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Domestikation: Made in Asia

Irgendwann, lange vor Kolumbus, erreichte der Mensch auf noch immer umstrittenen Wegen für ihn neue Welten: den Doppelkontinent Amerika. Im Gepäck: zahlreiches Nützliches, wie sein jüngster bester Freund, der Hund. Und offenbar eine Afrikanerin, die ihm aber erst in Asien lieb und teuer geworden war.
Kalebasse
Wer seinen Mate-Tee südamerikanisch stilecht genießen will, der kredenzt den trinkbaren Muntermacher in einem ausgehöhlten Flaschenkürbis mit kunstvoll verziertem Metallrand. Aber Kalebassen, wie die Spezies mit den rundlichen Früchten auch genannt wird, sind weit vielfältiger: Manche Teile können als Gemüse gekocht werden, und die geschälten Samen passen gleich noch dazu in die Suppe. Die harten und dabei sehr leichten Schalen erwiesen sich als hervorragende Speicher-, Schmuck- oder Essgefäße lange vor der Erfindung des Töpferns, sie werden zu Musikinstrumenten und Masken verarbeitet, und wenn man die noch wachsenden Früchte einbindet, entstehen höchst kuriose Formen für alle möglichen Zwecke. Kein Wunder, dass Lagenaria siceraria zu den frühesten domestizierten Pflanzen gehört.

Samen einer Kalebasse | Ein tausend Jahre alter Flachenkürbis-Samen aus Kentucky. In der Gestalt ähnelt er stark asiatischen Vertretern. Angehörige der afrikanischen Unterart erreichten Amerika offenbar erst mit den Europäern.
Die umstrittene Frage ist nur: Wem gebührt die Ehre, die Idee gehabt zu haben? Denn die Art stammt, daran herrscht kein Zweifel mehr, aus Afrika. Nachweise aber von Samen und Schalenstücken, die bereits zu den domestizierten Formen zählen, gibt es auch aus Asien und Amerika – und zwar aus Zeiten bis zu 10 000 vor heute, als der Mensch überhaupt gerade erst begann, sich das sesshafte Dasein durch die Zucht ihm treuer Freunde aus Tier- und Pflanzenwelt bequemer zu machen. Erkennbar ist dessen Einfluss übrigens an der Schale – je dicker, desto länger hatte er seine Finger schon im Spiel.

Da die Samen eine mehrmonatige Reise in Salzwasser ohne Verlust ihrer Keimfähigkeit überstehen, galt dies in den vergangenen Jahren als die wahrscheinlichste Auswanderungsroute, und zwar sowohl nach Asien als auch nach Amerika. Oder kamen sie doch mit Booten früher menschlicher Meeresüberquerer? Rätsel genug jedenfalls für Bruce Smith vom Nationalmuseum für Naturkunde der Smithsonian Institution und seine Kollegen, der Frage auf den Grund zu gehen.

Die Forscher datierten Kalebassen-Fundstücke aus archäologischen Ausgrabungsstätten im Osten Nordamerikas, im Norden und Süden Mexikos und in Peru mit Beschleuniger-Massenspektrometrie, vermaßen die Wanddicke der ausgegrabenen Schalen und verglichen noch aufspürbares Erbgut mit Gensequenzen heutiger Kalebassen-Varietäten. Mit dem Fund der ersten wilden Population von Flaschenkürbissen in Zimbabwe vor einem Jahr stand ihnen nun sogar urwüchsiges Vergleichsmaterial zur Verfügung.

Schalenrest | Ein elektronenmikroskopischer Blick auf einen 8400 Jahre alten Schalenrest einer Kalebasse aus Peru.
Im Vergleich zu ihren wilden Verwandten bildeten die in Amerika gefundenen Früchte bereits deutlich dickere Schalen – sie stammten also von bereits domestizierten Pflanzen, die demnach zu diesen frühen Zeiten in der Neuen Welt bereits weit verbreitet waren. Und: Ihr Erbgut zeigte engere Beziehungen zur asiatischen Sippe als zur afrikanischen Verwandtschaft. Erst später, mit den Europäern, kamen auch die afrikanischen Vertreter an und zum Zuge, und zwar so erfolgreich, dass sie die ursprünglichen asiatischen Einwanderer inzwischen fast vollständig verdrängt haben.

Bleibt noch die Frage der Invasionsroute. Eine Meeresüberquerung von Früchten der Wildvariante halten Smith und seine Kollegen für unwahrscheinlich: Ihre dünne Schale hätte sie kaum genügend vor den harschen Bedingungen geschützt. Da sie damit auch kaum als widerstandsfähiges Gefäß getaugt hätten, dürften sie zudem nicht im Gepäck eventueller zweibeiniger Umsiedler gesteckt haben. Wie auch immer sie die Neue Welt erreichten, sie kamen jedenfalls als vom Menschen bereits beeinflusste Nutzpflanze.

Der Wasserweg mittels einer pazifischen Meeresströmung ist dabei nicht ausgeschlossen: Badegummitiere und Sportschuhe haben in anderen Studien diese interessanten Verbreitungswege gen Amerika bereits aufgezeigt. Trotzdem plädieren Smith und seine Mitarbeiter eher für die allseits bekannte Wanderweg über die Landbrücke der Beringstraße, die frühe Einwanderer trockenen Fußes überqueren konnten. So lange allerdings keine Kalebasse in paläoindianischen Fundstätten im hohen Norden auftaucht, bleibt auch das noch eine Vermutung.

Was zu guter Letzt noch die Ehre des Erfinders betrifft, auch hier gibt es Stoff zum Nachdenken. Denn die Pflanze mit ihren praktischen Früchten stammt zwar aus Afrika. Spuren ihrer Nutzung dort jedoch sind, trotz intensiver archäologischer Aktivitäten, höchstens 4000 Jahre alt – kein Vergleich zu ihrer Geschichte in China und Japan, wo Kalebassen offenbar schon doppelt so lange im Gebrauch sind. Demnach gebührt der Ruhm für die Idee wohl den Asiaten. Und da die Nutzpflanze in Amerika bereits vor zehntausend Jahren eintraf, müssen erste Züchtungsversuche wohl schon 12 000 bis 13 000 vor heute stattgefunden haben. Damit hat der Flaschenkürbis eine ähnlich lange gemeinsame Freundschaft mit dem Menschen wie ein tierischer Vierbeiner: der Hund.

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