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Genetik: Mangelmutante

Das schwache Geschlecht - also der Mann - ist nur mit einem X-Chromosom gesegnet. Und das führt schon mal zu gewissen Mängeln, wie beispielsweise Farbschwäche.
Es ist kurz, verdammt kurz. Nur schlappe zwei bis drei Mikrometer Länge erreicht das Gebilde, das den Mann zum Manne macht. Sie ahnen schon, wovon die Rede ist? Klar: das Y-Chromosom, das bekanntermaßen im Erbgut der Herren der Schöpfung unter der Fuchtel des dreimal so großen X-Chromosoms steht.

Kein Wunder, dass das zarte Gebilde nur wenig zu sagen hat. Auf seine 78 Gene will Mann zwar nicht verzichten – betreffen sie doch die männnliche Fruchtbarkeit –, aber ganz ohne die 1095 Erbfaktoren des X-Chromosoms geht's halt auch nicht. Dummerweise müssen sich Männer mit lediglich einem Exemplar des üppigen Chromosoms begnügen, während die Damenwelt hiermit gleich doppelt gesegnet ist. Und das hat Folgen. Schon die europäischen Fürstenhäuser wussten es durchaus zu schätzen, ihren männlichen Nachwuchs regelmäßig per Bluterkrankheit zu dezimieren.

Und genauso wie die Gene für die Blutgerinnung liegen auch die Erbfaktoren für das Farbensehen auf dem X-Chromosom. Läuft hier irgendetwas schief, kann Frau noch auf das Doppel zurückgreifen, Mann aber nicht. Deshalb sind – wie häufig zu lesen ist – nur 0,4 Prozent der Frauen, aber etwa acht Prozent der Männer farben"blind".

Klar, Männer sind halt unfähig. Fast jeder zehnte von ihnen übt sich demnach in primitiver Schwarz-Weiß-Malerei und sieht alles grau in grau. Zwar sollen weltweit bisher nur drei Fälle vollständiger Farbenblindheit beschrieben worden sein – beim großen Rest der Farbenfehlsichtigkeit liegt eine Rot-Grün-Sehschwäche vor, bei der lediglich das Absorptionsspektrum des roten oder grünen Sehfarbstoffes leicht verschoben ist – aber wir wollen ja nicht päpstlicher sein als der (hoffentlich nicht farbenblinde) Papst. Fest steht: "Männer und Frauen sehen die Welt im wahrsten Sinne des Wortes anders", wie Sarah Tishkoff feststellt.

Die Biologin von der Universität von Maryland weiß, wovon sie redet. Hat sie doch, zusammen mit ihrem männlichen Kollegen Brian Verrelli, die Variationen des X-chromosomalen Gens OPN1LW, das für den Rot-Rezeptor kodiert, bei 236 Männern untersucht. Und das überraschende Ergebnis: Das Gen zeigt sich mit insgesamt 85 Variationen als äußerst vielseitig.

Eigentlich dürfte das gar nicht sein. "Normalerweise ist es ziemlich übel, zu viele Veränderungen in einem Gen zu haben", betont Tishkoff, "und die natürliche Selektion wird so etwas schnell wieder los." Doch warum hat Mutter Natur die Männer dann nicht ausgemerzt? Nicht gleich alle – den einen oder anderen könnte Frau ja noch gebrauchen. Aber doch wenigsten die, bei denen die Farbwahrnehmung ein wenig gestört ist, sollten inzwischen das Feld geräumt haben.

Für die beiden Wissenschaftler liegt die Antwort in ferner Vergangenheit, als Homo sapiens und seine Vorfahren ihr Dasein als Jäger und Sammler fristeten. Die Sammlerrolle übernahm dabei traditionell – so wird zumindest vermutet – Eva, während Adam als mehr oder weniger tapferer Jäger durch die Wälder streifte. Und beim Sammeln von bunten Früchten und leckeren Insekten ist nun mal das korrekte Erkennen der Farbenpracht angesagt. Wer sich dagegen keulenschwingend auf irgendwelche tierischen Opfer stürzt, dem genügt auch ein simples Schwarz-Weiß-Schema.

Ob deswegen auch Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können – wie häufig kolportiert wird –, stand nicht im Fokus der beiden Forscher. Einpark- oder Zuhör-Gene sind bisher auch trotz intensiver Suche noch nicht gefunden worden. Aber wer weiß, welchen Mangel die Wissenschaft beim schwachen Geschlecht sonst noch aufdeckt.

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