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Mars-Helikopter : Ingenuity fliegt und fliegt und fliegt

Seit einem Jahr ist der Mars-Helikopter Ingenuity unterwegs. Geplant als Technologie-Demonstrator, hat er inzwischen große Aufgaben. Doch er kämpft mit alltäglichen Problemen.
Ingenuity, aufgenommen vom Mars-Rover Perseverance

Irgendwann musste es ja passieren: schlechtes Wetter, Flug gestrichen. Ärgerlich, aber es wäre nichts Ungewöhnliches, hätte der Flug nicht von einem äußerst abgelegenen Airport gehen sollen. Das staubige Flugfeld »Airfield L« liegt 350 Millionen Kilometer von allen irdischen Flughäfen entfernt auf dem Mars. Anfang Januar 2022 sollte der kleine Helikopter »Ingenuity« von dort zu einem weiteren geschichtsträchtigen Flug abheben. Es wäre Flug Nummer 19 gewesen. Doch dann bremste ein Staubsturm die Rekordjagd aus, die nächste Reisemöglichkeit sollte es erst einige Wochen später geben. Es war damit der erste wetterbedingte Flugausfall auf einem anderen Planeten. Eine Premiere.

Und nicht die einzige. Seit rund einem Jahr fliegt Ingenuity inzwischen über den Mars und stellt dabei Rekord um Rekord auf. Ursprünglich als Technologie-Demonstrator geplant, der den ersten kontrollierten und eigenständigen Flug auf einem anderen Himmelskörper bewerkstelligen sollte, hat der Minihelikopter längst eine neue Bestimmung gefunden: »Betriebs-Demonstrationsphase« nennt sie das Team des Jet Propulsion Laboratory (JPL) im kalifornischen Pasadena, welches das Fluggerät betreibt. Es geht zum einen darum, Erfahrungen zu sammeln, wie Hubschrauber künftig bei der Erkundung des Mars und anderer Himmelskörper hilfreich sein könnten. Zum anderen geht es um Flugpläne und Landeplätze, um Reichweiten und Abflugzeiten, um Temperatur, um Luftdruck und nicht zuletzt ums Wetter.

Als Ingenuity am 19. April 2021 zum ersten Mal seine beiden gegenläufigen Rotoren anwarf, um sich 39,1 Sekunden lang über dem Marsstaub zu erheben, hätten am JPL wohl die wenigsten gedacht, dass sie sich ein Jahr später noch immer mit dem Minihelikopter befassen würden. Es war nämlich unklar, ob Ingenuity überhaupt in der dünnen Marsluft abheben könnte. Verglichen mit der irdischen Lufthülle hat die Atmosphäre auf dem Roten Planeten generell nur eine Dichte von weniger als einem Prozent; es ist, als würde man auf der Erde in einer Höhe von 30 Kilometern fliegen. Zwar fällt auch die Anziehungskraft auf dem Mars geringer aus – etwa 40 Prozent des irdischen Werts –, das allein gleicht den fehlenden Auftrieb aber nicht aus.


Klicken und ziehen Sie, um das 3-D-Modell des Mars-Helikopters Ingenuity von allen Seiten zu betrachten. © NASA/JPL-Caltech

Das Team des JPL setzte daher auf extremen Leichtbau. Herausgekommen ist eine Flugmaschine mit einem Gewicht von 1,8 Kilogramm, mit einer Höhe von einem halben Meter und einer Spannweite der Rotorblätter von 1,2 Metern. Etwa 2400-mal pro Minute drehen sich diese um ihre Achse, viel schneller als die Rotoren irdischer Helikopter. Ingenuity muss zudem eigenständig fliegen, an eine Fernsteuerung ist auf Grund der minutenlangen Laufzeit aller Funksignale von der Erde zum Mars nicht zu denken. Das Team lädt vor dem Start lediglich die gewünschten Wegpunkte, die Startzeit und die geplante Geschwindigkeit hoch. Den Rest übernimmt Ingenuity, auf Deutsch in etwa: »Genialität« oder »Einfallsreichtum«.

