Alchemie: Der Jackpot war der Stein der Weisen

»Nach Golde drängt
Am Golde hängt
Doch alles. Ach wir Armen!« (Faust I).
Am 26. Februar 1734 rollte eine prächtige Kutsche durch das Augsburger Tor der Freien Reichsstadt Memmingen und hielt vor der »Goldene Krone«, dem heutigen »Gasthof zum Schwanen«, damals das erste Haus am Platze. Der Karosse entstieg ein vornehm gekleideter jüngerer Herr von etwa 30 Jahren mit einer Prothese am rechten Arm, begleitet von seinem Diener. Der Name des Gastes: Freiherr Johann Heinrich von Syberg, der des Dieners: von Blanseck, Vorname unbekannt.
Christian Mayer, der Kronenwirt, freute sich über die noblen Gäste, die zwei der schönsten Zimmer für einen längeren Aufenthalt zu mieten wünschten. Eines der Zimmer hatte praktischerweise ein kleines Nebengemach, in das der Freiherr etliche seltsam aussehende Gerätschaften und Chemikalienflaschen bringen ließ. Man benötigte noch einen Lakaien für die niederen Dienste und fand ihn in Leonhard Baier, Sohn einer armen Witwe.
Die nun folgenden Ereignisse, bei denen die Bürger und der Rat der Stadt eine ziemlich peinliche Rolle spielten, wären beinahe in Vergessenheit geraten. Erst gut 200 Jahre später legte der Lokalhistoriker und Memminger Stadtarchivar Julius Miedel (1863-1940) eine gründliche Aufarbeitung vor. Auf mehr als 20 Seiten, verteilt auf drei Ausgaben der »Memminger Geschichtsblätter 18« von 1932, breitete er anhand zeitgenössischer Quellen aus, wie die Bürger der Freien Reichsstadt der Verlockung des Goldes erlagen.
Dabei hatte doch alles so harmlos begonnen. Mit einer kleinen, geradezu nebensächlichen »Transmutation«.
So war nämlich nur wenige Tage nach Syberg ein weiterer vornehmer Gast in der »Krone« abgestiegen, ein kaiserlicher General namens Onelli. Syberg machte sich mit dem Neuankömmling bekannt und verwandelte nach einem üppigen Mahl in dessen Gegenwart zweimal ½ Lot Quecksilber (insgesamt rund 15 Gramm) in Gold. Das Stück verehrte er dem General, geknüpft allein an die Bitte, ihn doch seinem Kommandeur, dem berühmten Heerführer Prinz Eugen zu empfehlen.
In Memmingen weltbekannt
Im Städtchen wurde man hellhörig. Da entpuppte sich ein offenbar steinreicher Kavalier als versierter Alchemist, und als ein freigiebiger noch obendrein! Der charmante Freiherr lud wichtige Patrizier zu üppigen Gastmahlen. Machte keinen Hehl aus seinem großen Herz für die Armen und Kranken, denen er eine von ihm selbst hergestellte »Wundermedizin« schenkte. Und widmete sich sonst kunstbeflissen seinen Studien. Ein ums andere Mal gab er wissenschaftlich Interessierten eine Probe seines alchemistischen Könnens. Nur was Transmutationen anging, die Verwandlung unedler Metalle in glänzendes Gold, hielt er sich vornehm bedeckt.
Zudem schien Syberg ungemein fromm zu sein. Zu Ostern 1734 verteilte er eine von ihm verfasste Druckschrift mit dem Titel »Passionsgedanken eines bußfertigen Sünders«. Dies veranlasste den Stadtpfarrer Johannes Brandenmüller, ihm eine Art Zeugnis auszustellen, worin er Sybergs Erscheinen als besonderen Glücksfall »für unsere liebe Vaterstadt« bezeichnete und »seine profunde und männiglich [allseits] Erstaunen machende Wissenschaft [gemeint: Kenntnis] der untrüglichsten Naturgeheimnisse« als »beinahe weltbekannt« pries.
In seinem herrschaftlichen Quartier in der »Krone« dürfte Syberg das Schreiben mit einiger Befriedigung gelesen haben. Ganz ohne Zweifel: Es lief für ihn. Und nun hatte ihm dieser Pfaffe auch noch eine Art Eintrittskarte in die allerhöchsten Kreise verschafft.
