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LGBTQIA*: Was ist Geschlecht, was sexuelle Identität, was inter?

Bei der Frage nach dem Selbst geht es auch um sexuelle und geschlechtliche Identität. Was ist das? Wie spricht man darüber? Und wieso ist die Formulierung »falscher Körper« schwierig? Die wichtigsten Antworten.
Zwei Freunde spazieren durch die Stadt.
Bei der Frage nach dem Selbst geht es um Sexualität, die sexuelle Identität, geschlechtliches Selbsterleben und das geschlechtliche Rollenverhalten. (Symbolbild)

Man sollte sein können, wer man ist. Egal, welches Geschlecht man hat oder wen man liebt. Es ist nur natürlich, wenn Männer andere Männer lieben oder Frauen beide Geschlechter anziehend finden. Oder dass man in dem Körper einer Frau geboren ist, sich aber als Mann fühlt oder als Mensch dazwischen. Bei der Frage nach dem Selbst geht es um Sexualität, die sexuelle Identität, geschlechtliches Selbsterleben und das geschlechtliche Rollenverhalten.

Die Bezeichnung LGBTQIA* versammelt diverse Begriffe für sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten: lesbisch, schwul, bi, trans, queer, inter, asexuell – das * oder manchma auch + lässt Raum für Weiteres. Jedes Jahr im Juni findet weltweit der Pride Month statt, um die Toleranz und Vielfalt der Menschheit zu feiern und auf Missstände aufmerksam zu machen.

Was meint Gender? Was das soziale Geschlecht? Was ist sexuelle Identität, was Orientierung? Zu Beginn des Pride Month 2022 sind im Folgenden die wesentlichen Fragen beantwortet.

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Wie unterscheiden sich soziales und biologisches Geschlecht?

Das Geschlecht eines Menschen umfasst verschiedene Aspekte. Die bekanntesten sind der biologische und der soziale Aspekt. »Das biologische Geschlecht ist medizinisch messbar«, sagt Katja Wollmer, Referentin für sexuelle Bildung beim pro familia Bundesverband, »es wird uns auf Grund bestimmter Normen bei der Geburt zugeschrieben«. Man teilt es in das genetische, das gonadale, das hormonelle und das anatomische Geschlecht. Das genetische ist von den Geschlechtschromosomen definiert: Männliche Individuen besitzen ein Y- und ein X-Chromosom, weibliche zwei X-Chromosomen.

Die vorhandenen Keimdrüsen – Eierstöcke bei der Frau, Hoden beim Mann – legen das gonadale Geschlecht fest. Das hormonelle Geschlecht hängt davon ab, wie viel weibliche und männliche Sexualhormone es im Körper gibt, während das anatomische Geschlecht von Merkmalen wie Körperform, Körperbehaarung und äußeren Geschlechtsorganen bestimmt wird.

Doch auch, wenn das biologische Geschlecht theoretisch messbar ist, ist es bei manchen Menschen mehrdeutig. »Da gibt es einen Graubereich«, sagt Wollmer, »ein klassisches Beispiel ist, dass Ärzte mitunter mit dem Lineal abmessen, ob ein Neugeborenes einen sehr kleinen Penis oder eine große Klitoris hat«. Dann wurden oftmals Geschlechtsorgane bei Säuglingen operativ an »eindeutig weiblich« und »eindeutig männlich« angepasst, damit die Kinder einer Kategorie zugeordnet werden konnten. Seit dem 22. Mai 2021 ist ein solcher Eingriff in Deutschland gesetzlich verboten.

Da das hormonelle und gonadale Geschlecht nicht bestimmt werden, fallen falsche oder uneindeutige Zuschreibungen vor allem beim Aussehen und äußeren Geschlechtsmerkmalen auf, die nicht in die Norm passen.

Menschen, die sich weder eindeutig als Frau noch als Mann empfinden, nennen sich meist Interpersonen, intersexuell oder intergeschlechtlich. Sie fühlen sich keinem der beiden klassischen Geschlechter zugehörig und wollen von ihrem Umfeld keinem zugeteilt werden. Nicht-binäre Personen, die sich als weder männlich noch weiblich identifizieren, können sich als trans* und/oder inter* oder schlicht als nicht-binär verstehen.

