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News: Magnetische Schüler

Der Lernprozess von Schülern und ihr Verhalten im Klassenzimmer beschäftigte schon lange Psychologen, Soziologen und Didaktiker. Nun haben argentinische Physiker das Lernverhalten mit einem physikalischen Verfahren modelliert, das normalerweise die magnetischen Vorgänge in Festkörpern beschreibt. Dabei spiegeln die Ergebnisse erstaunlich gut die Situation im Unterricht wider.
Fragt man jüngere Schüler, warum die Bewohner Australiens nicht von der Erdoberfläche fallen und in den unendlichen Weiten des Weltalls verschwinden, erhält man oft eine für sie einleuchtende Antwort: Magnetismus. Denn diese von manchem Spielzeug bekannte Kraft ist viel anschaulicher als die schwache Gravitation. Die gleichen Schüler wären aber höchst überrascht, wenn sie von einer Studie von Clelia Bordogna und Ezequiel Albano vom Institute of Theoretical and Applied Physical Chemistry in La Plata erführen. Denn diese simulierten das Lernverhalten im Klassenzimmer mit dem so genannten Ising-Modell, das sonst dazu dient, die magnetischen Eigenschaften von Materialien wie Eisen zu beschreiben, indem es die Wechselwirkung der Spins der Atome und ihre Reaktion auf ein äußeres Feld untersucht. Durch letzteres richten sich die Spins im Ferromagneten vorzugsweise parallel zur Feldrichtung aus, wobei sie sich auch gegenseitig beeinflussen und dadurch Störungen auftreten können.

Im Rahmen des eher unkonventionellen Modells verhalten sich die Schüler wie einzelne Eisenatome in einem Metallstück. Sie besitzen einen "Lernspin", der dem magnetischen Moment der Atome entspricht. Der Lehrer repräsentiert das äußere Magnetfeld und versucht, das Wissen jedes Schülers auf die richtige Bahn zu lenken. Gelingt dies, orientiert sich der Lernspin des Schülers parallel zum Feld. Zeigen am Ende der Stunde alle Spins in die gleiche Richtung, ist das Klassenziel erreicht. Es sei denn, sie weisen alle antiparallel zum richtenden Einfluss des Lehrers, dann ist etwas schief gelaufen.

Allerdings gibt es in der Klasse, wie beim Eisen, störende Einflüsse, welche die Ausrichtung erschweren. Wenn Harry mit Ron tuschelt oder ein Briefchen für Hermine schreibt, rechnet er höchstens mit seinem Rausschmiss aus der Klasse. Den oft gehörten Spruch, dass er dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch die Mitschüler vom Lernen abhalte, nimmt er nicht ernst. Doch genau dies konnten die Physiker mit ihrem Modell simulieren. Dabei hängt es unter anderem von der Reichweite von Harrys Störkräften und seinem sozialen Status ab, wie vielen seiner Mitschüler er die Chance zum Wissenserwerb verwehrt. Denn durch die Ablenkung gelingt es ihrem Lernspin nicht, in die vom Lehrer vorgegebene Richtung zu zeigen. Dabei muss der Störenfried den Unterricht nicht einmal absichtlich sabotieren, es reicht schon, wenn Harry eine falsche oder unklare Antwort gibt.

Das von den Physikern entwickelte Modell ist also keine Spielerei, sondern stimmt mit der Realität im wirklichen Klassenzimmern überein. So konnten die Wissenschaftler mehrere korrekte Vorhersagen über das Verhalten von Schülern treffen. Beispielsweise lernen sie besser, wenn man Leistungsstarke und Leistungsschwache getrennt unterrichtet. Die Forscher konnten auch zeigen, dass Schüler den Unterrichtsstoff besser verstehen, wenn sie ihn in Gruppen erarbeiten, anstatt nur dem Lehrer zuzuhören.

Einige Erziehungsexperten stehen der Arbeit jedoch kritisch gegenüber: Durch derartige Arbeiten würde von der Erforschung der Lehrpläne und der Unterrichtstechniken abgelenkt. David Byrne, Soziologe an der University of Durham, sieht zwei Probleme in der Modellierung von Erziehung: Erstens fehlen den sozialen Wechselwirkungen im Klassenzimmer oft klare Grenzen, was die Modellierung erschwert. Zweitens ist das menschliche Verhalten nicht nur zwischen Harry und Hermine, sondern auch zwischen einzelnen Klassen und regional sehr unterschiedlich. Durch diese Abweichungen können selbst sehr allgemeine statistische Modelle fehlschlagen.

Trotzdem sieht Byrne die neuartigen Versuche der Physiker positiv. Denn vor 25 Jahren waren auch biologische, wirtschaftliche und ökologische Modellierungen noch unbekannt, während sie heute alltäglich sind.

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