Spermakrise: Mysteriöser Samenschwund

Was könnte die Existenz der Menschheit gefährden? Manche denken zuerst an den Klimawandel, andere an einen Meteoriteneinschlag oder gar an einen Atomkrieg. Vermutlich würden eher wenige auf die Idee kommen, dass eine Spermakrise den Fortbestand unserer Spezies bedrohen könnte. Eine Hand voll Fachleute, die die männliche Fruchtbarkeit erforschen, halten dies jedoch für möglich. Andere sehen in dem Szenario vor allem übertriebene Panikmache.
Die Debatte um die sinkende Zahl an männlichen Samenzellen blickt auf eine etwa 50-jährige Geschichte zurück. In den 1970er und 1980er Jahren kamen einzelne Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Menge an Spermien im Ejakulat im Vergleich zu der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts drastisch abgenommen hat. Eine 1992 veröffentlichte Übersichtsarbeit des dänischen Andrologen Niels Erik Skakkebæk deutet in die gleiche Richtung. Ihre Auswertung umfasste 61 Studien mit knapp 15000 Probanden und zeigte einen klaren Abwärtstrend: Demnach war die durchschnittliche Spermienkonzentration von 113 auf 66 Millionen Spermien pro Milliliter gesunken. Das Ergebnis rief schon damals Kritiker auf den Plan. Sie zweifelten vor allem daran, dass die ausgewerteten Daten qualitativ hochwertig genug und miteinander vergleichbar waren.
Knapp 20 Jahre später nahm die Diskussion wieder Fahrt auf. Ein Forschungsteam aus Israel und den USA analysierte 2017 und 2021 die Studienlage zur Spermienanzahl erneut. Dabei kam die Gruppe zu ähnlichen Ergebnissen wie Skakkebæk & Co.: Bei Männern weltweit hätte sich die Spermienzahl in der Samenflüssigkeit den vergangenen 40 Jahren um mehr als 50 Prozent reduziert – von über 100 Millionen Zellen pro Milliliter auf unter 50 Millionen. Und seit dem Jahr 2000 sanken die Zahlen etwa doppelt so schnell wie in den drei Jahrzehnten zuvor. Außerdem war der Rückgang gemäß der Analyse von 2021 nicht nur auf die westlichen Industrienationen beschränkt.
Themenwoche Fruchtbarkeit
Bei manchen klappt es ganz schnell, während der Kinderwunsch anderer lange unerfüllt bleibt. Dafür gibt es mehrere mögliche Gründe: von Störungen im weiblichen Zyklus bis hin zu unfitten Spermien. Welche Beschwerden sollten Frauen besonders ernst nehmen, wenn sie sich um ihre Fruchtbarkeit sorgen? Was hat es mit der Hormonstörung PCOS auf sich, und wie lässt sie sich behandeln? Welche Möglichkeiten haben Paare, wenn die erwünschte Schwangerschaft auf sich warten lässt? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert »Spektrum.de« in einer Themenwoche.
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Zahlreiche Medien riefen daraufhin eine »Spermakrise« aus, durch die das Fortbestehen unserer Spezies auf der Kippe stehe. Aber auch manche Fachleute mit umfangreicher Expertise äußerten solche Bedrohungsszenarien. Zu ihnen zählt Shanna Swan vom Mount Sinai Hospital in New York. Sie ist eine der weltweit führenden Reproduktionsepidemiologinnen und hat an den beiden genannten Metaanalysen federführend mitgewirkt. Im Jahr 2021 veröffentlichte Swan ein populärwissenschaftliches Buch mit dem Titel »Count down« (im Englischen heißt Spermienanzahl »sperm count«). Bereits der Untertitel malt ein beunruhigendes Bild. Übersetzt lautet er: »Wie unsere moderne Welt die Spermienzahl bedroht, die männliche und weibliche Fortpflanzungsentwicklung verändert und die Zukunft der Menschheit gefährdet«. Ins gleiche Horn bläst ihr Kollege, der israelische Epidemiologe Hagai Levine. Auch er war maßgeblich an den beiden Metastudien beteiligt. Gegenüber »Zeit online« sprach er im Sommer 2023 sogar von einer »stillen Pandemie«. Levine äußerte die Sorge, dass er vielleicht keine Enkel und Urenkel mehr bekommen werde.