Wenige Tage später wurde er von Graf Johann Jakob Fugger (1691-1759) auf dessen Schloss Boos, etwa zehn Kilometer nördlich von Memmingen, eingeladen. Seine »hochgräfliche Exzellenz« zeigte sich sehr angetan von dem eloquenten Freiherren. Als dann noch der Fürstabt von Kempten, Anselm Reichlin von Meldegg (1679-1747), Syberg in Memmingen besuchte, gab auch der Stadtrat seine Zurückhaltung auf. Eine feierliche Abordnung unter Leitung des Stadthauptmanns Seyler machte Syberg ihre Aufwartung. Der lud die ganze Gesellschaft zu einem Festmahl ein, das allerdings schon einen Schatten auf sein Ansehen warf. Seyler notierte nämlich:
»Syberg trieb bei dieser Mahlzeit auch ziemlich unanständige Raupereyen [gemeint: Unfug, unanständige Reden und Späße], so dass gar mancher wohl nicht mehr kommen wird.«
Der schlechte Eindruck wurde durch ein Schreiben des Hofrats Johann Kasimir Macco aus Ulm an den Bürgermeister Hermann verstärkt. Darin bat dieser um Hilfe bei der Wiederbeschaffung von 60 Gulden, die er Syberg 1733, ein Jahr zuvor, geliehen hatte. Einige Tage später traf ein Brief eines Herrn Heunisch aus Kempten ein, in dem dieser Syberg beschuldigte, unter falschem Namen aufzutreten, Schulden zu haben, aber keinen Pass. Man empfehle, ihn zu arretieren.
Die Kunst, Schulden in Geld zu transmutieren
Ein schmeichlerischer Brief Sybergs nebst beigefügtem Ring für die Gattin des Bürgermeisters bewirkte jedoch, dass dieser alle Warnungen in den Wind schlug. Sogar als Syberg ihn bat, ihm 70 Gulden zur Bezahlung seiner Domestiken zu leihen, hielt er weiterhin zu ihm. Die genannten 70 Gulden reichten allerdings bei Weitem nicht aus, um Sybergs Schulden zu begleichen. Bereits im Juni stand er mit mehr als 5000 Gulden bei diversen Memmingern in der Kreide, allen voran beim Kronenwirt, den er luxuriöseste Speisen und Getränke hatte auffahren lassen. Syberg versuchte, mit dem Grafen Fugger ins Geschäft zu kommen, was aber am Misstrauen von dessen Gutsverwalter Sättelin scheiterte, der dem Grafen abriet.
Nun war guter Rat teuer. Syberg brauchte Geld, und zwar dringend.
Üblicherweise schlossen Goldmacher jener Zeit – Syberg war keineswegs der Einzige, der sich auf diese Kunst zu verstehen vorgab – mit einem Adeligen oder reichen Patrizier einen Vertrag, in dem sie sich verpflichteten, mittels der transformierenden Substanz, dem so genannten Stein der Weisen, eine größere Menge des Edelmetalls zu fabrizieren, sofern ihnen die Gegenseite dafür gewisse Fristen einräumte und sie unterdessen angemessen versorgte. Diese Fristen verschoben sich wegen gescheiterter Versuche immer weiter in die Zukunft, und der Goldmacher tat gut daran zu verschwinden, ehe seinem Gönner endgültig der Geduldsfaden riss; blieb er zu lange, riskierte er Gefangenschaft oder gar den Galgen, der dann passenderweise gerne mit Goldflitter beklebt wurde.
Die Goldmacherei war also ein einträgliches, wenngleich gefährliches Geschäft. Doch wie Stadtarchivar Miedel in den »Geschichtsblättern« berichtet, ließ Syberg nun offenbar den Gedanken fallen, mit einem einzelnen Adligen ins Geschäft zu kommen. Stattdessen richtete er sein ganzes Augenmerk auf eine andere prall gefüllte Börse: die der Stadt. In seinen »Vorschlägen zum Nutzen der Stadt« die am 13. August 1734 im Rat erörtert wurden, versprach er, Memmingen jedes Jahr »ohne Aufhören« eine Summe von 60 000 Gulden auszuzahlen, sofern der Rat willens sei, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen – sprich: seine Schulden zu bezahlen und ihm eine noch zu vereinbarende Summe vorzuschießen.
