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News: Magnetische Momente im Kristall-Mosaik

Hochtemperatur-Supraleiter sind seit 15 Jahren bekannt und haben bereits zu einer Vielzahl von Anwendungen geführt. Trotzdem ist der Mechanismus, der diesem Phänomen zugrunde liegt, immer noch weitgehend ungeklärt. Durch Experimente mit Neutronenstrahlen konnten Physiker jetzt zeigen, dass eine ungewöhnliche, fluktuierende magnetische Ordnung von zentraler Bedeutung für diese Art der Supraleitung ist.
Normale Metalle wie Kupfer heizen sich auf, wenn durch sie ein elektrischer Strom fließt. Deshalb ist der Transport von Elektrizität stets mit großen Verlusten verbunden. Um diese in Grenzen zu halten, sind technische Großanlagen wie zum Beispiel Hochspannungsleitungen erforderlich. Einige Metalle werden jedoch unterhalb der so genannten Übergangs- oder Sprungtemperatur zu Supraleitern, das heißt, sie leiten elektrischen Strom ohne jeglichen Verlust. Doch leider liegt die Sprungtemperatur bei herkömmlichen Supraleitern nur einige Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt. Da die Abkühlung auf diese Temperatur mit erheblichem Aufwand verbunden ist, findet man normale Supraleiter nur in wenigen technischen Anwendungen.

Im Jahr 1986 entdeckten jedoch Johannes Georg Bednorz und Karl Alexander Müller Supraleitung bei einer Klasse von Kupferoxiden, deren maximale Sprungtemperatur bei Normaldruck immerhin schon 134 Kelvin beträgt. Für die Entdeckung dieser Hochtemperatur-Supraleiter erhielten Bednorz und Müller im Jahr 1987 den Physik-Nobelpreis. Seither ist das Interesse an den diesen Materialien ungebrochen, denn sie lassen sich mit flüssigem Stickstoff – dessen Siedepunkt bei 77 Kelvin liegt – vergleichsweise leicht auf Temperaturen unterhalb der Sprungtemperatur bringen, was deutlich kostengünstiger ist, als mit Helium zu kühlen (Siedepunkt bei 4,2 Kelvin).

Doch trotz großer Erfolge bei der Herstellung und Entwicklung von Hochtemperatur-Supraleitern ist der zugrunde liegende Mechanismus noch immer ungeklärt. Denn die herkömmliche, schon seit nunmehr fast fünfzig Jahren bestehende Theorie der Supraleitung ist auf die Hochtemperatur-Supraleiter nur beschränkt anwendbar. Dieser Theorie zufolge bilden je zwei freie Elektronen eines Metalls unterhalb der Sprungtemperatur so genannte Cooper-Paare. Jedes Cooper-Paar lässt sich im Rahmen der Quantenmechanik als neues Teilchen, als Boson, beschreiben. So ein System von Bosonen geht bei tiefen Temperaturen in einen makroskopisch kohärenten Zustand über, dessen quantenmechanische Wellenfunktion sich über das gesamte System erstreckt. Im kondensierten Zustand bewegen sich daher die Bosonen ohne Widerstand, weshalb auch die bosonischen Cooper-Paare den elektrischen Strom völlig ungehindert durch das gesamte Material transportieren können.

Da die beiden Elektronen eines Cooper-Paars negativ geladen sind, stoßen sie sich aber auch elektrisch ab. Deshalb wird für die Bildung des Cooper-Paares eine der elektrischen Abstoßung entgegenwirkende, anziehende Kraft gebraucht. In herkömmlichen Supraleitern beruht diese Kraft auf den Schwingungen der positiv geladenen Atomkerne, den Phononen. Diese mildern die elektrische Abstoßung der Elektronen ab beziehungsweise heben sie sogar auf. Die Stärke der durch Phononen vermittelten Paarbildungskraft reicht allerdings nur für die Supraleitung bei sehr niedrigen Temperaturen, wie sie in herkömmlichen Metallen beobachtet wird.

Für die Bildung von Cooper-Paaren in Hochtemperatur-Supraleitern bedarf es einer stärkeren Kraft, deren Ursprung auch nach fast 15 Jahren noch immer umstritten ist. Auf der Suche danach beschossen Forscher um Bernhard Keimer vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung zusammen mit ihren Kollegen vom Commissariat à l'énergie atomique und von der Russian Academy of Sciences den Hochtemperatur-Supraleiter Tl2Ba2CuO6 mit Neutronenstrahlen. Dabei ist die Neutronenstreuung eine Technik, die analog zur Streuung von Lichtstrahlen funktioniert: Ähnlich wie diese Objekte für das menschliche Auge sichtbar machen, lassen sich aus der Streuung von Neutronen detaillierte Daten über die Beschaffenheit von Materialien gewinnen. Doch anders als Licht dringen Neutronen tief ins Innere eines Materials vor, sodass Informationen nicht nur über die Oberfläche, sondern auch über das Gesamtvolumen verfügbar werden.

