Psychedelika : Die Bilder, die ich rief

In den 1990er Jahren arbeitete Jan Dirk Blom als junger Arzt in einer psychiatrischen Einrichtung des University Medical Center in Utrecht. Eines Tages klagte einer seiner Patienten, der in seinem Leben schon etliche illegale Drogen konsumiert hatte, über ein seltsames Symptom: »Er beschrieb das Gefühl, eine Art Kometenschweif verfolge ihn, und deutete dabei in Richtung seines Hinterkopfes, wo er tatsächlich einen winzigen Pferdeschwanz hatte, der von dem sonst kurz geschorenen Schädel abstand«, erinnert sich Blom, heute Professor für Klinische Psychopathologie und Leiter der Ambulanz für seltene psychiatrische Syndrome an der Universität Leiden. »Er erzählte mir außerdem, dass er sich bewegende Objekte wie unter Stroboskoplicht sehe.« Blom und seine Kollegen konnten die Symptome zwar nicht deuten, der Mann blieb dem Mediziner jedoch eindrücklich in Erinnerung.
2010 stellte Blom dann ein Lehrbuch über Halluzinationen zusammen, »A Dictionary of Hallucinations«. Im Zuge seiner Recherche stieß er auf ein Phänomen namens HPPD. Das Kürzel steht für Halluzinogen-induzierte persistierende Wahrnehmungsstörung. »Endlich verstand ich, worunter mein Patient – und auch andere – gelitten hatten«, erinnert er sich. Bei HPPD handelt es sich um eine psychische Störung, die bei einigen Menschen nach der Einnahme von LSD auftritt. Es gibt zudem vereinzelte Fälle nach dem Konsum von Meskalin, Psilocybin, Ibogain, Ayahuasca, Ketamin, Ecstasy, Cannabis und sogar Alkohol. »Die Liste ist höchstwahrscheinlich nicht vollständig«, sagt Blom.
Bei den Betroffenen kommt es zu visuellen Wahrnehmungsveränderungen, obwohl die Substanz bereits vollständig vom Körper abgebaut wurde. Sie sehen zum Beispiel Lichtblitze, oder Objekte erscheinen ihnen verzerrt, etwa größer oder kleiner, als sie tatsächlich sind. Wenn sie den Blick von etwas abwenden, nehmen sie bisweilen Nachbilder in der Luft wahr (siehe »Der Stroboskop-Effekt«) oder Halos um Lichtquellen herum, also helle Ringe oder Bögen. Manche berichten von »Schneeflocken« im Sehfeld oder dass sie in Mustern stets Gesichter oder andere Objekte erkennen (Pareidolie). Oft werden die Symptome ausgelöst, wenn die Personen auf leere Oberflächen schauen oder wenn sie sich von gut beleuchteten in dunklere Umgebungen begeben, so Blom.
Im Magazin »The New Yorker« beschrieb der Journalist Dorian Rolston 2013 in »A Trip That Doesn't End« die Erfahrungen eines Betroffenen: »Ich öffnete meine Augen, um zu sehen, wie spät es war. Als ich von der Digitaluhr wegschaute, bemerkte ich sofort, dass ihr Licht Schlieren hatte«, sagte er. Im Lauf des Tages fielen ihm noch weitere Anzeichen eines halluzinogenen Rausches auf. Wenn er den Blick von einer Buchseite, die er gerade las, abwandte, materialisierte sich ein gespenstisches Nachbild des Textes in der Luft und blieb für einige Augenblicke lesbar hängen. Blätterte er eine Seite um, zog eine lange Kaskade von Repliken hinter ihr her, wie bei einem Stroboskopbild.
Laut einer Studie von Blom und seinem Team fallen drei Viertel solcher Wahrnehmungen in die Gruppe von sensorischen Verzerrungen, die charakteristisch für das Alice-im-Wunderland-Syndrom sind (siehe »Kurz erklärt«). Daher sei HPPD auch als dessen substanzinduzierte Variante bekannt, erklärt der Psychiater. Die Symptome können über Monate, Jahre oder vielleicht sogar lebenslang andauern, wenn sie nicht behandelt werden.
