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Zellstoffwechsel: Leerlauf für stotternde Giftmotoren

Sauerstoff ist janusköpfig: gut zum Verfeuern, aber auch giftig und gefährlich wegen anfallender Verwertungsrückstände. Alle atmenden Körperzellen wandeln deshalb stets auf einem schmalen Grat zwischen zu hohen und zu niedrigen Sauerstoff-Konzentrationen, zwischen Tod durch Verhungern und ungesundem Überfluss. Auch Tumorzellen tänzeln zwischen diesem Abgründen - und könnten schon bald einen balancestörenden Schubs durch neue Medikamente bekommen.
Es geschah vor langer Zeit, schlagartig und folgenschwer: Ein Gift begann Überhand zu nehmen und bedrohte bald fast alles Leben auf der Erde. Sauerstoff, so der Name des lebensfeindlichen Stoffes, gelangte vor rund 2,2 bis 2,4 Milliarden Jahren mehr und mehr in die Atmosphäre über dem keimenden Frühleben unseres Planeten. Schuldig waren Cyanobakterien – die ersten und in jener Zeit einzigen Organismen, welche die heute übliche Fotosynthese beherrschten und mit dem anfallenden Abfallprodukt alle friedlich im Sauerstofffreien hausenden Mikroben bedrohten.

Aber keine Krise ohne Chance: Erst der zunehmende Sauerstoff machte das Leben, wie wir es heute kennen, möglich – und verurteilte gleichzeitig alle konservativen, auf dem althergebracht anoxischen Lebenstil beharrenden Lebensformen zu im Verborgenen vegetierenden, luftabgeschlossenen Schattenexistenzen. Anpassungsfähige und findigere Lebewesen nutzten dagegen nach und nach das Brennstoff-Potenzial des sich häufenden Giftes zu ihrem Vorteil: Sie lernten Nahrungsbestandteile mit Sauerstoff in extra eingesourcten Zellkraftwerken, den Mitochondrien, kontrolliert zu verbrennen und dabei viel mehr Energie zu gewinnen als je zuvor.

So wurde dann für manche aus Bedrohung schließlich Notwendigkeit: Heute kann kaum eine Sauerstoff veratmende Zelle unseres Körpers mehr längere Zeit ohne O2-Nachschub existieren. Mangel – die Hypoxie – führt zum Zelltod oder zumindest zu Unannehmlichkeiten: Wie vor Urzeiten üblich, kann die Zelle den der Nahrung entlockten Molekülen nur per Glykolyse – dem Abbau von Zucker zu Pyruvat – Energie abringen. Statt das anfallende Zwischenprodukt Pyruvat nun aber zur Veratmung mit Sauerstoff in die Mitochondrien liefern zu können, wird daraus notgedrungen Milchsäure, also Laktat, geschustert. Energiegewinn: Keiner – die Maßnahme ist aber notwendig, um wenigstens die vorherigen Verwertungsschritte der Glykolyse auch unter Sauerstoffmangel-Bedingungen weiter ablaufen lassen zu können.

Damit ist Aspekt eins der Zwickmühle gezeichnet, in die Zellen ohne ausreichende Sauerstoffversorgung geraten: Sie können nur ein Bruchteil der Energie produzieren wie unter aeroben Bedingungen. Die wenig Energie liefernde Glykolyse wird als Überbrückung demnach massiv angekurbelt – was schon vor mehr als einem Jahrhundert von Louis Pasteur entdeckt und seitdem als "Pasteur-Effekt" seinen Weg in Lehrbücher fand. In überanstrengten Sportlermuskeln kennt man den Effekt als Übersäuerung der Muskelzellen durch Laktat. Ein Trost: Mittlerweile als falsch erkannt – und demnach aus Lehrbüchern wieder gestrichen – ist die alte Weisheit, die massenhaft anfallende Milchsäure sei Ursache des Muskelkaters.