Themenwoche »Transgender«

Die Menschheit ist vielfältig. LGBTQIA* versammelt diverse Begriffe für sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten: Lesbisch, schwul, bi, trans, queer, inter, asexuell – das * lässt Raum für Weiteres. Jedes Jahr im Juni feiert sich die Community auf verschiedene Weise. Zum Auftakt des »Pride Month« widmet sich »Spektrum.de« dem Thema »Transgender« in der Woche vom 30. Mai bis 3. Juni 2022 mit folgenden Inhalten:

Die wesentlichen Texte zum Thema »Sex und Gender – Es gibt mehr als zwei Geschlechter« finden Sie hier auf unserer Sammelseite.

Im Gegensatz zum biologischen, bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht kann das soziale Geschlecht von jedem Menschen selbst bestimmt werden. Dafür ist die Geschlechtsidentität entscheidend. »Hier müssen wir von automatischen Zuschreibungen wegkommen und zulassen, dass das, was man sieht, vielleicht nicht mit dem übereinstimmt, wie sich eine Person fühlt, selbst sieht und wahrgenommen werden will«, sagt Wollmer.

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Wie spreche ich mein Gegenüber korrekt an?

Wie kleidet sich jemand? Wie drückt die Person Empfindungen, Gedanken oder Wünsche aus? Wie gestikuliert sie? Sind die Haare lang oder kurz? Und auf welche Weise frisiert? Sitzt jemand breitbeinig auf dem Stuhl oder mit übereinandergeschlagenen Beinen? All diese Dinge ordnen Menschen binnen Millisekunden in »typisch weiblich« und »typisch männlich« ein. Das soziale Geschlecht jedoch ist an solchen Äußerlichkeiten nicht ablesbar.

»Wenn ich wissen möchte, ob jemand als Mann oder Frau oder non-binäre Person angesprochen werden möchte, muss ich nachfragen«, sagt Wollmer. Das geht am einfachsten, indem man sich danach erkundigt, welche Pronomen die Person für sich verwendet haben möchte: er/ihn, sie/ihr oder gar keine. Um non-binäre Menschen anzusprechen, schreibt man beispielsweise »Hallo Vorname Nachname« oder nutzt das Sternchen: »Lieb* Vorname Nachname«.

»Ich kann mich romantisch zu jemandem hingezogen fühlen und mir wünschen, mit dieser Person eine Beziehung oder Familie zu haben, gleichzeitig kann ich sexuell jemand anderen begehren«Katja Wollmer, Referentin für sexuelle Bildung bei pro familia

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Was hat die sexuelle Orientierung damit zu tun?

Für die meisten Menschen sind Sex und Liebe untrennbar miteinander verbunden. Es lässt sich jedoch zwischen romantischer und sexueller Anziehung unterscheiden. »Ich kann mich romantisch zu jemandem hingezogen fühlen und mir wünschen, mit dieser Person eine Beziehung oder Familie zu haben, gleichzeitig kann ich sexuell jemand anderen begehren«, erklärt Wollmer. Wie vielfältig Beziehungs- und Familienformen sind, sei heute sichtbarer in der Gesellschaft als früher. Es gibt beispielsweise Männer, die gerne Sex mit Männern haben, aber keine gleichgeschlechtliche Beziehung leben wollen. Pansexuell nennen sich diejenigen, denen das Geschlecht oder die Geschlechtsidentität eines Menschen völlig egal ist, sie interessiert einfach der Mensch.

»Unter erwachsenen Transpersonen sind etwa ein Drittel ausgehend von ihrem Transgeschlecht heterosexuell orientiert«, sagt der Jugendpsychiater Georg Romer, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Münster. Allerdings stehe die sexuelle Orientierung für sich und lasse sich nicht aus der Transidentität eines Menschen ableiten. Personen, die trans oder inter sind, können genauso hetero-, homo-, bi-, pan- oder asexuell sein wie andere auch.