Suche nach dem Kern der Störung
In den 1960er Jahren verbreitete sich LSD insbesondere in den USA massenhaft. Infolgedessen beschäftigten sich viele Mediziner in den Vereinigten Staaten mit den Auswirkungen des Konsums, so auch Saul H. Rosenthal. Er war 1964 der Erste, der über eine »ungefähr ein Jahr lang andauernde Wahrnehmungsstörung« berichtete, die nach wiederholtem LSD-Konsum auftrat. 1969 führte sein Kollege Mardi Jon Horowitz den Begriff »Flashback« ein und meinte damit wiederkehrende, sich aufdrängende Bilder, wenn der Rausch längst abgeklungen ist.
1987 hielt die Diagnose »Post-halluzinogene Wahrnehmungsstörung« Einzug in die dritte Auflage des DSM (»Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen« der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft) und umfasste hier eine große Bandbreite an Symptomen. Die vierte Auflage führte dann ab Mitte der 1990er Jahre HPPD als eigenständiges Syndrom auf. Das weltweit wichtigste Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen, die ICD, codiert HPPD weiterhin unter der allgemeineren Ziffer »halluzinogen-induzierte Flashbacks«.
Kurz erklärt: Das Alice-im Wunderland-Syndrom (AIWS)
Das AIWS ist eine seltene neurologische Störung, bei der es zu einer veränderten Wahrnehmung von Raum, Zeit und Körperempfindungen kommt. Die Menschen sehen dann Objekte oder Körperteile beispielsweise viel kleiner (Mikropsie) oder größer (Makropsie), als sie tatsächlich sind. Häufig sind auch die akustische Wahrnehmung und das Zeitgefühl gestört, weshalb manche Betroffene den Verlauf der Zeit bisweilen als langsamer oder schneller empfinden. Das Syndrom gilt nicht als eigenständige Krankheit, weil es oft in Kombination mit Migräne und Epilepsie auftritt. Auslöser können unter anderem das Epstein-Barr-Virus oder Drogenkonsum sein. In der Regel ist es nur vorübergehend und verschwindet von selbst wieder. Allerdings gibt es eine Untergruppe von »klinischen Fällen«, die schwer und chronisch belastet sind und eine Therapie benötigen. Fachleute vermuten, dass das Syndrom auf Störungen in gewissen Hirnregionen zurückgeht, Genaues ist aber nicht bekannt. Der Name stammt von dem Buch »Alice im Wunderland« von Lewis Carroll, da die beschriebenen Symptome an die surrealen Erfahrungen der Hauptfigur erinnern.
Leopold Hermle, ehemaliger ärztlicher Direktor der Klinik Christophsbad Göppingen, hat sich während seiner aktiven Laufbahn intensiv mit dem Störungsbild auseinandergesetzt. Er hält die Definition von HPPD als Flashback für nicht zulässig, wie er 2017 in einem Interview betonte, denn: »Die Betroffenen haben manchmal wochen-, monate- oder gar jahrelang gravierende komplexe Veränderungen des Sehens.«
Ein Fallbericht von ihm aus dem Jahr 2013 zeigt, wie sich das konkret äußern kann: Ein 36-jähriger Mann berichtet, dass er mit 17 Jahren erstmals LSD konsumiert habe. […] Im ersten Jahr seines LSD-Konsums habe er zirka alle zwei Monate ein bis zwei »Tickets« genommen. Nach einem Jahr habe er schlagartig nach einem LSD-Trip im gesamten Gesichtsfeld sich bewegende geometrische Figuren in bunten Farben sowie zeitweise Bilder eines Schweifs hinter sich bewegenden Objekten wahrgenommen. Weiterhin habe er Nachbilder wahrgenommen, die er kurz zuvor als reale Objekte gesehen habe. […] Die visuellen Störungen seien deutlich verstärkt, wenn er in Stress gerate, unter Schlafstörungen leide oder koffeinhaltige Getränke trinke.