Dabei machen sich Forscher insbesondere den Spin des Neutrons also seinen Eigendrehimpuls zu nutze; denn mit ihm ist auch ein kleines magnetisches Moment verbunden, sodass sich die Neutronen wie winzige Stabmagnete verhalten. Dasselbe gilt für die Elektronen innerhalb eines Festkörpers – auch sie besitzen einen Spin. Werden zwei Stabmagnete nebeneinander gehalten, stoßen sie sich ab oder ziehen sich an, je nachdem wie sie zueinander orientiert sind. Dasselbe passiert mit den Neutronen und Elektronen innerhalb eines Festkörpers: Durch ihre Wechselwirkung kehrt sich der Neutronenspin um und der einfallende Neutronenstrahl wird entsprechend abgelenkt, was sich messen und auswerten lässt.

Bisher jedoch wurden Neutronenstreu-Experimente mit Hochtemperatur-Supraleitern dadurch erschwert, dass sich nur recht aufwändig große Einkristalle erzeugen lassen, die aber für diese Untersuchungsmethode unabdingbar sind. Den Forschern gelang es jetzt, dieses Problem mit einem Trick zu umgehen: Sie packten mehrere hundert winzige Kristalle des Materials in eine Art "Mosaik", das als Ganzes einem großen Einkristall nahezu äquivalent ist und damit Neutronenstreu-Experimente an dem Supraleiter möglich machte.

Bei diesen Versuchen hat das deutsch-französisch-russische Forscherteam einen überzeugenden Ansatzpunkt zur Erklärung der Hochtemperatur-Supraleitung gefunden – einen magnetischen Mechanismus zur Bildung von Cooper-Paaren. Schon frühzeitig hatten andere Forschergruppen Hinweise darauf entdeckt, dass sich der Spin der Elektronen in Hochtemperatur-Supraleitern grundsätzlich anders verhält als in herkömmlichen Supraleitern. Während sie in konventionellen Supraleitern völlig ungeordnet vorliegen, weisen die Spins in Hochtemperatur-Supraleitern eine ungewöhnliche magnetische Ordnung auf: Der Spin jedes zweiten Elektrons ist – bei einer Momentaufnahme – genau in die andere Richtung orientiert wie der erste. Doch anders als in Materialien wie beispielsweise magnetisiertem Eisen, wo alle Elektronenspins dauerhaft in eine Richtung zeigen, fluktuiert dieses magnetische Ordnungsmuster in den Hochtemperatur-Supraleitern, das heißt, es entsteht und vergeht über kurze Zeitspannen.

Bernhard Keimer ist nun zuversichtlich: "Die aus unserem Kristall-Mosaik gewonnenen Daten lassen es plausibel erscheinen, dass sich die Cooper-Paare in diesem Hochtemperatur-Supraleiter über einen magnetischen Mechanismus bilden. Dieser könnte darauf beruhen, dass sich Elektronenpaare einfacher durch einen Hintergrund fluktuierender Elektronenspins bewegen können als einzelne freie Elektronen – sie würden auf diese Weise magnetische Energie sparen. Wir gehen deshalb davon aus, dass mit unseren Ergebnissen nach fast 15 Jahren Forschung eine endgültige Theorie der Hochtemperatur-Supraleitung in greifbare Nähe gerückt ist."

Einschränkend fügt der Forscher hinzu: "Diese Erklärung ist allerdings nur dann überzeugend, wenn wir eine fluktuierende magnetische Ordnung tatsächlich in allen Hochtemperatur-Supraleitern nachweisen können, insbesondere auch in den chemisch reinsten Materialien mit den höchsten Sprungtemperaturen." Deshalb wollen die Wissenschaftler ihre zunächst nur an einem Hochtemperatur-Supraleiter gewonnenen Einsichten an weiteren Stoffen testen. Hierbei geht es dann unter anderem um die Frage, warum einige der Materialien bereits bei 134 Kelvin supraleitend werden, während dies bei anderen erst bei viel niedrigeren Temperaturen geschieht. Was ist die Ursache dafür? Ist es dieselbe oder eine andere magnetische Ordnung? Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, kann eine umfassende Theorie der Hochtemperatur-Supraleitung formuliert werden.

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