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Und was die Geschlechtsidentität?

Die Geschlechtsidentität eines Menschen sagt aus, zu welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig fühlt und wie jemand von seinem Umfeld gelesen werden möchte: als männlich, weiblich, transgender oder ein anderer identifizierender Begriff. »Sie umfasst neben diesem subjektiven Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht aber auch das, was als doing gender bezeichnet wird«, sagt Wollmer, »also die Darstellung und Inszenierung der eigenen Person, wie man sich in alltäglichen Interaktionen und seinen sozialen Beziehungen gibt«. Auch als Geschlechterrolle bezeichnet. Lange ging man in der Wissenschaft davon aus, dass die Geschlechtsidentität bereits im Kindesalter manifestiert wird. Heute, sagt Wollmer, ist dieses Konzept in zeitgenössischen poststrukturalistischen Theorien umstritten.

»Es geht um die Grundsatzfrage: Bin ich in dem Korridor, der mir zugewiesen worden ist, gut aufgehoben?«, sagt die systemische Therapeutin Mari Günther vom Bundesverband Trans*. Jugendliche, die bei diesen Überlegungen mit Fragen konfrontiert würden, fänden heutzutage mehr denn je Antworten – meist mit wenigen Klicks. »Es gibt immer mehr Geschichten vom Gelingen, trans zu sein wird gesellschaftlich akzeptierter, und die Jugendlichen sehen: Ah, okay, so kann man das leben. Das ermutigt sie, sich auf die Suche nach ihrer eigenen Geschlechtsidentität zu begeben.«

  • Transgender laut ICD-11

    Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) dient weltweit als Überblick von Diagnosen. Im Jahr 2022 trat die elfte Auflage in Kraft, kurz ICD-11. Sie enthält bedeutende Änderungen für Transpersonen:

    • Im ICD-10 war »Transsexualismus« noch als »Störungen der Geschlechtsidentität« definiert und im Abschnitt »Mentale und Verhaltensstörungen« eingeordnet. Nun spricht man unter anderem von »Geschlechtsinkongruenz«.
    • Diese ist laut ICD-11 »durch eine ausgeprägte und anhaltende Inkongruenz zwischen dem empfundenen Geschlecht und dem zugewiesenen Geschlecht gekennzeichnet«. Geschlechtsvariante Verhaltensweisen und Vorlieben allein seien keine Grundlage für die Zuweisung von Diagnosen in dieser Gruppe.
    • Die Geschlechtsinkongruenz findet sich im Abschnitt »Conditions related to sexual health«.

    Wichtig zu wissen: Angewendet wird die ICD-11 in Deutschland noch nicht. Sie muss zunächst übersetzt, modifiziert und in die bestehenden Strukturen hier zu Lande integriert werden. Aktuell arbeiten Ärztinnen und Ärzte mit der ICD-10-GM Version 2022 – GM steht dabei für »German Modification«. Wie lange es noch dauert, bis die ICD-11 in Deutschland genutzt wird, ist unklar. Es wird sich aber eher um mehrere Jahre als Monate handeln.

  • Wider Pathologisierung und Stigma

    Mit der ICD-11 sollen Indikationen für somatische Behandlungen bei Trans*Personen weiterhin medizinisch begründet gestellt werden können, wenn zum Beispiel angenommen wird, dass ohne diese die gesundheitliche Lebensqualität der Betroffenen dauerhaft beeinträchtigt wird.

    »Es ist ein wichtiges Signal, dass die Geschlechtsinkongruenz nicht mehr als psychische Störung verstanden wird«, sagt der Jugendpsychiater Georg Romer. Denn trans zu sein, ist demnach auch per medizinischer Definition keine Krankheit mehr. Das könnte Transpersonen helfen, in ihrer Geschlechtsidentität anerkannt zu werden, und soll Vorurteilen entgegenwirken.

  • Was ist Genderdysphorie?

