Lebensmitteltechnologie: Palmöl-Ersatz aus dem Braukessel

Der drei Meter hohe Stahlkessel mit einem Fassungsvermögen von 1000 Litern sieht aus wie ein gewöhnlicher Braubottich, der Blick ins Innere offenbart eine gelb-milchige Flüssigkeit. Doch handelt es sich hierbei nicht um eine neue Biersorte, sondern um eine Alternative für Palmöl. Ich bin zu Besuch an der TU München Garching, wo das Start-up Global Sustainable Transformation (GST) ein Labor gemietet hat. Das Ziel der Forschung: einen Ersatz für tropische Öle und Fette wie Palmöl, Kokosöl oder Kakaobutter herzustellen – mit Hilfe von Mikroben und ohne Ackerland. Würde dies großtechnisch gelingen, könnte man damit einem der weltweit drängendsten Umweltprobleme entgegenwirken.
Was ich in Garching im Bottich sehe, könnte bald den Weg in Lebensmittel finden. Ich bekomme einen Glaskolben gezeigt, in dem ein Öl schwappt, das chemisch völlig identisch zu Palmöl ist. Mahmoud Masri, CEO des Münchner Start-ups, ist mit einer großen Handelskette im Gespräch. Dort wurden bereits Produkttests mit dem Stoff durchgeführt. »Das Öl wird von Hefen hergestellt, die auf Rest- und Nebenprodukten der Lebensmittelherstellung wachsen, beispielsweise auch Brotresten oder Stroh«, sagt Masri.
Die verwendete Hefe ist spezialisiert auf die Produktion von Fettsubstanzen, die sie in Zellvakuolen anreichert. Der Fettanteil am Trockengewicht der Zellen beträgt 85 Prozent, bei normalen Hefezellen sind es nur 6 bis 8 Prozent. Sind die Hefen im Fermenter fertig mit der Umwandlung ihrer Nährstoffe, wird die flüssige Masse von den Feststoffen abgetrennt und das Öl extrahiert. Masri hat hierfür ein schonendes Verfahren mit Enzymen entwickelt – als Alternative zu gängigen Methoden, die auf giftige Lösungsmittel wie Hexan setzen, um die fetthaltige Masse abzuscheiden.
Verbesserte Ökobilanz
Die separierten Feststoffe werden erneut als Futter für die Hefen verwendet, ebenso gelangt das Wasser in den Kessel zurück – ein Kreislaufprozess. »Wenn wir Restprodukte aus der Lebensmittelproduktion einsetzen, sparen wir pro Liter Öl 65 Prozent Kohlenstoffdioxid und drei Quadratmeter Regenwald ein im Vergleich zu Palmöl«, sagt Masri. Wichtig war ihm auch im Hinblick auf die Vermarktung, dass die Hefen nicht gentechnisch verändert sind. »Das Hochskalieren auf große Produktionsmengen ist für 2026 geplant. Wir streben für dieses Jahr eine Produktionsmenge von 500 Tonnen Hefeöl an«, sagt Masri. »Die Kosten werden infolge dieses Upscalings sinken, voraussichtlich etwa auf das Kostenniveau von Bio-Palmöl.«
Die Vorteile liegen auf der Hand: Für die Herstellung müsste kein tropischer Wald gerodet werden, wie es für das Anlegen von Palmölplantagen schon seit Jahren geschieht. Im Jahr 2000 wuchsen Ölpalmen laut der Welternährungsorganisation FAO auf einer weltweiten Gesamtfläche von zehn Millionen Hektar; 2022 waren es bereits 28 Millionen Hektar, der Großteil davon in Indonesien und Malaysia. Indonesien hat unter anderem dadurch einen erheblichen Teil seiner Urwälder verloren – seit 1990 insgesamt etwa 25 Prozent. Denn der Hunger nach Palmöl ist riesig. Es steckt in Biodiesel sowie in Kosmetik und Reinigern. Zudem macht es Kekse knusprig, Schokofüllungen cremig und Nutella streichzart. Prognosen zufolge wird die Nachfrage nach Palmöl weiter steigen. Allein für das Hauptanbauland Indonesien würden bis zum Jahr 2050 rund 20 bis 45 Millionen Hektar mehr Fläche benötigt.
In Malaysia ist allein die Palmölindustrie für rund die Hälfte der landesweiten CO2-Emissionen verantwortlich
Das Roden von fruchtbaren Torfwäldern führt jedoch zu einer immensen Freisetzung von Klimagasen – in Malaysia ist allein die Palmölindustrie für rund die Hälfte der landesweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Verwandelt man Urwaldgebiete in Palmölplantagen, gelangen dadurch zwischen 70 und 117 Tonnen CO2-Äquivalente pro Hektar und Jahr in die Atmosphäre.
