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Künstliche Käsehelfer: Lernwillige Pilze machen Käseliebhaber schnell glücklich

Nahrungsmittel schmecken oft besser, wenn man sich zuvor Hilfe von gründlich gärenden Bakterien oder Pilzen holt. Die Helfer anzulernen, ist dabei womöglich leichter als gedacht.
Camembert

Ohne Mikroben kein guter Geschmack: Vom Bier und Wein bis zum Käse, schmackhafte Getränke und Speisen sind oft eine Folgeerscheinung der Stoffwechselprozesse von hungrigen Bakterien oder Pilzen, die eine Energie liefernde Nährstoffquelle anknabbern, dabei aromatische chemische Abfälle produzieren und so, ganz nebenbei, fade Speisen für uns Menschen erfreulich veredeln. Auf diesem Weg hat die Evolution schon so manche Köstlichkeit geschaffen – und dies wohl nicht selten auch unerwartet rasant. Ein bisher aus ihrer Sicht zu wenig erforschtes Beispiel stellen nun Chemiker um Benjamin Wolfe im Fachblatt »mBio« vor: Penizillinpilze, die innerhalb kürzester Zeit ebenso schmackhafte Käsespezialitäten zu produzieren lernen wie ihr berühmtester Vertreter, der Weichkäseveredler Penicillium camemberti.

Die Mikrobiologen der Tufts University hatten die Idee zu ihrer Forschungsarbeit nach einem glücklichen Zufall entwickelt, der sich in den seit Langem vor Ort gehaltenen Kulturen von Penicillium commune ereignet hatte – einer aus der freien Wildbahn eingesammelten bläulichen Schimmelpilzvariante, die in Käsereien als Verunreinigung gefürchtet ist, weil sie, anders als die mit ihr verwandten Edelschimmel, einen deutlich unangenehmen Geschmack fördert. Irgendwann hatten die aufmerksamen Forscher in einem Teil der Laborkultur Veränderungen festgestellt: Statt nach feuchtem Keller, wie üblich, rochen die Pilze nun fast aromatisch und sahen eher appetitlich aus: »Innerhalb kurzer Zeit hatte der erst knallig-blaue, muffig riechende Pilz aufgehört, Toxine zu produzieren«, erinnert sich Wolfe. Zudem wurde die Schimmelkultur nach und nach weißlich, begann eher nach Gras zu riechen und ähnelte immer mehr einer Variante von P. camemberti.

Offenbar, so die Schlussfolgerung der Forscher, kann sich der Pilz ungemein rasch deutlich verändern. Die Forscher startete daher ein kontrolliertes Experiment zur Schimmelevolution und legten unterschiedliche Kulturen mit unterschiedlichen Zusatz- und Nährstoffen an, zum Beispiel den Käsebruchstücken, die bei der Herstellung von Cheddar benutzt werden. In den meisten Kulturschalen wuchsen die Pilze unverändert heran, in rund 30 bis 40 Prozent der Schalen aber tat sich dann nach drei bis vier Wochen Erstaunliches: Die Pilze veränderten sich und ähnelten den Camembert-Edelpilzen, wobei sie allerdings auch eine gewisse äußerliche Individualität bewahrten und zum Beispiel teilweise flockige, teilweise glatte Oberflächen zeigten.

Hinter den Veränderungen müssen bestimmte genetische Veränderungen stecken, vermuteten die Schimmelpilzexperten – und zwar wahrscheinlich solche, die bei bestimmten Umweltbedingungen unter dem Einfluss eines übergeordneten, womöglich epigenetischen Schalters häufiger angestoßen werden. Bisher ist aber völlig unklar, wo im Erbgut sich dieser Schalter verbirgt – und welche äußeren Umstände ihn umlegen. Vermutlich ist er oder ein ähnlicher Prozess aber die Basis für die gelungene Domestikation anderer Pilze durch den Menschen, die etwa bei Gärungsprozessen zur Herstellung von Wein, Bier, Käse, Sake und Co eine Rolle spielen. Weitere Untersuchungen laufen, um dem Vorgang auf den Grund zu gehen. Nebenbei denken die Forscher dabei auch darüber nach, sich einem zuletzt beliebten Trend der Ernährungswissenschaft anzuschließen und ihren Camembertpilz-Zwilling sinnvoll einzusetzen: etwa als Helfer beim Entwickeln einer lokalen Schimmelkäsevariante.

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