    Eine Genderdysphorie ist von einer starken, anhaltenden geschlechtsübergreifenden Identifikation gekennzeichnet. Sie kann mit Angst, Depression, Reizbarkeit einhergehen. Auch haben Betroffene oft den Wunsch, als ein anderes Geschlecht als das bei der Geburt zugewiesene zu leben.

  • Diagnose und Behandlung in Deutschland

    Wie mit Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Transgesundheit umzugehen ist, regelt in Deutschland eine S3-Leitlinie zu Diagnostik, Beratung und Behandlung. Sie stammt von 2019, berücksichtigt aber bereits die schon damals bekannten, angestrebten Änderungen der ICD. Eine Überarbeitung ist für das Jahr 2023 geplant.

Bei den meisten Menschen passt die Geschlechtsidentität zu dem bei der Geburt zugewiesenen biologischen Geschlecht. Sie fühlen sich stimmig in ihrem Körper. Menschen, die einen Widerspruch zwischen dem zugewiesenen und dem empfundenen Geschlecht fühlen, gehen unterschiedlich mit dieser wahrgenommenen Diskrepanz um.

Ist er besonders ausgeprägt, wird von einer Geschlechtsdysphorie gesprochen; man ist transsexuell. Der Zustand führt häufig zu Depressionen und Angstzuständen, viele Betroffene verspüren eine große Abneigung gegen ihren Körper. Ihr Verlangen nach den primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen, die ihrem gefühlten Geschlecht entsprechen, ist stark, ebenso wie der Wunsch, wie das andere – oder ein anderes – Geschlecht behandelt zu werden.

Geschätzte 0,005 bis 0,014 Prozent der geburtsgeschlechtlichen Männer und 0,002 bis 0,003 Prozent der geburtsgeschlechtlichen Frauen erfüllen die diagnostischen Kriterien für die Geschlechtsdysphorie laut der aktuellen Ausgabe des »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (DSM-5). Demnach müsste es mehr Transmenschen geben als jene, welche die Diagnose Genderdysphorie bekommen, nämlich Menschen, die die Kriterien nicht erfüllen.

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Wann formt sich die Geschlechtsidentität?

Einen bestimmten Zeitpunkt, an dem Personen feststellen, dass sie sich einem anderen Geschlecht als dem bei der Geburt festgelegten zugehörig fühlen, gibt es nicht. Selbst einer bestimmten Lebensphase lässt sich das nicht zuordnen. »Mitunter setzen Kinder schon im Kindergarten oder der Grundschule den Rollenwechsel gegenüber den Erwachsenen durch. So ein Kind sagt zum Beispiel sehr selbstbewusst: Ich bin ein Junge! – und protestiert, wenn es in seinem Geburtsgeschlecht angesprochen wird«, sagt Georg Romer. Andere Betroffene werden sich im Laufe der Pubertät darüber klar, dass ihr empfundenes Geschlecht nicht das biologische ist, manche Transpersonen entdecken mit Mitte 20, 30 oder 40, warum sie sich irgendwie immer irgendwie »falsch« gefühlt haben. Auch wenn die Outings in jedem Alter passieren können, finden nach jetziger Kenntnis die weitaus meisten nach der Pubertät statt.

»Es gibt jedoch kein einziges Merkmal, das vor Eintritt der Pubertät eine sichere Vorhersage erlaubt, ob sich eine Transidentität im Jugendalter weiter festigt​​«, sagt Romer. Die meisten geschlechtsdiversen Kinder haben kein Problem mit ihrem Körper und entwickeln sich unauffällig, wenn sie sich in der für sie stimmigen sozialen Geschlechtsrolle entfalten können. Die Pubertät kann eine zuvor scheinbar fest zementierte Wahrnehmung der eigenen Geschlechtszugehörigkeit in beide Richtungen durcheinanderwirbeln. »Eltern sollten ihr Kind dahin gehend aufklären, dass die Pubertät kommt und sich da einiges verändern kann – körperlich und von den Empfindungen her«, sagt Romer.