Doch der Rat zögerte. »In re tam ardua«, also in einer so kniffligen Angelegenheit, könne man keinen schnellen Beschluss fassen. Syberg möge sich gedulden und zudem Erläuterungen geben, wie er sich die Sache genau vorstelle. Woraufhin Syberg umgehend sein »Treumeinendes Erbieten im Interesse des Publici« vorlegte. Darin erbot er sich, zunächst ein »metallisches Sekret auszuarbeiten« und anschließend ein Lot Gold mittels dieses »merkurialischen Oels« und seiner »spagyrischen Kunst« innerhalb von acht Monaten zu einem Lot Tinktur heranreifen zu lassen. Dies könne gern unter der Aufsicht von vier »obrigkeitlich ausgewählten Subjekten« erfolgen. Anschließend werde er mittels dieser Tinktur 40 Lot Quecksilber in reines Gold verwandeln. In wiederum acht Monaten werde er Gold im Wert von 72 000 Gulden herstellen und dann so immer weiter. Überdies machte er noch genaue Angaben zur Verteilung des Goldes beziehungsweise Geldes an die Bürger und Ratsmitglieder.
Eine solche Abmachung hatte für Syberg zudem den Vorzug, dass er bei Nichterfüllung kaum seinen Kopf verloren hätte. Denn so ein Rat war letztlich berechenbarer als ein düpierter Fürst oder König. Berechenbar war er wohl auch in seiner Gier nach Gold: Ein derart verlockendes Angebot würde der Stadtrat doch nicht ablehnen können, oder?
Er konnte. Auch weil immer mehr Nachrichten einliefen, die Syberg in einem schlechten Licht erscheinen ließen.
Die Lotterie von Memmingen
Dem Freiherrn gingen die Optionen aus. Es hieß nun, entweder in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Oberschwaben zu verschwinden, bis Gras über seine immensen Schuldenberge gewachsen war. Oder aber seine noch bestehenden Allianzen zu nutzen und alles auf eine Karte zu setzen. Syberg entschied sich für Letzteres.
Zumal ihm eine ungleich genialere Eingebung gekommen war, die historisch beispiellos ist in der Geschichte der Goldmacherei: Er würde Lose herausgeben, die jedem Eigentümer einen gewissen Anteil an dem Gold zusicherten, das er mit dem Stein der Weisen herzustellen versprach – freilich immer nur unter der Voraussetzung, dass es überhaupt gelingen sollte, die gewünschte Substanz zu erzeugen. Der Gewinn war also rein hypothetisch. Greifbar hingegen waren die Vorteile für Syberg: Eine Lotterie basiert auf einer anderen rechtlichen Grundlage als die üblichen Verträge der Goldmacher. Wer ein Los kauft, riskiert wissentlich, auch auf seinen Ausgaben sitzen zu bleiben. Niemand könnte ihm einen Strick daraus drehen, wenn eines Tages sein Scheitern offenbar würde.
Lotterien waren zu jener Zeit ein beliebtes, oft auch staatlicherseits betriebenes Glücksspiel, mit dem die Obrigkeit große Geldbeträge zur Finanzierung neuer Projekte auftrieb. Im Normalfall war die Auszahlung der Gewinne an den Zufall geknüpft – man musste eben Glück bei der Ziehung haben. In diesem Sinne unterschied sich Sybergs Vorhaben von den damals üblichen Lotterien. Denn bei der Lotterie von Memmingen waren Gewinn oder Verlust allein an das Können Sybergs geknüpft, natürlich nur vorgeblich, denn der Freiherr wusste ja nur zu gut, dass mindestens seine Goldmacherei auf Täuschung beruhte. Immerhin suggerierte er mit der Wahl dieses Begriffs die hochspekulative Natur des ganzen Unterfangens.
Es galt nun erstens die Erlaubnis des Rats für eine solche Lotterie einzuholen und zweitens genügend Käufer für die Lose zu finden. Hier aber war der eloquente und charmante Syberg in seinem Element.
Er begnügte sich mit einer eher kleinen Anzahl von Losen, die dafür recht kostspielig waren. Es wurden 36 Lose ausgegeben, mit denen die Losnehmer einen Anteil an dem Gold erwarben, das Syberg mittels des »tingierenden, mit dem philosophischen Oel verbundenen Goldsamen« herzustellen versprach. Ein Los kostete 340 Gulden, davon waren 180 direkt zu zahlen, die verbleibenden 160 musste jeder Käufer in zwölf monatlichen Raten entrichten. Vermutlich wählte Syberg diese Finanzierungsweise, da wohl nur wenige potenzielle Käufer bereit und in der Lage gewesen wären, eine derart hohe Summe – weit mehr als ein tüchtiger Handwerker in einem ganzen Jahr verdienen konnte – auf einmal aufzubringen.
