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Paläopathologie: Magenspiegelung einer Mumie

Kolumbus und Konsorten brachten manch üblen Erreger in die Neue Welt - doch im Fall des Magenkeims Helicobacter pylori lautet das Urteil wohl "unschuldig": Das Bakterium hatte Amerika lange zuvor mit den ersten Einwanderern aus dem asiatischen Raum erreicht. Eine mexikanische Mumie zeigt nun, dass der Untermieter nicht nur mitgereist ist, sondern seine unfreiwilligen Wirte auch wirklich infiziert hat.
Mexikanische Mumie
Wanderbewegungen des Menschen anhand seiner Parasiten und Krankheiten nachzuzeichnen, ist immer eine spannende Geschichte. Filzläuse, Kopfläuse, Malariaparasiten, Tuberkuloseerreger – was Homo sapiens so an und in sich trägt, reiste mit ihm um den Globus und ermöglicht oft, an Veränderungen im Erbgut feinere Details der einzelnen Fahrten aufzuklären als das Genom ihres zweibeinigen Vehikels.

Beliebt für solche Rekonstruktionen ist auch Helicobacter pylori, ein Bakterium, das die Magenschleimhaut besiedelt und neben üblen Magenschmerzen über Gastritis bis hin zu Krebs erheblich die Gesundheit schädigen kann. Lange Zeit hielt man es für ein Mitbringsel der Europäer, als sie die Neue Welt eroberten, denn die Erreger in heutigen südamerikanischen Patienten zeigten typische europäische Signaturen. Dann allerdings entdeckten Forscher 1999 in beinahe 3000 Jahre alten Exkrementen aus den südamerikanischen Anden Antigene des Bakteriums, und 2002 folgte der Nachweis, dass Helicobacter von venezolanischen Ureinwohnern eher asiatische Verwandtschaftsbeziehungen aufweist.

Der Magenkeim musste also mit den ersten Einwanderern vor 11 000 Jahren über die Beringstraße gekommen sein. Aber war er damals bereits ein Krankheitserreger? Oder noch ein harmloser Magenbewohner? Diese Fragen kann nur entsprechendes Gewebe aus vergangenen Zeiten beantworten – und dafür wiederum bietet sich vor allem eine Quelle an: Mumien.

Mexikanische Mumie | In einer 700 Jahre alten Mumie aus dem Norden Mexikos entdeckten Forscher in Magengewebe genetische Spuren von Helicobacter pylori. Dies belegt nicht nur, dass der Magenkeim bereits vor Kolumubus Amerika erreicht hatte, sondern auch, dass er sich damals bereits in der Magenschleimhaut einnistete.
Yolanda López-Vidal von der Universidad Nacional Autónoma de México und ihre Kollegen wählten daher zwei präkolumbische Mumien aus dem Norden des Landes, die in Grabhöhlen bestattet worden waren. Die klimatischen Bedingungen in den Höhlen hatten die Körper und ihre inneren Organe hervorragend erhalten.

Diese Zeitzeugen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts unterzogen die Forscher nun posthum mit moderner medizinischer Apparatur einer Magenspiegelung. Aus den vorsichtig gewonnenen Proben aus dem Magen sowie Vergleichsmaterial aus Mundhöhle und Gehirn extrahierten sie die DNA, vervielfältigten die winzigen Mengen anschließend mit Polymerase-Kettenreaktion (PCR) und durchsuchten sie nach eindeutigen Spuren bakterieller Hinterlassenschaft: Gensequenzen des mikrobiellen Ribosoms, die sich eindeutig von denen des menschlichen Wirtes unterscheiden.

Grabhöhle | Die Umgebungsbedingungen in den Grabhöhlen sorgten dafür, dass selbst die inneren Organe der Mumien noch erhalten sind.
Sie wurden fündig. In der Magenwand einer Mumie stießen sie tatsächlich auf Helicobacter-Erbgut, während die andere offenbar von dem reizenden Untermieter verschont geblieben war. In den Kontrollen – dem Gewebe aus Hirn und Mund – fanden die Wissenschaftler erwartungsgemäß nichts dergleichen.

Damit bestätigen López-Vidal und ihre Mitarbeiter nicht nur, dass der Magenkeim tatsächlich bereits vor Kolumbus Amerika erreicht hat, sondern weisen auch erstmals eine wirkliche Infektion nach – und klären so die Frage, ob Helicobacter schon damals nur harmloser Untermieter oder bereits Krankheitserreger war.

Wie schlimm der Betroffene, ein 50- bis 60-jähriger Mann, wirklich litt, lässt sich natürlich nicht mehr feststellen. Seine Wirbelsäule weist deutlich auf ein lebenslange schwere köperliche Arbeit hin – wie bitter wäre es, sollten ihm zusätzlich Magenbeschwerden den Lebensabend vergällt haben.

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