Palmöl mit fraglicher Zertifizierung
Durch die Abholzungen schwindet zudem die Biodiversität; es werden geschützte Tiere wie Orang-Utans vertrieben sowie Überschwemmungen und Erdrutsche begünstigt. Auch das Überspringen von Krankheiten von Tieren auf Menschen wird wahrscheinlicher, wenn der Mensch immer mehr Wildnis urbar macht, was neuen Pandemien den Boden ebnet. Viele Lebensmittelhersteller beziehen zwar nach eigenen Angaben nachhaltig produziertes Öl, so genanntes RSPO-Öl, für das keine Primärwälder geopfert werden dürfen. Im Jahr 2024 waren 5,2 Millionen Hektar Palmölplantagen entsprechend RSPO-zertifiziert, also ein Sechstel der gesamten Anbaufläche. Aber GST-Chef Masri meint: »Da wird viel umetikettiert, und so gelangt doch einiges an umweltschädlichem Palmöl nach Deutschland.« Eine wissenschaftliche Studie stellte bereits 2019 fest, dass auf rund 40 Prozent der zertifizierten Flächen Wald verloren geht.
Also lieber mehr Rapsöl oder Sojaöl anbauen? Andere Pflanzen mit den daraus hergestellten Ölen taugen kaum als Ersatz, da sie weniger Ertrag bringen. Raps, Sonnenblumen oder Oliven brauchen entsprechend mehr Anbaufläche und damit auch mehr Dünger und Pestizide, um die starke Nachfrage zu bedienen. »Ihr Anbau wäre darum teils umweltschädlicher«, sagt Ilka Petersen von der Umweltorganisation WWF. In Sachen Klimaschutz haben die Speiseöle jedoch eine ähnliche Bilanz: Die Herstellung von einem Kilogramm Sonnenblumen- oder Olivenöl emittiert 3,2 Kilogramm CO2-Äquivalente, Palmöl aus nachhaltigem Anbau liegt bei 3,4 Kilogramm.
Laut einer neueren Idee könnte zumindest ein Teil der Produktion durch Camellia-Öl ersetzt werden. Der dem Tee verwandte Strauch Camellia olifeira ist recht ertragreich und gedeiht auch auf kargen Böden. Ein chinesisches Forscherteam hat berechnet, dass der Ersatz von elf Prozent der herkömmlich genutzten Ölpflanzen durch Camellia-Sträucher etwa 14 Prozent Treibhausgase und neun Prozent Pestizidnutzung einsparen könnte, und das bei steigenden Einkommen für die Landwirte. Auch über die Nutzung von Macauba-Öl wird geforscht. Die Macauba-Palme wächst ähnlich effizient wie die Ölpalme, hat jedoch den Vorteil, dass sie auch außerhalb der Tropen gedeiht und sich mit kargen Böden zufriedengibt. Dennoch gilt das ökologische Potenzial pflanzlicher Alternativen als begrenzt.
Mikrometergroße Biofabriken
Verheißungsvoller scheinen Alternativen aus Mikroben, wie sie das Unternehmen GST entwickelt. So hat auch die Firma Colipi, eine Ausgründung aus der Technischen Universität Hamburg, ein Hefeöl zum Palmöl-Ersatz entwickelt. In einem vorgeschalteten Prozess nutzten die Fachleute so genannte Knallgasbakterien, die CO2, O2 und H2 in Zucker umwandeln. Dieser wiederum kann an die Hefen verfüttert werden. Das macht das daraus gewonnene Öl sogar zur CO2-Senke. Laut eigenen Angaben könnte Colipi in absehbarer Zeit 5000 bis 10 000 Tonnen Öl pro Jahr erzeugen. Derzeit ist das Produkt aber noch sehr viel teurer als Palmöl und darum vor allem für Kosmetik-Hersteller im Hochpreissegment interessant.
