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Gammastrahlen-Astronomie: MAGIC II: First Light über den Wolken

Vor einigen Tagen wurde das weltgrößte Teleskop für Gammastrahlung eingeweiht. Jan Hattenbach war dabei, als es auf La Palma offiziell in Betrieb ging, sprach mit den Verantwortlichen und berichtet online.
Auch auf einer Ferieninsel ist das Wetter manchmal ungemütlich. Als rund fünfzig Physiker, Astronomen und Journalisten am Morgen des 25. April 2009 vor die Tür ihres Hotels an der Ostküste von La Palma treten, verbergen graue Wolken den Himmel, es fällt sogar leichter Nieselregen. Und das ausgerechnet am Tag der Einweihung von MAGIC II, dem größten Gammastrahlenteleskop der Welt. Es soll das fast baugleiche MAGIC I ergänzen – zusammengeschaltet werden die beiden Instrumente dann hochpräzise Ergebnisse liefern können.

Markus Garczarczyk ist trotz der Wolken optimistisch. Er ist stellvertretender technischer Koordinator des MAGIC-Teleskops und lebt schon seit zwei Jahren auf der Insel. Nach einem kurzen Blick auf die aktuellen Wetterdaten ist er sich sicher: Auf dem Observatorium, rund 2200 Meter weiter oben auf dem Berg Roque de los Muchachos, scheint die Sonne. Die Gäste sind in Feierstimmung, als sich ihre beiden Busse die lange, kurvenreiche Straße hinaufkämpfen.
Das Tscherenkow-Teleskop MAGIC 2 | MAGIC ist Wind und Wetter ausgesetzt – eine Kuppel wäre zu teuer gewesen.


Größer als jeder andere
MAGIC ist ein Teleskop der Superlative. Siebzehn Meter durchmisst sein Hauptspiegel, er ist größer als jeder andere auf der Welt. Weil man ihn nicht einfach in einem Stück fertigen konnte, besteht er aus 234 rund einen Quadratmeter großen, wie ein Puzzle zusammengesetzten Facetten. Die beweglich gelagerten Bauteile lassen sich so koordinieren, dass sie gemeinsam einen großen Hohlspiegel formen.

Aber nicht nur seine Größe macht MAGIC zu einem ungewöhnlichen Instrument. Im Gegensatz zu den meisten anderen astronomischen Teleskopen beobachtet es das Weltall nicht im optischen Licht, sondern sucht nach der energiereichsten Strahlung, die im Universum vorkommt: der kosmischen Gammastrahlung. Diese entsteht an den außergewöhnlichsten Orten des Universums, in der Nähe von Pulsaren, bei Supernovae oder in aktiven Galaxienkernen, und ist milliardenfach energiereicher als das sichtbare Licht.

Streng genommen, erklärt Masahiro Teshima, ist aber auch das Teleskop auf La Palma blind für Gammastrahlung. Der Physiker vom Max-Planck-Institut für Physik (MPP) in München ist Sprecher der MAGIC-Kollaboration. Bei dem Kolloquium, das am Nachmittag vor der offiziellen Einweihung für die versammelten Pressevertreter aus Spanien, Italien und Deutschland stattgefunden hatte, erläuterte Teshima das Messprinzip des Teleskops. Es ist ein wenig komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheint. Gammastrahlung vom Erdboden aus direkt zu messen ist nämlich ein Ding der Unmöglichkeit: Sie erreicht die Erde gar nicht, sondern wird von der Atmosphäre absorbiert. (Gut für uns, denn diese Strahlung, die um ein Vielfaches "härter" ist als selbst Röntgenstrahlung, wäre recht ungesund.)

Extrem schnelle Elektronik
Dennoch kann man sie von der Erdoberfläche aus aufspüren. Denn wenn ein Gammaquant in die Erdatmosphäre eindringt, erzeugt es einen Schauer aus Elektronen und Positronen. Dabei entsteht Cherenkovstrahlung, benannt nach dem russischen Physiker Pawel Tscherenkow. Diese Strahlung ist nichts weiter als blaues, optisches Licht, das schließlich – als ultrakurzer Lichtblitz – die Erdoberfläche erreicht und von den Teleskopen registriert wird. Aus der Intensität des Cherenkovlichts und der Form des Lichtkegels können die Astronomen Energie und Herkunft des ursprünglichen Gammaquants rekonstruieren.