Klassische psychedelische Flashbacks nach Drogenkonsum sind hingegen nur von kurzer Dauer. In der Regel gibt es dabei neben einer visuellen auch eine starke emotionale und gedankliche Komponente. Für die Personen fühlt es sich dann so an, als seien sie wieder auf einem Trip. Der Zustand werde oft sogar als »angenehm und entspannend« empfunden, weshalb die Betroffenen ihn durchaus genießen könnten, so die Erfahrung von Hermle. Daher gebe es dafür den Begriff »Free Trip«. In einem Übersichtsartikel resümieren Hermle und seine Mitautoren 2015: »Die klassifikatorische Gleichsetzung von Flashback-Phänomenen und HPPD ist nach ICD-10 und DSM-5 auf Grund der unterschiedlichen diagnostischen Merkmale und des völlig unterschiedlichen Zeitverlaufs nicht mehr gerechtfertigt.«
»Er hatte das Gefühl, eine Art Kometenschweif verfolge ihn«Jan Dirk Blom, Psychiater
Manche Fachleute, darunter der israelische Psychiater Arturo Lerner vom Lev-Hasharon Mental Health Medical Center, unterscheiden hingegen zwei Formen von HPPD: Typ 1, bei dem es sich lediglich um kurze, vorübergehende Flashbacks handelt, und Typ 2, der chronisch ist und über Monate bis Jahre hinweg zu- und abnimmt. Auch Jan Dirk Blom findet den Begriff »Flashback« für HPPD-Phänomene angemessen. Zwar hätten die Betroffenen teilweise völlig unterschiedliche Symptome, würden diese aber in der Regel mit dem vorherigen Substanzkonsum in Verbindung bringen, argumentiert er. Das heißt: Frühere Erlebnisse im Drogenrausch wiederholen sich fast identisch. Und das kommt der ursprünglichen Bedeutung für Flashback in der Filmtechnik sehr nahe – nämlich »Rückblende«.
Doch auch Blom grenzt HPPD von psychedelischen Flashbacks im klassischen Sinn ab: »Bei HPPD ist eher der Inhalt des Bewusstseins verändert und nicht der Bewusstseinszustand an sich«, wie er es formuliert. Das Verständnis der Realität bleibt dadurch unbeeinflusst, und die Menschen sind sich darüber im Klaren, dass sie Dinge sehen, die nicht wirklich sind.
Daher bevorzugt Blom die Bezeichnung »reperception« – im Sinn von »erneut wahrnehmen«. Der beteiligte Mechanismus könnte dem klassischen »reperception model« entsprechen, wie der Mediziner gemeinsam mit Kollegen in einer Übersichtsarbeit 2021 erörtert. Dieses Modell schlug der deutsche Psychiater Karl Ludwig Kahlbaum 1886 vor, um Halluzinationen als Wiederholungen von in der Vergangenheit wahrgenommenen Szenen, Objekten oder Reizen zu erklären. »Das würde implizieren, dass das Gedächtnissystem, insbesondere das visuelle Gedächtnis, beteiligt ist«, sagt Blom.
Was passiert im Gehirn?
Vermutlich entsteht HPPD nicht in der Netzhaut. Dafür spricht, dass sich die Halluzinationen in der Regel nicht mit den Augen mitbewegen. Um herauszufinden, was im Gehirn Betroffener vor sich geht, maß Henry David Abraham von der Tufts University School of Medicine in Boston in mehreren Studien die Hirnwellen von Freiwilligen mittels Elektroenzephalografie (EEG). Bei denjenigen mit HPPD fanden sich schnellere Alphafrequenzen und kürzere visuelle Reaktionszeiten als normal – ähnlich wie bei Menschen, die halluzinogene Substanzen eingenommen haben. Beides spricht für eine chronische Enthemmung der Sehrinde. Dies könnte zum Beispiel dazu führen, dass Bilder im Kopf »nachhallen«, obwohl sie schon lange aus dem Blickfeld verschwunden sind. Abraham beobachtete auch, dass der visuelle Kortex bei den Betroffenen stärker mit angrenzenden Regionen vernetzt ist, was Halluzinationen begünstigen kann.
»Die Betroffenen haben manchmal wochen-, monate- oder gar jahrelang gravierende komplexe Veränderungen des visuellen Sehens«Leopold Hermle, Psychiater
Daneben schädigt LSD vermutlich solche Neurone, die Serotonin ausschütten und im Gehirn hemmend wirken. Das könnte die Fähigkeit beeinträchtigen, unwichtige Reize herauszufiltern. Ein Hinweis darauf ist, dass einigen Betroffenen selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) helfen. Gleichwohl berichten auch Personen, die nie LSD konsumiert haben, von HPPD-ähnlichen Erfahrungen wie hyperintensiven visuellen Wahrnehmungen. Vieles an dem Phänomen ist also noch unklar. »Die Wissenschaft beginnt gerade erst damit, mögliche Hirnstudien bei HPPD zu entwickeln«, sagt Blom. Er ist sich sicher, dass man von der Störung sogar etwas über die allgemeine Funktionsweise des Gehirns lernen könnte.