»Die Zahlen und übereinstimmenden Ergebnisse sind schwer zu ignorieren«Sarah Martins da Silva, Expertin für männliche Unfruchtbarkeit
In der Tat gibt es an den beiden Arbeiten wenig auszusetzen. Alle Untersuchungen, die das Forschungsteam in ihre Analyse einschloss, nutzten die gleiche Methodik: In einem Hämozytometer – einer winzigen Kammer, in der man unter einem Lichtmikroskop Zellen zählen kann – bestimmte man die Spermienzahl in einigen Mikrolitern Ejakulat und rechnete sie dann auf die Menge pro Milliliter um. Außerdem flossen nur Daten von Männern ein, bei denen es keine Hinweise auf Unfruchtbarkeit gab. Die Probanden hatten außerdem keine Medikamente eingenommen oder an Erkrankungen gelitten, die ihre Zeugungsfähigkeit beeinträchtigen könnten. Werte von Rauchern wurden ebenfalls nicht miteinbezogen. Die Metastudie von 2021 schloss am Ende insgesamt 223 Studien ein, die diese Kriterien erfüllten.
Etliche Fachkolleginnen und -kollegen schätzen die Resultate als verlässlich ein. »Die Zahlen und übereinstimmenden Ergebnisse sind schwer zu ignorieren«, kommentiert etwa Sarah Martins da Silva, Expertin für männliche Unfruchtbarkeit an der University of Dundee in Schottland, in einer Stellungnahme gegenüber dem Science Media Center (SMC). Die Daten würden zu den sinkenden Fruchtbarkeitsraten passen, die man weltweit beobachte. Auch Richard Sharpe von der University of Edinburgh fand die Ergebnisse alarmierend. »Der Analyse zufolge setzt sich der Rückgang fort und verschlimmert sich möglicherweise«, betonte er. Dies sei »eine schlechte Nachricht für die Fruchtbarkeit von Paaren« – insbesondere, da viele Frauen inzwischen erst im Alter zwischen 30 und 40 Jahren schwanger werden wollten. »Ich nenne das das perfekte Rezept für eine zunehmende Unfruchtbarkeit«, kommentiert Sharpe.
Dem Samen die Sprünge helfen
Wenn die Spermienqualität nicht ausreicht, um ein Kind auf natürlichem Weg zu erzeugen, kommen künstliche Befruchtungsmethoden in Frage. Das Ejakulat kann etwa in einem Speziallabor aufbereitet und zum Zeitpunkt des Eisprungs mit Hilfe eines Katheters in die Gebärmutterhöhle eingeführt werden. So sparen die Zellen sich den Weg von der Vagina durch den Muttermund bis zum Eileiter. Bei noch schwererer Beeinträchtigung kommt eine In-vitro-Fertilisation in Frage.
Auch der eingangs erwähnte Androloge Niels Erik Skakkebæk gehört zu jenen, die die Zahlen ernst nehmen. Persönlich möchte er mit der Presse nicht mehr über das Thema sprechen, lässt er auf eine Interviewanfrage wissen. Er deutet an, er habe deswegen schon genügend Streit gehabt. In der Vergangenheit hatte er sich jedoch in der Öffentlichkeit deutlich positioniert. In einem Editorial nannte Skakkebæk 2017 die unbequeme Frage, ob wir uns über unsere zukünftige Fortpflanzungsfähigkeit Sorgen machen müssten, durchaus berechtigt. Angesichts der sinkenden Geburtenrate schrieb er, »um künftigen Generationen zu helfen, müssen wir jetzt handeln«, und forderte mehr Forschung zum Thema.
Zweifel an den Daten
Allan Pacey, Professor für Andrologie an der University of Sheffield, England, schätzt die Sachlage etwas anders ein. Er bezeichnet die Metaanalyse zwar als »elegant«, weshalb er »keinerlei Kritik an der Art und Weise« hätte, wie sie durchgeführt wurde. Allerdings traut er der Qualität der einbezogenen Daten nicht, vor allem jener aus den älteren Veröffentlichungen: »Das Zählen von Spermien ist selbst mit der Goldstandard-Technik der Hämozytometrie schwierig«, zitiert ihn das SMC. Pacey ist der Ansicht, Forschende seien mit der Zeit einfach besser darin geworden, weil es mittlerweile weltweit Schulungs- und Qualitätskontrollprogramme gibt. »Ich denke, dass dies ein Großteil dessen ist, was wir in den Daten sehen«, so Pacey.
