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News: Lehrreiche Transportblockade

Wenn Gehirnzellen lernen, passen sie vor allem ihre Kommunikationskultur an geänderte Umstände an. Dies gelingt offenbar mit subtil justierenden Eingriffen in die innere Zellmaschinerie.
Neuron
Philosophisch betrachtet sind gute Fragen die Grundlage allen Lernens: Antworten darauf enthüllen stets komplexere Schichten des Unbekannten. Ein Musterbeispiel einer guten Frage wäre so gesehen auch jene nach den naturwissenschaftlichen Grundlagen menschlicher Lernvorgänge. Da wird zwar so einiges noch auf längere Sicht unbekannt bleiben, immerhin geklärt ist aber wohl, dass Lernen im Gehirn mit neuronaler Kommunikation einhergeht: Innerhalb des Hirn-Nerven-Netzwerkes werden neue Fähigkeiten mit Hilfe neuer Verknüpfungen zwischen den einzelnen Nervenzellen geschaffen.

Dabei zeichnen sich die einzelnen Nervenzellen durch ihre Plastizität aus: Sie reagieren nicht einfach nur statisch auf einen an sie adressierten Reiz – etwa indem sie diesen an nachgeschaltete Neuronen stets gleichförmig weiterleiten –, sondern sie lernen vielmehr im Laufe der Zeit, den Pegel ihrer Aktivität zu dosieren.

Die molekulare Grundlage der Plastizität von Neuronen liefern so genannte NMDA-Rezeptoren. Sie dienen als Andockstelle für die chemische Botenmoleküle oder Neurotransmitter, die von der Synapse eines signalgebenden Nerven ausgeschüttet werden, über den synaptischen Spalt zum signalempfangenden Neuron wandern und so ein Nervensignal übertragen. Dieses wird um so stärker wahrgenommen – und weitergeleitet –, je mehr Neurotransmitter-NMDA-Andockvorgänge an den einzelnen Synapsen des Nerven stattfinden.

Somit ist die Anzahl aller NMDA-Rezeptoren in der Nervenzellmembran auch eine ideale Stellschraube, mit der die Empfindlichkeit der Zellen längerfristig reguliert werden kann: Weniger Rezeptoren führen zu geringerer, mehr davon zu stärkerer Signalaufnahme und -weiterleitung.

So weit, so gut, dachten sich nun ein Team von Neurowissenschaftlern um Michael Ehlers vom Medical Center der Duke University und stellte die naheliegende gute Frage: Wie reguliert nun eine Nervenzelle die Anzahl ihrer in der Membran präsentierten Rezeptoren?

Auf den ersten Blick logisch erschiene, wenn die Nervenzelle strikt nach Bedarf NMDA-Eiweiße produzieren würde. Doch ganz so einfach ist es nicht, wie die Forscher herausfanden, denn auch, als die Rezeptoranzahl eigentlich herunterreguliert werden sollte, lief der zelluläre Produktionsapparat zunächst normal an: Im Zellkern entstand wie üblich die Abschrift der DNA-Bauanleitung für NMDA-Eiweiße – die transportable Boten-RNA –, welche dann an den zellulären Protein-Produktionsanlagen der Ribosomen als Blaupause weitergeleitet wurde. Nur: die fertigen NMDA-Moleküle wurden offensichtlich auf Halde gelegt und nicht mehr zu ihrem eigentlichen Membran-Einsatzort transportiert.

Der Grund hierfür lag in einem dezent veränderten Design der NMDA-Rezeptoren: Ihnen fehlte ein charakteristischer Eiweißabschnitt, der spezialisierten Transportmolekülen als Haken dient, mit dem die Rezeptoren zu ihrem Einsatzort in der Membran transportiert werden. Dieser Produktionsfehler trat immer dann auf, wenn weniger NMDA-Moleküle benötigt wurden.

Die Ursache dieser leichten, aber wirkungsvollen Veränderung lag im so genannten alternativen Spleißen – einem Vorgang, der während der Übersetzung einer DNA-Proteinbauanleitung in die RNA-Blaupause stattfindet. Dabei werden einzelne Abschnitte der entstehenden Boten-RNA in unterschiedlichen Reihenfolgen zusammengestückelt, die dementsprechend zum Bau unterschiedlicher Eiweißendprodukte führen.

Damit verfügen die Zellen über eine Möglichkeit der Produktionsregulation, um besonders vielgestaltigen Varianten bestimmter Proteine herzustellen. Und menschliche Nervenzellen nutzen, so zeigt die Studie von Ehlers und seinen Kollegen, diesen Mechanismus offenbar, um die zellinternen Transportwege der NMDA-Rezeptoren zu modifizieren, somit die Zahl der Rezeptoren in der Membran zu regulieren – und auf diese Weise letztlich an ihrer Signalweiterleitung zu feilen. Oder, anders ausgedrückt: zu lernen.

Was den alternativen Spleiß-Mechanismus einschaltet, wäre nun im Übrigen schon eine der nächsten guten Fragen.

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