Unklares Risiko bei LSD und Pilzen
Ein Problem bei solchen Studien ist allerdings, dass die Störung nur sehr selten vorkommt. In verschiedenen Untersuchungen der 1960er und 1970er Jahre an fast 10 000 Menschen, die zu experimentellen und therapeutischen Zwecken bis zu 80-mal LSD eingenommen hatten, wurde bei keinem eine anhaltende visuelle Störung dokumentiert. Auch bei 500 Navajo-Indianern in den USA, die immer wieder zu rituellen Zwecken Meskalin konsumieren, trat keine HPPD auf.
Der Verzehr von Pilzen mit dem psychoaktiven Wirkstoff Psilocybin stellt offenbar ebenfalls kein nennenswertes Risiko für HPPD dar. Hermle und seine Kollegen konnten in der Literatur lediglich einen einzigen Fall ausmachen. Das sei insofern erstaunlich, als Psilocybin in der Hippiekultur der 1960er und 1970er Jahre weit verbreitet war, schreiben sie. Es bedeutet aber noch lange nicht, dass es solche Fälle nicht gibt, wie folgender anonymer Erfahrungsbericht aus dem Internet zeigt:
Ich bin mittlerweile acht Jahre betroffen von einmaligem Pilzkonsum. Es geht immer auf und ab, zurzeit ist es wieder so schlimm, dass ich Panikattacken davon bekomme. Ich habe ständig Punkte vor den Augen, Licht wirkt extrem hell, vor allem nachts. Kann mich kaum konzentrieren oder anderen folgen, weil ich permanent damit beschäftigt bin, dies zu kontrollieren. Ich habe einen Termin in einer Klinik und versuche, es behandeln zu lassen. Es schränkt mein Leben tatsächlich sehr ein. Ich hoffe, dass es mir danach besser gehen wird. Ich bereue es zutiefst, es jemals ausprobiert zu haben.
»Die Wissenschaft beginnt gerade erst damit, mögliche Hirnstudien bei HPPD zu entwickeln«Jan Dirk Blom, Psychiater
Dass man durchaus etliche HPPD-Betroffene findet, wenn man gezielt nach ihnen sucht, verdeutlicht die Studie des Neurowissenschaftlers Matthew Baggott an der University of California in Berkeley. Zusammen mit anderen Fachleuten hatte er 2011 eine internetbasierte Umfrage zu ungewöhnlichen visuellen Phänomenen nach dem Konsum von Cannabis, Halluzinogenen oder Psychostimulanzien gestartet. Am Ende konnten sie 2455 Fragebögen von Menschen auswerten, die solche Erfahrungen gemacht hatten. Rund 60 Prozent von ihnen berichteten, während ihrer drogenfreien Zeit mindestens eines von neun visuellen Flashback-Phänomenen erlebt zu haben. 587, also knapp ein Viertel, gaben an, mindestens eines davon dauerhaft oder fast kontinuierlich zu erleben. Etwas mehr als vier Prozent beschrieben einen Leidensdruck und Beeinträchtigungen vor allem in sozialen Bereichen.
Weil es aber noch keine validen Daten zur Häufigkeit des Syndroms gibt, ist eine zuverlässige Risikoabschätzung bislang unmöglich. »Manche Menschen nehmen LSD 30 Jahre lang, ohne jemals Symptome von HPPD zu entwickeln, andere probieren es nur einmal aus und leiden für den Rest ihres Lebens an HPPD«, sagt Blom. Derzeit gebe es keine Möglichkeit vorherzusagen, wer in welche Gruppe falle. Wer jedoch oft konsumiert, erhöht sein Risiko – das ist durch Zahlen belegt: Die Erkrankung wird überdurchschnittlich häufig bei Personen diagnostiziert, die bereits in der Vergangenheit regelmäßig Drogen genommen haben. Gleichwohl kann selbst ein einmaliger Kontakt mit bestimmten Substanzen reichen.