»Das Zählen von Spermien ist selbst mit der Goldstandard-Technik der Hämozytometrie schwierig«Allan Pacey, Androloge
Mit der Kritik ist er nicht allein. In einer Übersichtsarbeit legten französische Forscher von der Université Paris-Descartes 2022 dar, warum man anhand der verfügbaren Daten nicht darauf schließen könne, dass sich die Qualität des menschlichen Samens verschlechtert hätte. Die Testgruppen und Studiendesigns seien ihnen zufolge zu heterogen, um eindeutige Folgerungen zu ermöglichen. Sieht man sich große, kontrollierte Studien an, die Probanden aus ähnlichen geografischen Regionen mit gleich bleibenden Methoden über längere Zeiträume untersuchen, kommen diese zum Teil zu ganz anderen Ergebnissen. So stieg bei 4867 Männern aus dem Raum Kopenhagen zwischen 1996 und 2010 die mittlere Spermienkonzentration sogar an, von 43 auf 48 Millionen pro Milliliter. In einer kanadischen Studie mit etwa 48 000 Probanden, die sich über einen Zeitraum von 13 Jahren, von 1984 bis 1996, in Unfruchtbarkeitskliniken vorstellten, blieben die Werte im Mittel gleich.
Stefan Schlatt vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie in Münster warnt ebenfalls vor voreiligen Schlüssen. Es gebe mehrere mögliche Erklärungen für die vermeintliche Spermakrise. »Es könnte einfach sein, dass die Männer heutzutage viel mehr masturbieren als früher«, nennt der Androloge als Beispiel. Pornografie sei ständig verfügbar. Seiner Erfahrung nach würden es junge Personen vor der Abgabe einer Samenprobe oftmals nicht schaffen, die zwei bis drei Tage zuvor nicht Hand anzulegen. »Wenn man morgens ejakuliert, bekommt man eben später am Tag bei der Probenabgabe nicht mehr so viel raus«, sagt er. »Wir vergleichen vielleicht Proben von Männern, die alle Vorgaben eingehalten haben, mit solchen, die es kaum mehr tun«, so Schlatt.
»Der durchschnittliche Mann in Deutschland hat derzeit 35 bis 40 Millionen Spermien pro Milliliter – physiologisch ist das völlig in Ordnung«Stefan Schlatt, Androloge
Sorgen um die Zeugungsfähigkeit macht er sich daher nicht. »Der durchschnittliche Mann in Deutschland und auch weltweit hat derzeit 35 bis 40 Millionen Spermien pro Milliliter«, so Schlatt. »Physiologisch ist das völlig in Ordnung.« Wäre die Konzentration höher, würde das die männliche Fruchtbarkeit nicht weiter steigern, meint er. Die Gründe für den Rückgang der Geburtenrate in den westlichen Industrienationen sieht er eher darin, dass das mittlere Alter von Schwangeren steigt.
Potenzielle Gefahren für die Spermien
Trotz nachvollziehbarer Kritik an den Daten könnte ein Spermaschwund zumindest einem Teil des beobachteten Rückgangs zu Grunde liegen. Dann müsste es allerdings Ursachen für diesen Effekt geben. An Verdächtigen fehlt es nicht: Bewegungsmangel, Übergewicht, schlechte Ernährung, Nikotin und Alkohol sind nur einige der Kandidaten. Studienergebnisse belegen tatsächlich, dass sich solche Faktoren negativ auf die Spermienproduktion auswirken können. Ins Visier mancher Forschenden gerieten zudem Umweltchemikalien, darunter Pestizide in der Landwirtschaft und so genannte endokrine Disruptoren, kurz EDCs. Zu Letzteren zählen etwa Weichmacher in Kunststoffen.
