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Vogelorientierung: Lockruf des magnetischen Pols

Zugvögel orientieren sich auf ihren langen Reisen ins Sommer- oder Winterquartier am Magnetfeld der Erde. Bei der Kalibrierung des Magnetkompasses mischt auch die Beleuchtung mit. Selbst bodenständiges Federvieh wie das Huhn, das niemals auf Reisen geht, hat ein Gespür für die geomagnetischen Feldlinien.
Hühnchen im Parcours
Bald ist ihre Zeit wieder abgelaufen: Wenn die Tage kürzer werden, sammeln sich viele Vögel zu ihrem langen Zug gen Süden ins Winterquartier, wo sie es sich in der warmen Sonne gut gehen lassen, bis sie sich im Frühjahr erneut ins Sommerlager im hohen Norden aufmachen. Über die Flugroute besteht bei ihnen keinerlei Zweifel – sie orientieren sich am Magnetfeld der Erde, das sie davor bewahrt, sich bei Wind und Wetter auf der langen Reise zu verirren.

Das Geomagnetfeld alleine reicht aber nicht aus für die Orientierung der gefiederten Reisenden. Der interne Magnetkompass der Vögel benötigt Licht, um zu funktionieren: Er zeigt die Himmelsrichtung mit Hilfe eines biochemischen Prozesses in speziellen lichtempfindlichen Fotopigmenten im Vogelauge an.

Rotkehlchen (Erithacus rubecula), die nachts auf Reisen gehen, nutzen blaugrünes Licht einer Wellenlänge von 502 Nanometern, um die aktuelle Zugrichtung herauszufinden. Nun ändert das Licht dieser Wellenlänge beim allmählichen Übergang vom Tag zur Nacht aber seine Intensität. Sollte dies womöglich einen Einfluss auf die Orientierungsfähigkeiten der Vögel haben?

Ein deutsch-amerikanisches Team um Roswitha Wiltschko von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt und Thorsten Ritz von der Universität von Kalifornien in Irvine testete nun aus, wie es um die navigatorischen Fähigkeiten der Rotkehlchen während der Dämmerung bestellt ist [1].

Dazu setzten sie die Tiere blaugrünem Licht zweier verschiedener Intensitäten aus, wie sie zu verschiedenen Zeitpunkten der Dämmerung auftreten, und beobachteten die Flugrichtung der Vögel.

Bei einer schwachen Lichtintensität, wie sie 33 Minuten nach Sonnenuntergang vorherrscht, verhielten sich die Testkandidaten wie erwartet und starteten in die saisonal bedingte Himmelsrichtung – im Herbst gen Süden und im Frühjahr in Richtung Norden. Dabei orientierten sie sich mit Hilfe des chemischen Kompasses an der Inklination der Feldlinien des Erdmagnetfeldes, wie Tests mit künstlich veränderten Feldlinien zeigten.

Ganz anders bei stärkeren Lichtverhältnissen: Bei höheren Lichtintensitäten, wie sie 20 Minuten nach Sonnenuntergang bestehen, wählten die Rotkehlchen ihre Flugrichtung zwar noch anhand des Erdmagnetfeldes, aber sie verloren auf einmal ihre saisonalen Richtungspräferenzen und starteten im Herbst wie im Frühjahr in Richtung Norden. Bei dieser starren Richtungswahl ließen sie sich auch nicht durch variierte Feldlinien beeindrucken, sondern sie folgten einfach der Polarität des Magnetfeldes.

Offenbar interferiert also helles Licht mit der Fähigkeit, die Ausrichtung der Feldlinien zu erkennen. Möglicherweise verfügen Zugvögel über zwei verschiedene Kompassvarianten, die sie entsprechend den äußeren Bedingungen nutzen.

Wie stur übrigens Vögel in ihrer Richtungswahl sind, zeigt sich daran, dass sie sich nicht dazu motivieren lassen, eine vorgegebene Richtung einzuschlagen. Das Federvieh zeigte sich dem bei solchen Tierversuchen üblichen Anreiz – ein feines Leckerli – gegenüber renitent und verweigerte jegliche Kooperation.

Hühnchen im Training | Mit Hilfe eines roten Balls trainierten die Forscher ihre Hühnchen auf eine Himmelsrichtung. In den folgenden Experimenten stellte sich heraus, dass selbst Hühner noch einen grundlegenden Sinn fürs Magnetfeld haben. Reisetauglich wäre er allerdings nicht.
Die australisch-deutsche Arbeitsgruppe um Rafael Freire von der Universität von Neuengland und Roswitha Wiltschko [2] versuchte es nun auf einem neuen Weg, Geflügel zur Mitarbeit zu animieren. Die Wissenschaftler prägten Hühnerküken auf einen roten Tischtennisball – danach wollten die Küken nichts lieber, als sich in der Nähe des vertrauten Objekts aufzuhalten. Diesen Effekt nutzten die Forscher, um die Hühnchen auf eine bestimmte Himmelsrichtung zu trainieren. Dazu sollten sie das Objekt ihres Begehrens finden, das hinter einem von vier Sichtschirmen in den vier Ecken eines Versuchskastens verborgen war. Bei Erfolg durften sie zur Belohnung einen Moment beim heiß geliebten Ball verweilen.

Nach dem Ende der Trainingsperiode drehten die Wissenschaftler das Magnetfeld um 90 Grad und schickten ihre Zöglinge wieder auf die Suche nach dem Ball. Nun marschierten die Hühner in achtzig Prozent der Fälle in die Ecke los, die sie für die richtige Himmelsrichtung hielten – oder sie marschierten zum gegenüberliegende Sichtschirm. Sie erkannten also die Ausrichtung des künstlichen Magnetfeldes, konnten aber die entgegengesetzten Pole nicht voneinander unterscheiden.

Selbst Hühner, die bereits vor Tausenden von Jahren in Menschenhand domestiziert wurden, haben sich also offenbar die besondere Fähigkeit des Kompasses bewahrt. Und das, obwohl sie im Gegensatz zu ihren reiselustige Kollegen kein perfekt funktionierendes Orientierungssystem.

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