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Lebensmittel: Was bedeutet die Lockerung der Gentechnikregeln?

Unterhändler der EU haben sich auf eine Lockerung der Vorgaben zur Grünen Gentechnik geeinigt. Wie werden gentechnisch veränderte Lebensmittel künftig gekennzeichnet? Was sich für Obst, Gemüse und die Wahlfreiheit der Verbraucher ändert.
Eine Person mit einem braunen Rucksack schiebt einen Einkaufswagen durch einen Supermarktgang. Die Regale sind mit verschiedenen Lebensmitteln und Produkten gefüllt. Die Person trägt ein gelbes Oberteil und ist von hinten zu sehen.
Im Supermarkt könnte es für Verbraucher bald schwieriger werden, gentechnisch veränderte Lebensmittel zu erkennen.

Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments einigten sich am 04. Dezember in Brüssel darauf, bestimmte gentechnisch veränderte Lebensmittel von den bislang strengen EU-Gentechnikvorgaben auszunehmen. 

Wie ist Grüne Gentechnik bisher geregelt und was ändert sich?

Seit 2001 gelten in der EU strenge Regeln für Grüne Gentechnik. Dazu gehören langwierige Verfahren zur Zulassung, die Pflicht zur lückenlosen Nachverfolgbarkeit zwischen Acker und Teller sowie die Auflage, Lebensmittel mit einem Gentechniklabel zu kennzeichnen. In Europa haben deshalb vor allem kleine und mittelgroße Pflanzenzüchter die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich weitgehend auf Eis gelegt. Im Gegensatz etwa zu den USA, China und Brasilien ist in der EU der Anbau von Pflanzensorten aus biotechnischen Zuchtmethoden – mit Ausnahme von relativ kleinen Flächen in Spanien und Portugal – nie wirklich in Gang gekommen. Nach Jahren der Diskussion hat die EU-Kommission 2023 einen Vorschlag unterbreitet: Neue Pflanzensorten, die mithilfe neuer genomischer Techniken (NGT) entstanden sind, sollten demnach nicht mehr den strengen Regeln für Grüne Gentechnik unterliegen.

Nun wurde ein Kompromiss gefunden, bei dem künftig in zwei Kategorien unterschieden wird: NGT-1 umfasst Pflanzen, die mithilfe präziser Verfahren wie der Genschere CRISPR nur minimal verändert wurden. Bei ihnen werden einzelne Bausteine im Genom an genau definierten Stellen ausgetauscht, ohne artfremde Gene. Solche Sorten gelten als naturidentisch und sollen künftig weniger streng reguliert werden. NGT-2 hingegen bezeichnet Pflanzen, deren Erbgut deutlich von dem ihrer natürlichen Verwandten abweicht oder die Gene aus anderen Organismen wie etwa Bakterien tragen. Für sie bleiben die bisherigen strengen Vorgaben bestehen. Zudem gehört dazu ein gesondertes Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung, das meist mehrere Jahre dauert. Damit rückt erstmals das Produkt in den Mittelpunkt der Bewertung, nicht mehr der Prozess – eine grundlegende Kehrtwende in der europäischen Gentechnikpolitik. 

Was bedeuten die Änderungen für Verbraucher?

Sobald das EU-Parlament und die EU-Staaten die neuen Vorgaben bestätigen – was als Formsache gilt – , können Verbraucher künftig nicht mehr sofort erkennen, ob ein Lebensmittel durch moderne Gentechnikverfahren verändert wurde. Verbraucherschützer haben das Vorhaben deshalb in der Vergangenheit deutlich kritisiert. In Deutschland haben Produkte, in denen gekennzeichnete gentechnisch veränderte Pflanzen verarbeitet sind, im Handel derzeit keine Bedeutung. 

Die Biolandwirtschaft soll in Zukunft weiterhin gentechnikfrei bleiben. Jedoch soll es laut Parlament keinen Verstoß darstellen, wenn es um ein »technisch unvermeidbares Vorhandensein« von Gentechnik geht. Eine Kennzeichnungspflicht für Saatgut soll sicherstellen, dass Landwirte weiterhin die Wahl haben, welche Lebensmittel sie anbauen wollen. 