»Homosexuelle Selbstfindungsprozesse können beispielsweise den Umweg über eine vermeintlich Transphase gehen und umgekehrt«Georg Romer, Jugendpsychiater

Der Prozess, sich über das Geschlecht klar zu werden, dauert mal Monate, mal Jahre. Eltern, Freunde und andere können die Menschen nur begleiten. »Es braucht die Zeit, die es braucht«, sagt Romer. Wichtig sei, dass diese Begleitung ergebnisoffen erfolgt »und die betroffene Person ermutigt wird zur Selbstreflexion sowie dazu, die neue Rolle einzunehmen und auszuprobieren, wie sich das anfühlt«.

Es ist durchaus möglich, dass sich die Selbstfindungsprozesse zur geschlechtlichen Identität mit denen der sexuellen Orientierung vermischen. »Homosexuelle Selbstfindungsprozesse können beispielsweise den Umweg über eine vermeintlich Transphase gehen und umgekehrt«, erklärt Romer. Meint zum Beispiel: Ein Mädchen stellt fest, dass es auf Mädchen steht, aber es eigentlich mit seinem Körper gut klarkommt und ihn nicht verändern muss.

Die sexuelle Orientierung dürfe im Findungsprozess jedoch nicht überbewertet werden. »Bei Transjugendlichen erleben wir häufig, dass sie das für sich schon sehr klar haben und auf die Frage, auf welches Geschlecht sie stehen würden, mit Kopfschütteln reagieren und antworten, das spiele für ihre Transidentität doch keine Rolle«, erzählt Romer.

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Mein Körper fühlt sich unpassend an – was nun?

Das Gefühl, irgendetwas sei unpassend, ist meist um die Pubertät besonders ausgeprägt. Um Jugendlichen Zeit zu verschaffen, können Pubertätsblocker gegeben werden. Diese stoppen die Produktion der Sexualhormone Östrogen und Testosteron. Das führt zwar zu Veränderungen des Körpers, die lassen sich aber wieder rückgängig machen. Mediziner und Medizinerinnen setzen Pubertätsblocker wie Leuprorelin oder Triptorelin nur ein, wenn es hinreichend sichere Hinweise auf eine anhaltende Geschlechtsdysphorie nach Eintritt der Pubertät gibt.

»Dabei wird empfohlen, dass die Jugendlichen die Zeit unter den Blockern, in der irreversible Körperveränderungen in jedwede Richtung verhindert werden, konsequent nutzen, um zu einer Entscheidung zu kommen und diese psychisch und sozial vorbereiten«, sagt Romer. »Vor Beginn einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie sollten sie sich ihrem sozialen Umfeld outen und sich nicht nur mit dem Gedanken auseinandersetzen, ihr Geschlecht zu wechseln, sondern das auch sozial erproben, bevor eine körperliche Angleichung stattgefunden hat.«

Entscheidet der oder die Jugendliche sich gegen eine Geschlechtsangleichung – die Transition –, kann man die Blocker in Absprache mit Arzt oder Ärztin wieder absetzen. Die Pubertät setzt ein.

Mari Günther vom Bundesverband Trans* legt Wert darauf, dass die Idee des falschen Körpers eine gesellschaftliche Fehlkonstruktion ist. Nicht die Transmenschen selbst würden das Gefühl haben, falsch zu sein. sondern es würde ihnen so zugewiesen. »Unser Umfeld weist uns auf Grund äußerlich erkennbarer Geschlechtsmerkmale bestimmte Verhaltensweisen zu«, sagt Günther. »Wenn ein Kind älter wird und fragt ›Wieso soll ich das machen?‹, lautet die Antwort oft: ›Weil du ein Junge bist‹ oder ›Weil du ein Mädchen bist‹. Sinngemäß: Schau mal zwischen deine Beine, das gibt die Richtung vor. Das Kind schaut und kommt zu dem Schluss: Irgendwas ist da unten falsch.«

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Was ist eine Transition?