»Es gibt viele Hinweise darauf, dass Alltagschemikalien die Spermaproduktion stören«Timo Strünker, Biochemiker
»Es gibt viele Hinweise darauf, dass Alltagschemikalien die Spermaproduktion stören«, bestätigt Timo Strünker vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie in Münster. Eine spezielle Rolle spielen hier die EDCs. Sie können nämlich im Körper eine hormonähnliche Wirkung entfalten und sein endokrines System beeinflussen. Experimente an Nagern zeigten eine beeinträchtigte Spermienproduktion, wenn die Tiere solchen Chemikalien ausgesetzt waren. 2018 beobachteten Fachleute bei jungen Mäusen ähnliche Effekte, nachdem die Muttertiere während der Schwangerschaft einen Cocktail aus ECDs erhalten hatten.
Hormonähnliche Substanzen verwirren Spermien
In einer Studie von 2014 untersuchte Timo Strünker vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster mit seinem Team die Wirkung von nahezu 100 endokrinen Disruptoren auf menschliche Samenzellen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachteten, dass rund ein Drittel von ihnen den Kalziumhaushalt der Zellen stören, der unter anderem mit der Fortbewegung zusammenhängt. Noch ist nicht abschließend geklärt, was daraus folgt. Theoretische Überlegungen gibt es aber. »Die Spermien werden möglicherweise im Eileiter während des Befruchtungsvorgangs vom Weg abgebracht, weil die chemische Kommunikation mit der Eizelle nicht mehr richtig funktioniert«, mutmaßt Strünker. »Sie bekommen vielleicht falsche Signale und verlieren die Orientierung.«
In weiteren Versuchen fand das Team, dass sich unterschiedliche EDCs in ihrer Wirkung auf die Samenzellen verstärken. Das könnte etwa dazu führen, dass Letztere ihren »Turbo« zu früh einschalten. Normalerweise fangen Spermien erst in unmittelbarerer Umgebung der Eizelle an, sich kraftvoll fortzubewegen, um die Eihülle zu durchbohren. Durch die EDCs könnten ihnen also buchstäblich auf den letzten Millimetern die Puste ausgehen. Wieder ist das nur Theorie – denn: »Bislang haben wir solche Effekte der Chemikalien nur unter Laborbedingungen in der Petrischale beobachtet.«
Hinzu kommt, dass EDCs auch direkt auf Samenzellen einwirken können. »Spermien sind extrem gut darin, Botenstoffe wahrzunehmen und darauf zu reagieren«, erklärt Strünker. Im weiblichen Genitaltrakt müssen sie sich anhand von solchen Signalmolekülen orientieren. Hierfür besitzt ihr Schwanz einen äußerst sensiblen Sensor, mit dem sie die chemische Umgebung wahrnehmen. Diese Fähigkeit erlaubt es ihnen vermutlich, den Weg zur Eizelle zu finden. In mehreren Untersuchungen stellten Strünker und sein Team fest, dass sich EDCs unter anderem negativ auf den Fortbewegungsapparat der Zellen auswirken. Ähnliches trifft auf manche Arzneimittel zu. »Wir wissen zum Beispiel, dass Spermien relativ sensibel auf Antidepressiva reagieren können«, erläutert Strünker. Das Problem: »Es ist unglaublich schwierig, nachzuweisen, dass Umweltchemikalien oder Arzneimittel nicht nur im Labor, sondern tatsächlich auch im Körper der Frau die Samenzellen direkt beeinflussen.« Die Experimente, die nötig wären, um das herauszufinden, könne man einfach nicht durchführen, so Strünker.
Niels Erik Skakkebæk wiederum vermutet, dass die derzeitige »Unfruchtbarkeitsepidemie« in erster Linie mit der zunehmenden Belastung durch chemische Überreste aus fossilen Brennstoffen zusammenhängt. Die These begründen er und seine Kolleginnen und Kollegen etwa in einer Übersichtsarbeit aus 2021 mit Langzeitdaten, die darauf hindeuten, dass die menschliche Fruchtbarkeit besonders in industrialisierten Regionen um das Jahr 1900 zu sinken beginnt. Einige Jahrzehnte zuvor hatte die Verbrennung von Kohle, Gas und Erdöl Fahrt aufgenommen. Die Forschenden sehen hier außerdem einen Zusammenhang zur weltweit steigenden Inzidenz von Hodenkrebs bei jungen Männern, der durch die Chemikalien aus fossilen Brennstoffen ausgelöst werde. Noch ist das aber nicht nachgewiesen.
