach Wegen, eine Massenpanik an lebenden Objekten naturgetreuer simulieren zu können. Sie verfielen auf das Lieblings-Versuchskaninchen vieler Labors, die Maus. Die Wissenschaftler entwickelten einen Experimentaufbau, in dem sie Mäusemassen in panische Flucht versetzten konnten, ohne die Nager dabei wirklich ernsthafter Lebensgefahr aussetzen zu müssen. Dazu setzten sie geeignete Massen der notorisch wasserscheuen Tiere in einem wassergefüllten Käfig ab, von dem aus sie sicheren, trockenen Boden nur schwimmend erreichen konnten – wozu sie sich allerdings durch enge Öffnungen zwängen mussten.

Die gestressten Mäuse reagierten in diesem Versuchsaufbau genau so, wie Computersimulationen dies auch für Menschen in vergleichbaren Situationen – etwa der panischen Flucht aus einer großen Veranstaltungshalle – vorhersagen. Beispielsweise fördert Ausweglosigkeit scheinbar Toleranz: Ist nur eine einzige, enge Ausgangsöffnung vorhanden, so bildeten die Mäuse regelmäßig geordnete Schlangen. Dadurch entkamen sie ihrem unfreiwilligen Schwimmbad schneller als Kollegen, die gleich mehrere, auch größere Ausgänge zur Verfügung hatten: Um diese bildeten sich flugs undurchdringliche Massen streitender Versuchstiere, was die Evakuierung deutlich verlangsamte.

Die Forscher hoffen, dass mit Hilfe ihres lebenden Maus-Paniksimulators nun computergenerierte Vorhersagen massenpanischer Verhaltensmuster überprüfbar werden – ohne, dass dafür wirkliche Paniksituation abgewartet werden müssen. Im wirklichen Leben würden allerdings simulierte Computermassen und kopflose Mäuse vielleicht ohnehin anders reagieren als panische Menschen. Laut Ed Galea, einem Sicherheitsexperten der University of Greenwich seien psychologische, gruppendynamische Effekte in Menschenmassen auch bei Panik wirksam, etwa ein hoher Grad von Selbstlosigkeit innerhalb einer Schicksalsgemeinschaft angesichts gemeinsamer Gefahr. Und: Oft seien nicht irrationales Verhalten einzelner verantwortlich für eine Massenpanik – sondern schlicht der Zufall, der irgendwen irgendwo über irgendetwas stolpern lässt.

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