Die Bilder wieder loswerden
Obwohl die Symptome seit fast 70 Jahren dokumentiert sind, zeigt Bloms eingangs beschriebenes Fallbeispiel, dass HPPD selbst unter Fachleuten lange Zeit wenig bekannt war. Bis heute wissen sowohl Konsumenten von Halluzinogenen als auch medizinisches Personal nicht immer über das Syndrom Bescheid. Bei HPPD-Betroffenen betrachten Ärztinnen und Ärzte zunächst deren Lebens- und Krankengeschichte: Wie viele Substanzen wurden wie häufig konsumiert? Wie hoch war die Dosierung? Wie waren die Erfahrungen im Rausch? Zusätzlich analysieren sie die Symptome und deren Auswirkungen im Alltag. Oft haben die Menschen beispielsweise Schwierigkeiten, das Haus zu verlassen, und nur noch wenig soziale Kontakte. Bei vielen Patienten verbessern sich die Symptome bereits, wenn sie ihr Verhalten ändern. Dazu gehört, keine Drogen mehr zu nehmen, wenig bis keinen Alkohol zu trinken, Stress zu vermeiden, sich gut zu ernähren und ausreichend zu schlafen.
Wenn das alles nicht hilft, kommen neben psychotherapeutischen Maßnahmen auch Medikamente in Frage. Dazu gehören Antiepileptika, Antidepressiva und Benzodiazepine. Die Mittel sind jedoch alle »off-Label«: Es gibt keine klinischen Studien, in denen die Arzneistoffe explizit zur Behandlung von HPPD getestet wurden. 63 Prozent der Menschen mit lang anhaltender HPPD profitieren laut Bloms Untersuchungen von einer medikamentösen Therapie. Bei 30 Prozent von ihnen verschwinden die Symptome demnach vollständig. Ein beachtlicher Erfolg, denn: »Lange Zeit hatte HPPD den Ruf, eine chronische Erkrankung zu sein«, sagt der Psychiater. Auch bei dem von Hermle dokumentierten Fall brachte das Antiepileptikum Lamotrigin Linderung:
Der Patient berichtete, dass er Lamotrigin in den letzten zwölf Monaten zuverlässig eingenommen habe. Die visuell als äußerst quälend erlebten Wahrnehmungsstörungen seien allmählich in den Hintergrund getreten. Insbesondere nehme er keine Nachbilder mehr wahr. Die farbintensiven geometrischen Muster hätten sich ebenfalls zurückgebildet. Er könne wieder deutlich besser lesen.
Manche Betroffene möchten allerdings vielleicht gar nicht, dass die Bilder wieder verschwinden. Auf einen speziellen Fall von HPPD stieß Jan Dirk Blom 2014: »Ein Kollege machte mich auf einen Künstler aufmerksam, der seit 30 Jahren LSD nahm und die seltsamsten Synästhesien hatte.« Bei diesem Phänomen sind verschiedene Wahrnehmungskanäle gekoppelt; man sieht zum Beispiel Töne in bestimmten Farben oder Formen. »Der Mann erzählte uns, dass er Bilder sah, wenn Menschen sprachen«, erinnert sich Blom. Der Künstler malte für den Forscher Bilder von seinen Eindrücken und erklärte seine Wahrnehmung folgendermaßen: »Jede Person hat eine einzigartige Konfiguration, die zu ihrer Stimme passt.« Dementsprechend könne er Menschen anhand solcher visuellen »Kleckse« erkennen, ohne sie überhaupt zu sehen. Im zugehörigen Fallbericht wird das folgendermaßen beschrieben:
Mann, 39 Jahre. Seit seinem 15. Lebensjahr hatte er LSD, Amphetamin, Kokain und Cannabis konsumiert. Seit zehn Jahren hatte der Patient während des Konsums häufig akustische, visuelle und olfaktorische Halluzinationen. So hörte er beispielsweise Klirren und Rascheln und sah Eidechsen, knospende Blumen, Schatten und sich bewegende Personen. Darüber hinaus erlebte er chromatisch-phonemische Synästhesien: Während er gesprochene Worte hörte, sah er runde Figuren mit spitzen Vorsprüngen in verschiedenen Farben. Die Halluzinationen und Synästhesien traten während des LSD-Konsums auf, aber selbst nach zwei Jahren Abstinenz berichtete der Patient, dass er sie immer noch täglich hatte. Der Patient erkannte sie von einem LSD-Trip und hatte sie noch nie zuvor erlebt.
Der Bericht habe ihn zu einer noch nicht veröffentlichten Studie inspiriert, die sich mehr auf solche positiven Aspekte der Störung konzentriere, verrät Blom. Wie vieles im Leben ist auch HPPD also nicht nur schwarz oder weiß. Und selbst wenn die Situation für Betroffene eher »schwarz« erscheint, dann besteht zumindest Grund zur Hoffnung, dass sich die Bilder, die sie riefen, wieder vertreiben lassen.
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