»Alles, was gesund hält, hilft auch dem Hoden«Stefan Schlatt, Androloge
Die Spermienfitness steigern
Gut belegt ist, dass Übergewicht, Alkohol und Rauchen den Samenzellen schaden. »Alles, was gesund hält, hilft auch dem Hoden«, betont Schlatt. Er verweist in diesem Zusammenhang auf das komplizierte Hormonsystem, das die Keimdrüsen und damit die Fruchtbarkeit steuert. Diverse Lebensstilfaktoren könnten die fein abgestimmten Prozesse durcheinanderbringen. Er nennt den Hoden daher gerne den »Kanarienvogel des Mannes«: »Wenn mit der Gesundheit etwas nicht stimmt, dann zeigt der Hoden uns das an«, so Schlatt – ähnlich wie die Vögel früher im Bergbau vor knapp werdendem Sauerstoff warnten. Hitze schadet den Spermien ebenfalls, weshalb enge Unterhosen und viel Sitzen eher ungünstig für deren Qualität sind. Die so genannte thermische Kontrazeption nutzt genau diesen Effekt aus, um mittels Erwärmung des Hodensacks eine Schwangerschaft zu verhindern.
Wenn Paare trotz regelmäßigem Geschlechtsverkehr unfreiwillig kinderlos bleiben, können standardisierte Untersuchungen Klarheit schaffen, wie es um die Spermienqualität bestellt ist. Dabei bestimmen Fachleute neben dem Volumen des Ejakulats und der Samenzellenkonzentration auch die Form und Funktionsfähigkeit der Zellen. »Ein bis drei Milliliter Ejakulat ist normal. Und wenn darin mehr als fünf Prozent gesund geformte Spermien sind, ist das bereits gut«, erklärt Schlatt und fügt hinzu: »Mindestens 40 Prozent davon sollten sich vorwärtsbewegen.« Quantität sowie Qualität lassen sich zudem dadurch beeinflussen, wie häufig es zum Samenerguss kommt. Sehr oft, aber auch sehr selten kann für »schlechte« Werte sorgen: »Wenn man zehn Tage gar nicht ejakuliert hat, dann sind sehr viele tote Spermien in der Probe«, sagt Schlatt. Mehrmals täglich führt hingegen zu einer niedrigen Zahl an Samenzellen.
Sperma im Fokus
Die WHO hat 2021 die sechste Version eines Handbuchs veröffentlicht, das Labormethoden zur Samenanalyse beschreibt. Die wichtigsten zu erfassenden Parameter sind das Volumen und die Zellenkonzentration im Ejakulat, die vorwärtsgerichtete und totale Beweglichkeit der Spermien sowie abnormale Formen der Zellen, die sich an ihrem Aussehen festmachen lassen.
Das Handbuch ist in zahlreichen Sprachen verfügbar. Es soll sicherstellen, dass unabhängig von der geografischen Region dieselben Verfahren und Referenzen für die Samenanalyse gelten. So will die WHO eine einheitliche Diagnose der männlichen Unfruchtbarkeit befördern und Daten vergleichbar machen.
Der Hoden produziert permanent Spermien und füllt damit den Nebenhoden auf. »Der macht daraus passende Portionen«, erläutert Schlatt. Rein physiologisch ist der Speicher nach ein bis zwei Tagen in der Regel wieder so voll, dass er ausreichend Samenzellen für mehrere Ejakulate enthält. Die rund 40 Millionen Samenzellen, die man im Durchschnitt heutzutage in einem Milliliter findet, sind laut dem Experten dafür vollkommen ausreichend. »Sind es jedoch deutlich weniger, von denen sich auch noch viele schlecht bewegen und eine ungesunde Form haben, wird es schwierig.«
Bislang lässt sich also nicht abschließend darüber urteilen, ob die Spermakrise diesen Namen verdient. »Man muss den Beobachtungen einfach weiter intensiv nachgehen«, sagt Strünker. In der Zwischenzeit bleibt Männern nichts anderes übrig, als auf ihre Gesundheit zu achten, um ihren Kanarienvogel so fit wie möglich zu halten.
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