Gleicht eine Transperson das zugeschriebene Geschlecht an das empfundene an, sprechen Experten und Expertinnen von einer Transition. Dabei unterscheiden sie soziale und medizinische Transition.

Die soziale Transition meint den Rollenwechsel in allen Alltags- und Lebensbezügen: Transpersonen outen sich in ihrem empfundenen Geschlecht mit dem Ziel, von ihrem Umfeld als Junge oder Mann beziehungsweise Mädchen oder Frau oder als eine Person dazwischen gelesen zu werden. Sie nehmen einen neuen Namen und ein neues Pronomen an und bemühen sich um eine soziale Anerkennung dieser Veränderung. Dazu gehört beispielsweise ein veränderter Eintrag in der Klassenliste oder eine auf den neuen Namen ausgestellte Krankenversicherungskarte.

Zudem ist es möglich, Hormone zu nehmen und/oder sich einer geschlechtsangleichenden Operation zu unterziehen. Beides ist Teil einer medizinischen Transition und unterstützt die Geschlechtsangleichung.

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Ab welchem Alter kann man den Körper angleichen lassen?

Um die soziale Transition von betroffenen Jugendlichen zu unterstützen, sind ab dem Eintritt der Pubertät medizinische Eingriffe möglich. »Zur Orientierung bei der ethischen Abwägung komplexer Einzelfallentscheidungen hilft die Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrates sehr«, sagt Romer. Diese besagt unter anderem, dass die Vorstellungen und Wünsche eines Kindes seiner Reife und seinem Alter entsprechend berücksichtigt werden müssen.

Während der Pubertät verändert sich der Körper auf natürliche Weise stark: Brüste formen sich, Schultern werden breiter. Wird die Entwicklung nicht gestoppt, wäre eine Transfrau zum Beispiel für ihr Leben stigmatisiert auf Grund breiter Schultern oder einer tiefen Stimme. »Bekommt eine Transperson hingegen bereits mit 14 oder 15 Jahren den Zugang zu einer entsprechenden Behandlung, wird sie mit 20 Jahren in der Regel eine Jugend ohne leidvoll beeinträchtigte soziale Teilhabe durchlaufen haben«, sagt Romer. Außerdem wird rein optisch nichts an den Körper von früher erinnern. Je sicherer ein Kind und die begleitenden Fachpersonen also sind, dass eine Geschlechtsangleichung der richtige Weg ist, umso früher kann damit begonnen werden und umso besser sind die Ergebnisse.

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Welche Möglichkeiten für Transoperationen gibt es?

Hat sich ein Mensch für die medizinische Transition entschieden, beginnt die Geschlechtsangleichung. Der Begriff Geschlechtsumwandlung ist veraltet und wird heute nur noch selten verwendet. Die Person bekommt zunächst die Sexualhormone des gewünschten Geschlechts, also Testosteron oder Östrogen.

Zudem ist eine operative Angleichung möglich. Dabei können Ärztinnen und Ärzte bei einer Mann-zu-Frau-Transsexualität die Penisschwellkörper und Hoden mit Samensträngen entfernen. Wer möchte, könnte sich aus der Penisschafthaut und einem Vollhauttransplantat des ehemaligen Hodensacks eine Neovagina formen lassen. Bei einer Frau-zu-Mann-Transsexualität wiederum kann man sich Gebärmutter und Eierstöcke herausnehmen, die Scheide schließen und entweder die Klitoris strecken oder mittels einer Phalloplastik ein Penoid aufbauen lassen.

  • Wie wird man Transmann oder Transfrau?

    Weil offiziell keine Daten gesammelt erfasst werden, ist es schwierig zu beziffern, wie viele Transpersonen in Deutschland leben. Es gibt klinische Stichproben, die sich mit Transgeschlechtlichkeit, Eingriffen sowie Hormontherapie befassen. Darauf basierend lässt sich schätzen, dass sich rund 9 von 100 000 Menschen als trans empfinden. In Umfragen ist der Wert deutlich höher: Wird gefragt, ob jemand ambivalent oder trans ist, stimmen zwischen 144 und 566 von 100 000 Menschen zu. Auf Basis der Personenstandsänderungen nach dem Transsexuellengesetz gibt es hier zu Lande rund 260 Transpersonen pro 100 000 Menschen. Das sind etwa 0,35 Prozent der Bevölkerung.

