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News: Lesen mit links

Manche Menschen plagen sich lebenslang damit, richtig lesen zu lernen, doch die linke Gehirnhälfte spielt einfach nicht mit. Spezielle Trainingsprogramme helfen - und zwar offenbar so gründlich, dass sie sogar die Gehirnaktivität auf annähernd normalen Weg bringen.
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Sie sind genauso intelligent wie ihre Altersgenossen, haben denselben Ehrgeiz und auch dieselben Möglichkeiten, in der Schule normal lesen und schreiben zu lernen – aber es klappt nicht. Für Kinder mit Legasthenie scheinen die Buchstaben vor den Augen zu tanzen, sie stolpern auch über die kürzesten Worte, und nur mit intensivem Training gelingt es ihnen schließlich, wenn auch häufig noch stockend, mit Geschriebenem zurechtzukommen.

Viele, die gesamte Methodenpalette nutzende Blicke ins Gehirn von erwachsenen Legasthenikern offenbarten, dass die Betroffenen in der linken Hirnhälfte, und hier vor allem in der temporo-parietalen Hirnrinde, eine geringere Aktivität zeigen als Menschen ohne Lesestörung. Als bei Kindern mit Schreib-Lese-Schwäche dieselben Muster festgestellt wurden, war klar: Es handelt sich nicht um einen Langzeitschaden durch die Erkrankung, sondern offenbar um ein grundlegendes Merkmal.

Wenn sich durch Training die Leseschwierigkeiten verbessern lassen, verändern sich dann vielleicht auch diese grundlegenden Merkmale zu Gunsten der Betroffenen? Dieser Frage gingen Elise Temple von der Stanford University und ihre Kollegen nach. Mithilfe funktioneller Kernspintomographie (fMRI) untersuchten sie zunächst die Gehirnaktivität von zwanzig legasthenischen Kindern im Alter von acht bis zwölf Jahren, während diese sich in entsprechenden Lese- und Sprachtests behaupten mussten. Dann absolvierten die Kinder einen sechswöchigen standardisierten Kurs, durch den sie ihr Lautverständnis und ihre Sprachfähigkeiten deutlich verbessern konnten. Bei den meisten ging dadurch auch ihre Leseschwäche zurück, obwohl die Übungen gar nicht speziell darauf abzielten.

Acht Wochen nach den ersten Tests konnten die Kinder – wieder unter wachsamen fMRI-Augen – ihre neuen Fähigkeiten unter Beweis stellen, indem sie beispielsweise sich reimende oder übereinstimmende Buchstaben korrekt erkennen mussten. Zum Vergleich beobachteten die Forscher auch die Gehirnaktivität gleichaltriger Kinder mit normalem Lese- und Schreibvermögen, als diese sich mit den Aufgaben beschäftigten. Und die Ergebnisse lassen Hoffnung schöpfen.

Denn das Gehirnaktivitätsmuster der legasthenischen Kinder glich nach dem intensiven Training stärker jenem ihrer Altersgenossen ohne Leseschwierigkeiten. So zeigten sie beispielsweise nun in jenem Bereich der temporo-parietalen Hirnrinde, der vorher bei Tests zur Sprachverarbeitung geschwiegen hatte, ähnlich eifrige Aktivität wie bei den Kindern der Kontrollgruppe – wenn auch ganz leicht räumlich versetzt. Und auch in anderen Bereichen der linken Hirnhälfte stimmten die beanspruchten Regionen jetzt besser überein.

Doch das Muster normalisierte sich nicht nur, es offenbarte sogar eine Überkompensation: Denn zusätzlich zu den üblichen Bereichen, die zur Sprach- und Lautverarbeitung benötigt werden, aktivierten die legasthenischen Kinder nun auch einige entsprechende Regionen der rechten Hirnhälfte, um wohl die linke zu unterstützen. Dazu kamen weitere Zentren auf beiden Seiten, die mit Aufmerksamkeit zusammenhängen, eine Region im linken Hippocampus, die am Gedächtnis- und Assoziationsvermögen beteiligt ist, und ein Abschnitt, der für das visuelle Arbeiten von Wörtern eine Rolle spielt.

In verschiedenen Untersuchungen hatte sich gezeigt, dass die temporo-parietale Hirnrinde der Ort ist, an dem der Anblick von Geschriebenem mit bereits bekannten Lautmustern von Wörtern überlagert wird – so beschreiben viele Menschen Lesen als einen Vorgang, bei dem sie im Kopf ihre eigene Stimme hören, die ihnen den Text vorliest. Womöglich ist dieses Verschneiden der Informationen bei Legasthenikern gestört. Das würde auch erklären, warum das von den Kindern absolvierte Trainingsprogramm, das die sprachlichen, mündlichen Fähigkeiten und das Hörverstehen stärkte, aber nicht das Lesevermögen, letztendlich doch gegen die Leseschwierigkeiten wirkte – wenn auch nicht bei allen.

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