Man riskierte also einen beträchtlichen Betrag, dafür lockte aber auch ein entsprechender Gewinn: Nach glücklich vollbrachter Herstellung der Tinktur sollte ab Anfang Juli 1735 die Summe von 16 666 Gulden und genau 40 Kreuzern an jeden Besitzer eines Loses ausgezahlt werden. Dies entspricht rein rechnerisch dem 49-Fachen des Einsatzes oder, anders ausgedrückt, einer Rendite von 4900 Prozent.
Aus heutiger Sicht würde man das Finanzprodukt, das Syberg den Memmingern schmackhaft machte, nicht als Los, sondern eher noch als Schuldverschreibung bezeichnen: Das Investment war eine Art Anschubfinanzierung für sein Goldmacherei-Geschäft, die im Erfolgsfall an eine einmalige, feste Auszahlung geknüpft war.
Das Risiko dieser Geldanlage war unkalkulierbar. Unvernünftig aber war die Teilnahme an der Lotterie nach damaligem Wissensstand nicht, zahlreiche Adlige und Respektspersonen taten sich in der Alchemie um. Erst 100 Jahre nach der Memminger Episode wurde wissenschaftlich bewiesen, dass die Umwandlung unedler Metalle in Gold mit den Mitteln der Chemie unmöglich ist. Sybergs Zeitgenossen hatten dieses Wissen nicht, auch wenn im Zuge der Aufklärung die immer schon vorhandenen Zweifel an der Machbarkeit der »Transmutation« lauter geworden waren.
Potenzielle Investoren mussten sich also weniger fragen, ob man überhaupt aus Quecksilber Gold machen konnte, sondern eher, ob sich Syberg auf diese Kunst tatsächlich verstand. Und ob man ihm über den Weg trauen könnte. Um seinem Vorhaben mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, machte der Freiherr einen geschickten Schachzug, indem er sein Regelwerk samt seinen Versprechungen dem Rat der Stadt zur Verwahrung übergab, was dieser offiziell bestätigte, wie das Ratsprotokoll vom 25. September 1734 ausweist. Dadurch erhielt die Lotterie einen quasi offiziellen Anstrich, zwar nicht de iure, aber de facto.
Ein misstrauischer Augenzeuge
Wie Syberg bei den Kostproben seines Könnens vorging, ist dank eines Augenzeugenberichts bis heute nachvollziehbar. Er stammt vom Verwalter des Klosters Buxheim vor den Toren der Stadt, einem gewissen Herrn Melck. Der erklärte, bei Transmutationen zugegen gewesen zu sein; seine Vorgesetzten hätten ihm jedoch verboten, schriftlich zu antworten, er wolle dies aber gerne mündlich tun.
Aus dem Protokoll zitiert gut 200 Jahre später der Stadtarchivar Julius Miedel: Am Palmsonntag 1734 sei Melck bei dem 16. und 17. Versuch Sybergs, Gold zu machen, zugegen gewesen. Ferner hätten der Geheime Rat Schelhorn und der Booser Oberamtmann Sättelin sowie der Kronenwirt dem Vorgang beigewohnt. Syberg habe in einen Schmelztiegel »acht Lot 1 1/2 Quint« Quecksilber gegeben und ein in Wachs eingewickeltes, dunkelbraunes Pulver hinzugefügt. Der Schmelztiegel wurde mit glühenden Holzkohlen umgeben und ein großes Stück Kohle wurde oben auf den Tiegel gelegt, der damit zugedeckt war. Als Melck dieses Kohlestück näher betrachten wollte, habe Syberg ihn angeschrien, er solle die Finger davon lassen. Nach einiger Zeit habe man aus dem Kolben ein Zischen und Brausen vernommen, das danach wieder aufhörte. Syberg habe die Kohlen entfernt und Melck gebeten, den Tiegel vom Feuer zu nehmen. Da habe sich gezeigt, dass im Tiegel ein Klümpchen Gold lag, das ebenso viel wog wie das Quecksilber.
In der Nacht führte Syberg eine weitere Umwandlung durch, die das gleiche positive Ergebnis lieferte. Allerdings entdeckte Melck in der Kohle, mit der der Tiegel zugedeckt war, eine Aushöhlung »in der Größe eines halben Batzens oder eines Dukaten«. Als er mit Syberg alleine war, fragte ihn dieser, ob er etwas beobachtet habe, worauf Melck antwortete: »Gnädiger Herr, ich habe nichts wider Ihr Gold, aber die Kohle, welche Sie auf den Tiegel legen, ist mir suspekt.«
Bemerkenswert ist, dass der Prior seinem Verwalter verboten hatte, diesen Zweifeln schriftlich Ausdruck zu verleihen; er war wohl immer noch zu sehr von Sybergs Persönlichkeit und dessen öffentlich zur Schau getragener Frömmigkeit beeindruckt, um diesen offen des Betrugs bezichtigen zu lassen.
