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Kuriose Therapie: 'Lebendes Antibiotikum' in Laborfischen getestet

Wo selbst moderne Medizin nicht mehr wirkt, könnte bald ein parasitisches Bakterium Abhilfe schaffen. Eine neue Studie untersucht das Konzept in Zebrabärblingen.
Bakterienkolonien auf Petrischalen und eine Spritze

Bakterien, die andere Bakterien angreifen und zerstören, könnten im Kampf gegen schwer behandelbare Keime zum Einsatz kommen – das hoffen Forscher um Alexandra Willis vom Imperial College London. Den unkonventionellen Behandlungsansatz hat das Team nun erfolgreich in mit Shigellen infizierten Zebrabärblingen getestet. Mit räuberischen Bakterien der Spezies Bdellovibrio bacteriovorus behandelte Laborfische hatten deutlich bessere Überlebenschancen als ihre unbehandelten Artgenossen, und die Wissenschaftler beobachteten nur leichte Nebenwirkungen.

Ihre Therapie testeten die Forscher an frisch geschlüpften Fischlarven, die sie zuvor mit antibiotikaresistenten Shigella-flexneri-Bakterien infiziert hatten. Die Keime, die beim Menschen gefährliche Durchfallerkrankungen auslösen, sind in der verwendeten Dosis für Zebrabärblinge zumeist tödlich. Nur rund 25 Prozent der unbehandelten Jungtiere waren drei Tage nach der Infektion noch am Leben. Mit zusätzlicher Bdellovibrio-Injektion stieg der Anteil jedoch auf etwa 60 Prozent – es überlebten mehr als doppelt so viele dank Bakterienkur.

In den transparenten Fischlarven konnten die Wissenschaftler das Zusammenspiel der verschiedenen Bakterienarten direkt beobachten. So bestätigten sie, dass Bdellovibrio in die Shigella-Keime eindringt und diese von innen zerstört. Auch in manchen Immunzellen der Fische entdeckten sie Bdellovibrio-Bakterien. Offenbar erkannte das Immunsystem der Tiere die Keime als mögliche Bedrohung und bekämpfte sie. Die Forscher meinen, dass das Bakterium so nach der Therapie natürlich aus dem Körper der Tiere entfernt werden könnte. Gut verträglich sei die Bakterienbehandlung jedenfalls, denn eine Infektion mit Bdellovibrio allein löste in den Fischen keine Besorgnis erregenden Krankheitszeichen aus – auch wenn sie Entzündungswerte im Blut leicht erhöhte.

Diese entzündungsfördernde Wirkung sei möglicherweise sogar ein Vorteil der Behandlung, vermuten die Wissenschaftler. Sie fanden nämlich heraus, dass die Bdellovibrio-Therapie eine Art von weißen Blutkörperchen vermehrt zu Infektionsherden lockt. Diese Immunzellen, genannt Neutrophile, sind natürliche Feinde von Krankheitskeimen. Sie tragen auch zur Bekämpfung der Shigella-Bakterien bei: Manipulierte Fische, die sie nicht bilden konnten, starben ohne Behandlung ausnahmslos an der Infektion. Bdellovibrio-Gaben retteten etwa ein Viertel der Fische – deutlich weniger als die rund 60 Prozent in den Larven mit intaktem Immunsystem. Die Forscher schlussfolgern daraus, dass Bdellovibrio die natürliche Körperabwehr bei der Bekämpfung der Keime unterstützt.

Diese Art von Therapie an Menschen zu testen, ist schon allein wegen regulatorischer Hürden schwer vorstellbar. Lebende "Wirkstoffe" wie die Bdellovibrio-Bakterien sind nur schwer zu standardisieren, zudem lässt sich kaum eine Garantie dafür geben, dass sie auch dauerhaft unter Kontrolle bleiben. Einfacher ist dagegen der Einsatz bei Tieren. Die aktuelle Studie reiht sich an frühere Erfolge bei Hühnern und Rindern und zeigt, dass Nutztiere eventuell bei einer Reihe von Infektionen von Bdellovibrio-Behandlungen profitieren könnten.

Rund 80 Prozent des Antibiotikaverbrauchs entfällt derzeit auf die Viehwirtschaft. Die Industrie steht darum im Verdacht, an der Erzeugung und Verbreitung von resistenten Keimen beteiligt zu sein. Oft werden die Wirkstoffe hier nämlich nicht nur im Krankheitsfall, sondern auch vorbeugend oder zur Wachstumsförderung eingesetzt. Strategien, die den Gebrauch von wichtigen Medikamenten vermeiden, könnten sich für unsere Gesundheit lohnen. Panresistente Bakterien – also solche Keime, die gegen alle bekannten Antibiotika immun sind – gibt es bereits, und sie breiten sich weiter aus. Spitzt sich die Situation weiter zu, könnten immer mehr Menschen an zuvor gut behandelbaren Infektionskrankheiten sterben.

(Spektrum.de, 23. November 2016)

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