Daneben hat ein deutsches Forschungskonsortium Speiseöl mit Hilfe des einzelligen Pilzes Ustilago maydis aus Maisstroh erzeugt. Das gewonnene Produkt ähnelt in seiner Fettsäurezusammensetzung dem Palmöl stark. An dem Konsortium namens NextVegOil sind die RWTH Aachen sowie die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf beteiligt. Der Pilz wurde ursprünglich als Maisschädling bekannt, der Ernten unbrauchbar machte. Nach entsprechender gentechnischer Veränderung stellt er nun ein Speiseöl her. Das geschieht bislang allerdings nur im Labormaßstab, die Berechnung von Ökobilanzen steht darum noch aus. Die Kosten sind jedenfalls noch ein Problem: »Wir haben uns hinsichtlich der Stoffzusammensetzung ein wenig von Palmöl wegbewegt, da wir preislich damit nicht konkurrieren können«, sagt der Biotechnologe Marcel Mann von der RWTH Aachen.
In der Lebensmittelindustrie ist die Fettsäurezusammensetzung von Palmöl beliebt, da es nicht schnell ranzig wird und kaum Eigengeschmack hat. Von Ernährungsexperten wird es dagegen eher kritisch beäugt. Denn die Lipidverbindungen enthalten hauptsächlich gesättigte Fettsäuren, die unter anderem das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten steigern, weil sie das Cholesterin im Blut erhöhen, dadurch die Entstehung von Plaques begünstigen und die Gefäße so starrer machen. Ein Forschungsteam an der Queen Margaret University in Edinburgh hat darum eine Palmöl-Alternative namens PALM-ALT entwickelt, die 88 Prozent weniger gesättigte Fettsäuren enthält. Zudem verursacht ihre Herstellung 70 Prozent weniger CO2-Emissionen. Die Ausgangssubstanzen sind unter anderem Rapsöl, der Ballaststoff Beta-Glukan und Abfälle aus der Leinsamenproduktion. Das Endprodukt besitzt die Konsistenz von Mayonnaise und hat seine Eignung laut der Forschungsgruppe bereits in Backversuchen und Verbrauchertests bewiesen. Derzeit prüfen industrielle Partner die finanziellen Aspekte. »Ob es wirklich konkurrenzfähig sein wird, können wir erst danach sagen«, erläutert Catriona Liddle, Lebensmitteltechnologin an der Queen Margaret University, die das Ölprodukt mit ihrem Team entwickelt hat.
»Alle verfügbaren heimischen Rohstoffe nutzen«
Ein Vorteil solcher biotechnologisch erzeugten Öle liegt darin, dass sie sich lokal herstellen lassen. Man ist damit weniger abhängig von weit entfernten Produktionsgebieten, und auch die teuren Ferntransporte fallen weg.
Diskutiert wird ebenfalls, Palmöl durch Öle aus Insekten oder Meeresalgen zu ersetzen. Für die Herstellung von Fischfutter etwa wird bereits Insektenöl eingesetzt, das aus den Larven der Schwarzen Soldatenfliege gewonnen wird. Da es einen Eigengeschmack besitzt, ist sein Einsatz in Lebensmitteln für den menschlichen Verzehr allerdings nur bedingt möglich. Seetang enthält ebenfalls Öle, die sich theoretisch eignen würden. Ihre Gewinnung verbraucht jedoch viel Energie, weswegen heute noch kein Algenöl als Palmöl-Ersatz in der engeren Testphase ist.
Die große Frage bleibt: Kann Palmöl in nennenswerten Mengen durch alternative Öle ersetzt werden? »Hefeöl könnte zumindest einen Beitrag leisten, den weltweiten Ölbedarf umwelt- und sozialverträglicher zu decken«, sagt Ilka Petersen. »Die erzielbaren Mengen sind aber noch klein.« Derzeit werden weltweit 80 Millionen Tonnen Palmöl pro Jahr gewonnen. Dagegen wirken Produktionsmengen von 500, 5000 oder 10 000 Tonnen, wie sie Unternehmen wie GST oder Colipi planen, winzig. Timo Hardiman vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik zeigt sich trotzdem optimistisch: »Um Palmöl realistisch ersetzen zu können, ist es wichtig, alle verfügbaren heimischen Rohstoffe zu nutzen und daraus möglichst alle Biomasseanteile zu verwenden, nicht nur die Ölfraktion.« Die Verwertung von Abfällen spare wiederum CO2 ein. Alle Alternativerzeugnisse, die auf diese Weise hergestellt werden, seien erst einmal als sinnvoll anzusehen.
Ilka Petersen meint dennoch, dass kein Weg daran vorbeiführe, den herkömmlichen Palmölanbau zu verbessern. Als Verbraucher kann man derweil mit einem verringerten Konsum hoch verarbeiteter Lebensmittel wie Brotaufstrich, Margarine, Keksen oder Tiefkühlpizza zu mehr Klimaschutz beitragen. Und lebt damit zugleich gesünder.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.