So erklärt sich auch der Name des Teleskops: MAGIC steht für Major Atmospheric Gamma Imaging Cherenkov Telescope. Es handelt sich also, korrekt ausgedrückt, um ein Teleskop zum Nachweis und zur Abbildung des Tscherenkowlichts atmosphärischer Luftschauer, die durch kosmische Gammaquanten ausgelöst werden.

Für das menschliche Auge sind Tscherenkowblitze völlig unsichtbar, denn sie dauern nur etwa zehn Milliardstel Sekunden (oder zehn Nanosekunden) und sind außerdem zu schwach, als dass die Retinazellen der menschlichen Netzhaut darauf ansprechen würden. Zu den wesentlichen Komponenten von MAGIC gehören daher nicht nur die große Spiegelfläche und seine empfindlichen Fotosensoren, sondern auch eine extrem schnelle Elektronik. Sie ist in der Lage, die 1039 Lichtsensoren der Teleskopkamera so schnell auszulesen, dass sich die Blitze mit einer zeitlichen Auflösung von wenigen Nanosekunden registrieren lassen.

Angst vor dem Waldbrand
Doch das wissen die meisten Gäste alles. Heute jedoch werden sie den Giganten endlich auch zu Gesicht bekommen. Der Bus windet sich Serpentine um Serpentine den Weg zum Observatorium hoch. Tatsächlich lichten sich die Wolken, zur Erleichterung aller erscheint der stahlblaue Himmel über La Palma. Noch etwa fünf Kilometer sind es bis zum Gipfel, und Markus Garczarczyk wird etwas ungeduldig, denn er will seinen Gästen etwas Besonderes bieten. MAGIC ist nämlich nicht nur das größte Gammastrahlungsteleskop der Welt, sondern auch das schnellste. Um dies zu demonstrieren, ist aber Eile geboten. Steht die Sonne zu hoch am Himmel, könnte der gewaltige Hohlspiegel das Sonnenlicht bündeln und womöglich einen Waldbrand auslösen. Daher darf er tagsüber normalerweise nicht bewegt werden. Dass Waldbrände hier keine Seltenheit sind, zeigen uns die verkohlten Baumstämme der Kiefern, die am Rand der Straße zu sehen sind.

Das hohe Tempo, mit dem sich MAGIC II neu ausrichten lässt, ist kein Selbstzweck. Mit seiner Hilfe wollen Astronomen nämlich auch den geheimnisvollen Gamma Ray Bursts (GRB) auf die Spur kommen – jenen völlig zufällig auftretenden energiereichen Blitzen im Weltall, deren Natur noch großteils unverstanden ist. Bei einigen GRBs handelt es sich um die energiereichsten Ereignisse, die wir kennen. Sie strahlen nicht nur im Gammalicht, sondern in sämtlichen Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums. Um sie zu beobachten, ist Schnelligkeit gefragt, denn die meisten der Blitze dauern nur wenige Minuten.

MAGIC wurde daher so konstruiert, dass es binnen 30 bis 50 Sekunden jeden beliebigen Punkt am Himmel anvisieren kann. Erreicht die Forscher während der Nacht ein Alarm von einem der Überwachungssatelliten, die den Himmel kontinuierlich nach GRBs absuchen, soll MAGIC sein Beobachtungsprogramm unterbrechen und den Blitz ins Visier nehmen. Um ihn möglichst schnell anfahren zu können, wurde das Teleskop in Leichtbauweise konstruiert: Rund 70 Tonnen wiegt die Konstruktion aus Kohlefaser und Aluminium. Ähnlich große Gammastrahlungsteleskope anderswo auf der Welt bringen ein Vielfaches auf die Waage.

Zwei Spiegel wie riesige Augen
Von der "Initialzündung" für das ambitionierte Projekt erzählt derweil Siegfried Bethke, Direktor am MPP und heute ebenfalls mit an Bord. Wie bei vielen Großprojekten stand auch bei MAGIC zu Beginn die Finanzierung in Frage. Doch als ein Waldbrand, ausgelöst durch eine Übung der Feuerwehr von La Palma, einen großen Teil des MAGIC-Vorgängerexperiments zerstörte, diente die Versicherungssumme der Startfinanzierung für das Hauptprojekt. Bethke erinnert sich noch gut an diese Zeit, schließlich war die Genehmigung des MAGIC-Projekts eine der ersten Entscheidungen, die er als MPI-Direktor zu treffen hatte.