Was Melck beobachtete, ist als Goldmachertrick einschlägig bekannt. Man muss sogar sagen, dass sich Syberg des primitivsten Goldmachertricks überhaupt bediente. Andere »Kollegen« waren da schon raffinierter, indem sie das Gold besser versteckten oder in Königswasser auflösten und das gebildete Gold(III)-chlorid wieder zu Gold reduzierten. Es ist auch möglich, ein Amalgam aus Gold und Quecksilber zu mischen, das wie Quecksilber aussieht, aber schon beträchtliche Anteile an Gold enthält. Beim Erhitzen im Tiegel verdampft das Quecksilber und Gold bleibt zurück. Eine abweichende Methode eignet sich nur für sehr kleine Mengen, ist aber dafür besonders eindrucksvoll: Man taucht einen Eisennagel in eine Goldchlorid-Lösung, woraufhin sich dieser augenblicklich mit Gold überzieht, während gleichzeitig das Eisen in Lösung geht.
Syberg lässt eine »alchemische Gebärmutter« errichten
Syberg ließ nun eine kupferne Apparatur anfertigen, die einem zylindrischen Rohr mit einem spitzen Blechhut ähnelte. Ganz unten befanden sich mehrere »Brennlampen«, vermutlich Wachslichter; darüber, durch einen Boden getrennt, ein großer Wasserkessel, der mit einem Drahtgestell nach oben abgeschlossen war, auf das wiederum eine zugeschmolzene Phiole gestellt wurde. Ein Abzugsrohr im Blechhut sorgte dafür, dass kein Überdruck entstehen konnte, und ein Trichter erlaubte das Nachfüllen des verdampften Wassers. Es handelte sich also um ein Wasserbad, in dem eine Phiole, also ein längliches Glasrohr, samt Inhalt erhitzt werden konnte. In der Phiole befand sich Sybergs »merkurialisches Öl«, im Normalfall wäre das eine quecksilberhaltige Flüssigkeit, sowie eine gewisse Menge Gold. Dieses sollte sich mit dem »Goldsamen« des »merkurialischen Öls« in einem fünfmonatigen Erwärmungsprozess zur Tinktur verbinden, mit deren Hilfe dann Quecksilber oder Blei in Gold umgewandelt werden konnte. Alchemischer Lehre zufolge entspricht dieser mehrmonatige Prozess einer Schwangerschaft, in der aus dem Goldsamen und dem Gold eine Art überperfektes Gold – der Stein der Weisen – entstehen sollte. Die Phiole entspricht dabei der Gebärmutter. Die ganze Apparatur wurde versiegelt, so dass sich niemand an der Phiole zu schaffen machen konnte.
Syberg wählte hier eine sehr vereinfachte Variante des »Großen Werks«. Normalerweise war der Erhitzungsprozess durch ein kompliziertes Temperaturregime gekennzeichnet, in dessen Verlauf gemäß alchemischer Theorie eine bestimmte Folge von Farben in der Phiole sichtbar werden soll. Zunächst wird deren Inhalt schwarz (nigredo), dann gelb (citrinitas), dann buntschillernd (Pfauenschwanz, cauda pavonis), dann silbrig (albedo) und schließlich rot (rubedo). Auf der Stufe der Albedo konnte man schon zu Silber tingieren, während der wahre Stein der Weisen durch die rote Farbe gekennzeichnet war.
Am 31. März 1735 war es endlich so weit: Die Siegel wurden gebrochen und der Hut des Apparates abgenommen. Sogleich zeigte sich, dass der Versuch missglückt war, denn die Phiole war oben offen. Syberg erklärte nun, das sei noch nicht das Ende, denn er könne die goldmachende Substanz retten. Er füllte den Inhalt der Phiole – ein braunes Pulver – in eine neue Phiole, fügte eine kräftige Dosis seines Merkurialöls hinzu und ließ diese erneut zuschmelzen. Dann setzte er die neue Phiole wieder in den Apparat ein und verschloss diesen. Am 5. April wurde der Ofen erneut geöffnet. Diesmal war die Phiole geplatzt. Damit war alle Hoffnung auf den Stein der Weisen und die in Aussicht gestellten goldenen Berge dahin.