Aspekt zwei der Hypoxie-Zwickmühle ist schwerwiegender. Bei sehr geringen Sauerstoffmengen läuft nämlich die Veratmungsmaschinerie unrund weiter und produziert dabei sogar vermehrt reaktive Sauerstoffspezies, die so genannten ROS. Diese Radikale gefährden die Zelle wegen ihrer ziel- und zügellosen Reaktivität stark. Genau jene ROS werden als letzlich häufigste Todesursache von Zellen unter Hypoxie angesehen. Eine nach Sauerstoff ringende Zelle muss also tunlichst Mittel und Wege finden, die ROS-Bildung einzuschränken.

Der zelluläre Ausweg aus dem Dilemma heißt HIF-1, was nun Arbeiten zweier Forschergruppen um Jung-Whan Kim von der Johns-Hopkins-Universität und Ioanna Papandreou von der Stanford-Universität näher beleuchten. HIF-1 ist ein schon seit längerem bekannter Transkriptionsfaktor. Er wirkt auf verschiedene Gene einerseits derart, dass die Glykolyse angekurbelt wird (sorgt für mehr Energie in der Zelle), zugleich aber auch jenes Enzym, welches Pyruvat für den Eintritt in die Mitochondrien umbaut, gehemmt wird (schränkt die ungewollte Produktion von ROS ein). Außerdem beschleunigt HIF-1 den Abbau zu Laktat.

Die Teams um Kim und Papandreou interessierten sich nun für alle Feinheiten der HIF-1-Aufgaben in einem ganz bestimmten Typ sauerstoffverarmter Zellen: jungen Tumorzellen. Viele Tumoren werden schließlich am Beginn ihrer todbringenden Karriere vom umliegenden Gewebe und Blutgefäßen links liegen gelassen und mit Sauerstoff nicht gerade üppig versorgt. Die Krebszellen reagieren darauf zunächst wie ganz normale Körperzellen unter O2-Armut: Sie verstärken die Glykolyse mit Hilfe von HIF-1, dem Hypoxie-Hauptverwalter. Seit langem ist schon bekannt, dass Tumoren mit verstärkter Glykolyse-Aktivität schneller wachsen und häufiger letale Folgen haben – nun wird deutlich, warum.

Wird nämlich HIF-1 unter O2-Mangel gentechnisch ausgeschaltet, dann sterben Tumorzellen viel schneller ab, fanden Kim und Kollegen nun in Zellkulturen heraus [1]. Zudem werden die Zellen ohne HIF-1 deutlich empfindlicher gegen zytotoxische Antikrebs-Medikamente wie Tirapazamin (TPZ), ergänzen Papandreou und ihr Team. Auch sie arbeiteten mit Tumoren, denen die HIF-1-Regulatoren fehlten und konnten zeigen, dass diese unter Sauerstoffmangel schon bei sehr niedrigen TPZ-Mengen zugrunde gehen [2].

Bleibt nun nur die Frage, wie HIF-1 selektiv bei Tumorzellen ausgeknipst werden kann, ohne dass der sinnvolle Mechanismus gegen kurzfristige Sauerstoffunterversorgung bei anderen Zellen des Körpers in Mitleidenschaft gezogen wird. Vielleicht ist dies gar nicht nötig, hofft Papandreou – schließlich sei HIF-1 eben fast nur bei Sauerstoffarmut angeschaltet. Im Körper von Gesunden könne dies vielleicht bei überbeanspruchten Sportlermuskeln der Fall sein, manchmal auch bei Herzmuskelzellen von akuten Infarktpatienten, oder bei ein paar wenigen anderen Zelltypen in Ausnahmesituationen. Frühe Tumoren dagegen leiden aber immer unter Sauerstoffarmut und sind daher von dem durch HIF-1 ausgelösten Programm besonders abhängig. Ein gezielt eingebrachter Cocktail aus Medikamenten wie TPZ und einem HIF-1-Inhibitor, so hoffen also Papandreaou, Kim und viele andere, versprechen nach den neuen Erkenntnissen zukünftige Erfolge beim ewigen Kampf gegen Krebs.

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