    Längst nicht alle lassen sich nach jetziger Kenntnis operieren.

  • Wie viele Trans-Operationen finden statt?

    Laut einer Statistik ließen 2155 Menschen im Jahr 2020 in Deutschland eine geschlechtsangleichende Operation an sich vornehmen. Von den Eingriffen entfallen zwei Drittel auf Transfrauen, also Frauen, deren biologisches Geschlecht männlich ist. Die meisten OPs wurden laut dem Statistischen Bundesamt in der Altersgruppe 20 bis unter 30 Jahren durchgeführt.

  • Was braucht es für die OP?

    Dem derzeitigen Trassexuellengesetz nach muss für mindestens 18 Monate eine psychotherapeutische Betreuung stattgefunden haben und die Indikation zur Durchführung einer geschlechtsangleichenden Operation befürwortet werden. Durch die Psychotherapie ist es dann möglich, im Rahmen von zwei Gutachten, die bestätigen, dass die Person transsexuell ist, eine Namens- und/oder Personenstandsänderung eintragen zu lassen.

    Ferner ist für eine Kostenübernahme auch die somatisch ärztliche Indikation durch zum Beispiel den behandelnden Chirurgen notwendig.

    Hilfreich, aber nicht zwingend, ist außerdem eine gegengeschlechtliche Hormontherapie, welche über mindestens sechs Monate stattfinden sollte. Bei der Kostenübernahme für eine Brustvergrößerung bei Transfrauen hingegen ist eine nachgewiesene Hormontherapie über 24 Monate Voraussetzung, sofern keine Kontraindikationen für die Hormontherapie bestehen.

  • Was kosten die Eingriffe?

    Die Kosten unterscheiden sich, je nachdem, ob sich die Person äußerlich von Frau zu Mann oder Mann zu Frau umwandeln lassen möchte. Zudem variiert jeder OP-Schritt nach Aufwand und Material. Die Preisspanne pro Operation liegt zwischen 4000 Euro und 20 000 Euro. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die geschlechtliche Anpassung von Frau zu Mann auf Grund der Anzahl der Eingriffe etwa 60 000 Euro kostet. Männer, die ihren Körper weiblich gestalten lassen wollen, zahlen etwa 30 000 Euro.

  • Wer bezahlt das?

    Sowohl gesetzliche als auch private Krankenversicherer sind per Gesetz verpflichtet, für alle notwendigen Maßnahmen der Behandlung die Kosten zu übernehmen. Dafür müssen diverse therapeutische und ärztliche Nachweise vorliegen. Es braucht beispielsweise ein psychologisches Gutachten, Verlaufsberichte von Endokrinologen, ein Schreiben des behandelnden Chirurgen.

    Wichtig zu wissen: Für operative Veränderungen im Gesicht gilt eine Einzelfallentscheidung. Krankenkassen zahlen die Korrektur etwa von prominenten Stirnknochen oder Adamsapfel nur manchmal.

  • Wo findet man einen geeigneten Chirurgen?

    Erste Tipps bekommt man in Internetforen. Doch Vorsicht: Dort können sich Laien und Experten mischen, Informationen sind nicht zwingend geprüft und gesichert. Am besten informieren sich Betroffene vorab, ob es sich um ein patientengeführtes Forum oder das einer offiziellen Beratungsstelle handelt.

    In Deutschland gibt es erfahrene Ärztinnen und Ärzte vor allem an Kliniken für Plastische und Ästhetische Chirurgie oder für Urologie bzw. Gynäkologie. Die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGPRÄC) informiert beispielsweise, wie man einen geeigneten Chirurgen findet. Auch kann es lohnen, gezielt bei Transgenderzentren anzufragen.

  • Wie lange dauert der Prozess?