Auf dem Weg zum Jezero-Krater vollbrachte Ingenuity einen Rekordflug

»Das Ganze läuft unter dem Motto: hohes Risiko, hohe Chancen«, hatte Chef-Ingenieur Bob Balaram vor dem ersten Flug im Interview mit »Spektrum.de« erzählt. 30 Tage Zeit sollte das Team für sein riskantes Abenteuer bekommen, dann wollte das JPL seine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder dem Marsrover Perseverance widmen, der Ingenuity zum Roten Planeten gebracht hatte. Maximal fünf Flüge waren geplant – sofern alles glattging.

Anfang April hat Ingenuity Flug Nummer 25 absolviert.

Es war mal wieder ein Rekordflug: Rund 700 Meter legte der Helikopter zurück, mehr als jemals zuvor an einem Stück. Auch die Geschwindigkeit erreichte mit fast 20 Kilometern pro Stunde bislang nicht gekannte Werte. Die neuen Höchstleistungen waren allerdings nur Mittel zum Zweck: Ingenuity ist auf dem Weg zu einem ausgetrockneten Flussdelta im Jezero-Krater, wie das Spielfeld des Minihelikopters heißt. Auch der Rover Perseverance, der primär nach Spuren ehemaligen Lebens auf dem Mars suchen soll, ist unterwegs zu diesem Delta.

Ingenuitys Aufgabe: Der Helikopter soll das Gelände vorab aus der Luft erkunden und Tipps geben, welchen von zwei ehemaligen Flussarmen Perseverance auf seinem Weg am besten wählen sollte. Das Wissenschaftsteam will in den Luftaufnahmen aber auch nach lohnenden Zielen zur Erkundung durch den Rover suchen. Künftig soll Ingenuity, dessen Mission die NASA gerade bis September 2022 verlängert hat, sogar aus der Luft Regionen erkunden, die zu zerklüftet sind, als dass Perseverance sie gefahrlos ansteuern könnte.


Bis zum 12. April 2022 hat der Mars-Helikopter etwas mehr als 5,8 Kilometer in der Marsluft zurückgelegt. Wo er langflog, lässt sich mit Hilfe der NASA-Karte nachvollziehen. © NASA/JPL-Caltech

All das ist weit weg von Ingenuitys ursprünglichen Aufgaben: Das Projekt sei »ausschließlich eine Technologiedemonstration« und keinesfalls dafür gedacht, die wissenschaftliche Mission von Perseverance zu unterstützen, hatte die NASA vor dem ersten Flug noch betont. Das ist Vergangenheit. Entsprechend groß sind allerdings auch die neuen Herausforderungen: »Seit unserem ersten Flug haben wir eine Menge über den Betrieb eines Hubschraubers auf dem Mars gelernt, über seine Stärken und seine Schwächen«, schreibt Chefpilot Håvard Grip im JPL-Blog. »Allerdings wird das Fliegen auch von Tag zu Tag schwieriger.«

Ingenuity ist nicht für hügeliges Gelände gemacht

Zu den unerwarteten Problemen gehören insbesondere die jahreszeitlichen Schwankungen auf dem Mars. Gerade ist dort der Sommer zu Ende gegangen, der Herbst kommt, und mit ihm die Zeit der Staubstürme und Tiefdruckgebiete. Weitere wetterbedingte Flugabsagen drohen.

Der Sommer hingegen brachte andere Probleme mit sich: Die ohnehin dünne Marsatmosphäre wurde durch die höheren Temperaturen noch dünner. Der Luftdruck sank von etwa 1,2 bis 1,5 Prozent des irdischen Wertes auf nur noch ein Prozent. »Der Unterschied mag gering erscheinen, aber er hat erhebliche Auswirkungen auf die Ingenuitys Flugfähigkeit«, schreibt Chefpilot Grip. Bei einer Dichte von 1,2 Prozent, für die der Helikopter ursprünglich ausgelegt wurde, verfügt Ingenuity demnach über Schubreserven von mindestens 30 Prozent. Sie sind wichtig für den Start und für den Fall, dass ungeplant Hindernisse überflogen werden müssen. Im Marssommer sanken diese Reserven allerdings auf acht Prozent. Zu wenig, um sicher zu fliegen.

Das Team erhöhte daher die Drehzahl der Rotoren, von ursprünglich 2400 Umdrehungen pro Minute auf 2700 Umdrehungen. Mehr ging nicht, da andernfalls die Rotorspitzen ein Tempo nahe der Schallgeschwindigkeit erreicht hätten, was zusätzlichen Widerstand erzeugen würde.