Der Bus nimmt die letzten Kurven zum Observatorium. Schon von weitem kann man die scheeweißen Kuppelgebäude erkennen, die wie riesige, künstliche Pilze in einer ansonsten eher kargen Landschaft stehen. Der Anblick der MAGIC-Teleskope aber übertrifft sie alle, zwei Spiegel wie riesige Augen. Sie sind zur Straße hin gerichtet und wirken dadurch umso eindrucksvoller – unwirklich spiegelt sich die Landschaft samt der Straße und den beiden Bussen in ihnen wider. Sie stehen unter freiem Himmel, ein schützender Kuppelbau wäre viel groß und zu teuer. Etwa 80 Meter von dem heute einzuweihenden Teleskop steht sein Doppelgänger, MAGIC I, der bereits seit 2003 bei der Arbeit ist. Bald sollen die beiden Instrumente zusammengeschaltet werden und gemeinsam eine höhere Empfindlichkeit erreichen.

Dann geht es endlich zum Schauplatz des Geschehens. Doch bevor die eigentliche Einweihungszeremonie beginnt, gedenken die Versammelten eines Mannes, der heute eigentlich dabei sein müsste. Florian Göbel war Manager des MAGIC-II-Teleskops, als er am 10. September 2008 bei den letzten Vorbereitungsarbeiten am Teleskop tödlich verunglückte. Des tragischen Ereignisses wegen sagten die Verantwortlichen die Einweihung seinerzeit ab, deshalb feiern sie nun auch in einem bescheideneren Rahmen. Ein Gedenkstein direkt vor dem Teleskop erninnert an den MAGIC-Manager, ebenso wie der neue Beiname der Teleskope: "The Florian Göbel Telescopes". Einige Teilnehmer sind aber sichtlich bedrückt, als es zum feierlichen Teil der Einweihung kommt, und trösten sich wohl mit dem Gedanken, dass es auch Göbels großer Wunsch war, MAGIC II in Aktion zu erleben.

Albträume und Zweifel
Der Weg bis zum heutigen Tag war weit gewesen. Tags zuvor hatte schon Eckard Lorenz, einer der "Väter" der MAGIC-Teleskope, von plagenden Albträumen und unzähligen schlaflosen Nächten berichtet. Fragt man ihn oder seine Kollegen nach den Gründen für die Unruhe, erklären sie vor allem, was MAGIC nicht ist: Es ist kein Teleskop "von der Stange", das man "einfach so bestellen und dann benutzen kann". Nahezu alle Komponenten beruhen auf eigenen Entwicklungen. Auch darum stieß die Idee, ein Teleskop dieser Größe überhaupt bauen zu wollen, nicht immer auf Zustimmung, wie Lorenz berichtet. "Its a nice idea, but will never work or would not survive a severe storm", lautete die Einschätzung vieler Kollegen.

Nun ist Lorenz genauso wie seinem Kollegen Razmik Mirzoyan große Erleichterung anzusehen. Nach vielen Jahren harter Arbeit sind die beiden Ungetüme aus Kohlefaser und Aluminium endlich bereit für die wissenschaftliche Arbeit. Mirzoyan ist Leiter der MAGIC-Gruppe am MPP. In seinem Vortrag am Vorabend hatte er die Entwicklung der noch jungen Disziplin der bodengebundenen Gammastrahlenastronomie beschrieben: Von der Entdeckung der atmosphärischen Tscherenkowstrahlung mit Hilfe eines zum Teleskop umgebauten Mülleimers bis hin zu den modernen Instrumenten der Gegenwart sind erst gut fünfzig Jahre vergangen. Alleine dreißig davon hat man vergeblich damit verbracht, mit Hilfe der Tscherenkowtechnik kosmische Gammaquanten nachzuweisen, und vor gerade einmal zwei Jahrzehnten gelang dies zum ersten Mal. Als weltweit größtes und leistungsfähigstes Tscherenkowteleskop ist MAGIC nun die vorläufige Krönung dieser Entwicklung – da darf man schon mal ein bisschen Stolz zeigen.