    Das ist individuell. In weniger als einem Jahr einen Psychologen aufzusuchen, um mit einer Personenstandsänderung zu enden, ist nicht möglich. Man sollte eher von zwei bis drei Jahren ausgehen, es kann aber auch deutlich länger dauern. Bei gesetzlich versicherten Betroffenen erwartet der Medizinische Dienst der Krankenversicherer (MdK) einen Zeitraum von 18 Monaten Psychotherapie, bevor er der Kostenübernahme für die geschlechtsangleichende Operation zustimmt. Je nach Umwandlung vergehen vom ersten Eingriff bis zur letzten Heilung oftmals wiederum mehrere Jahre.

Höchstens die Hälfte der Transpersonen entscheidet sich laut Schätzungen für eine geschlechtsangleichende Operation. Im Jahr 2020 waren das dem Bundesamt für Statistik zufolge in Deutschland 2155 Menschen. Mit 46,3 Prozent waren die meisten von ihnen zwischen 20 und unter 30 Jahren alt.

»Ob Menschen sich einer Angleichung unterziehen, hängt stark von dem Bedürfnis nach Akzeptanz ab«, sagt Mari Günther. Manche bräuchten diese äußerliche Veränderung mehr als andere. Für manche ist eine Operation eine Erlösung. Andere sind nach der Angleichung unglücklich. »Sie merken, dass mit dem Eingriff zwar eine Annäherung bis zu 90 Prozent an das gewünschte Geschlecht gelungen ist, aber jetzt, wo sie alles, was möglich ist, gemacht haben, wird ihnen klar, dass sie nie ›ganz‹ sein werden, wie sie sich fühlen.« Sehr selten bereuen Menschen die Operationen, weil sie hinterher feststellen, dass ihr Unbehagen eine andere Ursache hatte.

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Ab wann bin ich per Gesetz der Mensch, der ich bin?

Seit dem 1. Januar 1981 gilt in Deutschland das Transsexuellengesetz. Es regelt, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen Transpersonen ihren Vornamen und ihre Geschlechtszugehörigkeit ändern dürfen.

Das Gesetz ist umstritten. Ein Vorwurf von Menschen, die eine Änderung anstreben: Die Vorgaben seien teilweise diskriminierend. Beispielsweise mussten sich Transpersonen bis zum Jahr 2011 sterilisieren und eine geschlechtsangleichende Operation vornehmen lassen, um ihren Vornamen und ihre Geschlechtszugehörigkeit im Personalausweis ändern lassen zu können. Diese Regelung hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen als unvereinbar mit dem Grundgesetz bewertet. Als unvereinbar mit dem Gleichheitssatz und damit verfassungswidrig wurde auch die ursprünglich im Transsexuellengesetz vorgegebene Altersgrenze von mindestens 25 Jahren erklärt.

Nach wie vor müssen Betroffene sich allerdings von zwei unabhängigen Sachverständigen begutachten lassen. Über die Änderung entscheidet dann das zuständige Amtsgericht. Gegen diese Praxis setzen sich parteiübergreifend zahlreiche Politiker und Interessengruppen ein. Sie fordern, dass die Begutachtung ebenso wie das gerichtliche Verfahren abgeschafft werden. Die Änderung von Vorname und Personenstandsrecht soll dann beim jeweils zuständigen Standesamt erfolgen.

Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (DGTI) bietet Betroffenen einen Ergänzungsausweis zum Personalausweis an. Dieser ist standardisiert, er zeigt ein Passfoto der Person und die selbst gewählten personenbezogenen Daten. Der Ergänzungsausweis wird der DGTI zufolge von sämtlichen Innenministerien, der Polizei, vielen Behörden, Banken, Universitäten, Versicherungen und anderen Institutionen akzeptiert. Der Ergänzungsausweis soll die Diskriminierung von Amts wegen verhindern. Laut DGTI unterstützt er den Anspruch von Transpersonen auf eine Anrede im bewussten und erklärten Geschlecht sowie dem gewählten Vornamen in der Kommunikation mit Behörden.

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