Höhere Drehzahlen bedeuteten jedoch eine stärkere Belastung der Motoren und der anderen beweglichen Komponenten. Die Temperaturen an Bord stiegen, das Team musste die maximale Flugzeit von 150 Sekunden auf 130 Sekunden reduzieren. Einfach früher am Morgen loszufliegen, wenn es noch kälter ist auf dem Mars, war keine Option. Ingenuity braucht die ersten Sonnenstrahlen, um sich von der Kälte der Nacht aufzuwärmen und seine Batterien mit Hilfe von Solarzellen zu laden. Jeder Flug wurde dadurch riskant, es galt zwischen Drehzahlen und Temperaturen, Startzeit und Flugdauer abzuwägen.

Noch ein weiteres Problem plagt das JPL-Team: Ingenuity ist nicht dafür gemacht, über hügeligem Gelände zu schweben. Verantwortlich dafür ist die Navigation des Minihubschraubers. Da es auf dem Mars kein GPS gibt, vertraut Ingenuity auf eingebaute Sensoren. Sie messen Beschleunigung sowie Rotation und berechnen daraus die Position des Helikopters. Das Ganze ist allerdings ungenau. An Bord befindet sich daher auch eine nach unten gerichtete Navigationskamera. Sie nimmt 30-mal pro Sekunde ein Bild auf, vergleicht die einzelnen Fotos und ermittelt daraus die alte sowie die neue Position.

Bei ihren Berechnungen geht die Software jedoch von einem ebenen Gelände aus – schließlich sollte Ingenuity nirgendwo anders fliegen. Ist der Helikopter in bergigem Terrain unterwegs, scheinen sich die Hügelspitzen wegen ihrer geringeren Entfernung zur Kamera schneller zu bewegen als der Rest der Landschaft. Das verwirrt die Algorithmen. Die Navigation wird ungenau, die Flugrichtung variiert, punktgenaue Landungen sind nicht mehr möglich. Je länger der Flug dauert, umso größer fällt dadurch die potenzielle Landezone aus.

Insbesondere im unebenen Delta des Jezero-Kraters wird das zur Herausforderung. Einfach lösen lässt sich das Problem nicht: Die flache Navigation ist fest in Ingenuitys Bordcomputer einprogrammiert. Das Team um Chefpilot Grip simuliert daher anstehende Flüge über Hügel, Klippen und Dünen an irdischen Computern. Es schaut, was der verwirrte Bordrechner vermutlich daraus machen wird, und plant die Flugrouten entsprechend um.

Abwägen zwischen Nutzen und Risiko

Bislang ist das gut gegangen, auch wenn einige Schreckmomente dabei waren. Bei Flug 6 verschluckte die Software zum Beispiel eines der Bilder der Navigationskamera. Die Zeitstempel aller folgenden Aufnahmen passten nicht mehr, der Algorithmus kam durcheinander. Wilde Flugmanöver und Schräglagen bis zu 20 Grad waren die Folge. Ingenuity konnte trotzdem sicher landen, allein mit Hilfe seiner Beschleunigungssensoren. Bei Flug 17 brach kurz vor der Landung der Kontakt zum Rover Perseverance ab, der als Relaisstation für die Kommunikation mit der Erde dient. Offenbar war Ingenuity ungeplant hinter einem Hügel verschwunden, was die direkte Funkverbindung störte. Die Landung klappte dennoch problemlos.

Aus dem Mantra »hohes Risiko, hohe Chancen«, von Chefingenieur Balaram vor dem Start vorgegeben, ist längst ein vorsichtiges Abwägen zwischen Nutzen und Risiko geworden: Ingenuity kann jederzeit kaputtgehen. Zugleich soll er höher fliegen und schneller als jemals zuvor. Er muss dem herbstlichen Wetter trotzen, er ist aber auch zu einem wichtigen Faktor für die wissenschaftliche Arbeit des Rovers Perseverance geworden. Und er soll zeigen, was künftig mit Drohnen möglich ist. Die Fliegerei auf dem Mars, sie wird dadurch nicht einfacher.

© typeshift.io / Spektrum der Wissenschaft
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