Sind die Methoden für Verbraucher sicher?

Neue Sorten müssen weiterhin gesetzlich geprüft und zugelassen werden. Sprich: Komplett ungeprüft gelangen auch künftig keine gentechnisch veränderten Pflanzen auf den Markt. Risiken gibt es zudem auch bei herkömmlichen Züchtungsmethoden. Ein Beispiel: Die konventionell gezüchtete Lenape-Kartoffel enthielt nach der Kreuzung mit einer schädlingsresistenteren Wildkartoffel einen erhöhten Gehalt von natürlich vorkommenden, giftigen Glykoalkaloiden und musste wieder vom Markt genommen werden. 

Welche Vorteile können neue Gentechnikverfahren bieten?

Viele Forscher sehen enormes Potenzial in modernen Methoden der Gentechnik: So könnte man etwa neue Weizensorten entwickeln, die gegen Mehltau resistent sind, sowie stressresistente Mais- oder allergenfreie Erdnusspflanzen; aber auch widerstandsfähigere Pflanzen mit Blick auf Hunger und Klimakrise sind denkbar. Außerdem erhoffen sich Befürworter, dass europäische Landwirte wettbewerbsfähiger werden, da in anderen Ländern schwächere Regeln für moderne Gentechnikverfahren gelten. 

Welche Risiken sehen Kritiker? 

Kritiker befürchten, dass die neuen Methoden weit über das hinausgehen, was herkömmliche Züchtungen leisten können. Die Ökologin Katja Tielbörger warnte etwa davor, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen in der Wildnis ausbreiten könnten. Dies berge Risiken für das Gleichgewicht eines Ökosystems. 

Wie beeinflusst das den Einsatz von Pestiziden? 

Resistentere Sorten könnten es ermöglichen, dass weniger Pestizide eingesetzt werden müssen. Doch es könnten auch Pflanzen mit einer höheren Toleranz gegen Unkraut- und Insektenvernichter angezüchtet werden, was wiederum zu einem höheren Einsatz der Pflanzenschutzmittel führen könnte. Laut dem liberalen Europaabgeordneten Pascal Canfin sollen aber Sorten, die gegen Herbizide resistent sind oder Insektizide produzieren, nicht auf dem europäischen Markt zugelassen werden. Dänemarks Landwirtschaftsminister Jacob Jensen sagte: »Diese neuen Sorten könnten widerstandsfähiger gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels wie Dürren oder Überschwemmungen sein und weniger Düngemittel und Pestizide benötigen.«

Wie viel Gentechnik steckt bereits in unserem Essen? 

Indirekt landet Gentechnik längst auf unseren Tellern. »Keine Kennzeichnungspflicht besteht für Produkte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden«, heißt es auf der Internetseite des Ministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat. Auch genetische Veränderungen durch Bestrahlung oder Chemikalien sind bereits jetzt teils von der Regulierung und Kennzeichnung nach Gentechnikrecht ausgenommen. 

Was wurde zu Patenten beschlossen? 

Der Kompromiss erlaubt Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen. Ausnahmen gelten laut Parlament für Merkmale, »die in der Natur vorkommen oder auf biologischem Wege hergestellt werden«. Der Deutsche Bauernverband sieht Patente auf neue Züchtungen kritisch. »Wenn zentrale Pflanzeneigenschaften von einzelnen Unternehmen monopolisiert werden, verlieren unsere Landwirte und kleine und mittelständische Züchter den Zugang zu wichtigem genetischem Material«, sagte die Generalsekretärin des Deutschen Bauernverbands, Stefanie Sabet, gegenüber der dpa. 

Was sind die nächsten Schritte? 

Die neuen Vorgaben müssen noch vom EU-Parlament und den EU-Staaten bestätigt werden. Nach der Einigung der Unterhändler der Institutionen gilt dies als Formsache. Der Grünen-Abgeordnete Martin Häusling rechnet jedoch damit, dass der Kompromiss im Europaparlament nur mit Unterstützung von Rechtsaußen-Fraktionen eine Mehrheit findet. Das war in jüngster Zeit bei anderen Vorhaben auch der Fall. (dpa/doe)

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