Syberg wurde zunächst in der »Krone« und später sogar im Stadtgefängnis festgesetzt, sein Hab und Gut beschlagnahmt. Es stellte sich aber bald die Frage, was man ihm eigentlich vorwerfen solle; schließlich hatte er nicht behauptet, sein Versuch würde gelingen, sondern lediglich versprochen, den Stein der Weisen erzeugen zu wollen. Die naheliegende Frage, was passiere, wenn der Versuch misslinge, war im Vorhinein nicht geklärt worden. Nun besann man sich plötzlich der vielen Warnungen, und insbesondere Graf Fugger – selbst Besitzer eines Loses – verlangte ein scharfes Vorgehen. Endlich stellte man Untersuchungen zu Sybergs Herkunft und Vorleben an. Graf Friedrich Ferdinand zu Pappenheim (1702-1793) berichtete an Graf Fugger, Syberg sei 1733 mit seiner Erlaubnis einige Zeit in Grönenbach, einem Ort auf halbem Weg zwischen Memmingen und Kempten, gewesen und dort durch großsprecherisches Benehmen und Streitereien unangenehm aufgefallen. Er habe auch eine Transmutation vorgeführt, die aber nicht überzeugt habe, und er habe einen Ratsherren um 100 Dukaten, also 400 Gulden, geprellt. Pappenheim habe ihn daraufhin des Landes verwiesen. Seiner Ansicht nach habe Syberg den Tod am Galgen tausendfach verdient. Der Bürgermeister von Esslingen teilte mit, er habe nie begriffen, wie »gescheite Leute« sich von Syberg so plump hätten betrügen lassen können.
Weitere Erkundigungen ergaben, dass ein freiherrliches Geschlecht dieses Namens seit mindestens 1631 in Magdeburg lebe. Sybergs Vornamen wären korrekt, geboren worden sei er am 6. April 1698. 1714 habe er als Student an der Universität Halle bei einem Duell seine rechte Hand verloren. Sein Vater, Albrecht Friedrich von Syberg, sei Jurist und Bürgermeister von Magdeburg gewesen. In jungen Jahren habe Syberg geheiratet und nach dem Tod seiner Frau ein Leben als »aventurier« (Abenteurer) aufgenommen.
Der Rat von Memmingen holte nun mehrere juristische Gutachten ein, die allesamt zu dem Schluss kamen, es sei in einer so »delikaten« Angelegenheit besser, sich auf ein gütliches Ende zu einigen, »als auf dem ungewissen, kostbaren [gemeint: teuren] und weitläufigen Inquisitionsprozess« zu beharren. Am 5. November 1735 wurde schließlich per Ratsbeschluss das Verfahren gegen Syberg eingestellt. Da Syberg pleite war und zudem eine Menge Schulden zurückließ (abgesehen von den Verlusten der Losnehmer, die nicht mehr einklagbar waren), lieh ihm ein Memminger zu guter Letzt noch 30 Gulden, nur damit er endlich verschwinden konnte – zurückzuzahlen nach drei Monaten.
Die braven Bürger von Memmingen brauchten für den Spott nicht zu sorgen. Dass Goldmacher einzelne Fürsten oder Patrizier hereinlegten, war allenthalben bekannt, aber dass Rat und Bürger einer ganzen Stadt auf einen ziemlich grob gesponnenen Betrugsversuch hereinfielen, das war schon etwas Besonderes, zumal es an Warnungen im Vorfeld ja nicht gemangelt hatte.
Sybergs weiteres Schicksal liegt weitenteils im Dunkeln. Es gab Gerüchte, er sei zum König von Korsika gewählt worden, aber hier lag eine Verwechslung mit einem anderen Glücksritter vor, Theodor von Neuhoff (1694-1756), den die Korsen tatsächlich 1736 zum König wählten, um die Befreiung Korsikas von der genuesischen Vorherrschaft durchzusetzen, was allerdings misslang. Wie es scheint, hat sich Syberg an den spanischen Königshof begeben, wo er nochmals zu Ansehen gelangte. Das legt zumindest ein Brief nahe, der im Oktober 1738 in Memmingen eintraf und Nachricht vom Tod Sybergs enthält. Darin heißt es, König Philipp V. und Königin Elisabeth seien untröstlich gewesen, denn Syberg sei »das Orakel« am Hof gewesen. Man habe ihn in Madrid mit großer Pracht beigesetzt.
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