Doch der große Moment geht schnell vorüber: Die Bänder, die das Teleskop feierlich schmücken, sind ruckzuck durchschnitten. Sektkorken knallen nicht – wohl aus Rücksicht auf den verstorbenen Kollegen. Die Anwesenden erleben die wohl bescheidenste First-Light-Zeremonie, die für ein astronomisches Instrument dieser Größe je abgehalten wurde.

Von den meisten unbemerkt beginnt das Duett der Teleskope
Nun aber sollen MAGIC II und sein Doppelgänger ihre Beweglichkeit unter Beweis stellen. Gebannt starren die Pressevertreter auf das Ungetüm, die Kameras werden in Anschlag gebracht. Doch zunächst tut sich nichts, der PC für die Steuerung ist abgestürzt … Nach wenigen Minuten aber sind alle technischen Hindernisse beseitigt und ganz plötzlich, von den meisten zunächst unbemerkt, bewegt sich der Koloss. Innerhalb weniger Sekunden schwenkt der gewaltige Spiegel über fast den halben Himmel. Und Garczarczyk schmunzelt: Dies sei nur die halbe erreichbare Geschwindigkeit. Laufen die Motoren mit voller Kraft, verursache das Teleskop aber einen solchen Lärm, dass es auf dem gesamten Berg zu hören ist. Doch die Anwesenden sind vom Duett der beiden Teleskope auch bei gedrosseltem Tempo beeindruckt. Weil sie jeweils auf die gleiche Quelle ausgerichtet werden sollen, bewegen sie sich völlig simultan.

Nach der Show werden wir zu einem Rundgang durch die Anlage eingeladen. In einem kleinen Nebengebäude befindet sich die Elektronik zur Steuerung der Teleskope und zur Aufnahme der Beobachtungsergebnisse. Gemeinsam werden die Teleskope pro Beobachtungsnacht rund 2,5 Terabyte Daten produzieren. Auf Band gespeichert, werden sie den Mitgliedern der Kollaboration anschließend via Internet zugänglich gemacht. Der letzte Höhepunkt unserer Visite: Die Pressevertreter dürfen auf die zehn Meter hohe Plattform vor der MAGIC-Kamera hinaufklettern und das Gefühl genießen, einmal im Fokus eines 17 Meter großen Spiegels zu stehen.
Auf der Plattform des Tscherenkow-Teleskops MAGIC 2 | Diesen Ausblick ließen sich die anwesenden Wissenschaftler und Journalisten nicht nehmen.


Vom besonderen Glück der Astronomen
Auf der Abfahrt hinunter vom Roque macht der Bus noch einmal Halt an einem Aussichtspunkt, von dem man bis tief hinab in die Caldera de Taburiente schauen kann. An der Kante dieses größten Erosionskraters der Welt liegt das Observatorium am Roque de los Muchachos. Neben MAGIC beherbergt es noch eine Reihe weiterer astronomischer Einrichtungen, darunter das Gran Telescopio Canarias, das größte optische Teleskop der Welt mit einem Spiegeldurchmesser von immerhin 10,4 Metern. Zum besonderen Glück der Astronomen gehört – auch das wird hier manchem klar –, dass sich ihre Arbeitsplätze oft an Orten befinden, die zu den außergewöhnlichsten und schönsten der Erde zählen.

Die Einweihungsfeier klingt schließlich mit typisch kanarischen leiblichen Genüssen aus. Dann heißt es Abschied nehmen von der "Isla Bonita" mit ihrem Observatorium über den Wolken. Markus Garczarczyk und seine Kollegen haben nun wieder Nachtarbeit vor sich. Noch ist viel Kalibrationsarbeit zu tun. Die komplizierte Elektronik muss feinjustiert werden, bevor MAGIC II in einigen Monaten mit der eigentlichen Arbeit beginnen kann. Unterdessen beobachtet MAGIC I Nacht für Nacht den Himmel im Licht der Gammastrahlung. Bald hat es nun einen Mitstreiter, mit dem es dem Universum weitere seiner Geheimnisse entreißen kann.

Jan Hattenbach

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