Direkt zum Inhalt

News: Masern gehen fremd

Wen in seiner Kindheit die Masern erwischt haben, der erinnert sich noch gut an die widerwärtig juckenden Pusteln - harmlos im Vergleich zu einem neuen Verdacht. Denn Masern spielen womöglich auch bei einer seltenen Krebsform, dem Morbus Hodgkin, eine Rolle. Bei Patienten, die an dem heilbaren Lymphdrüsenkrebs litten, ließen sich in den betroffenen Zellen auch Proteine des Masern-Virus und sogar Kopien seiner Erbinformation nachweisen. Ist das Virus heimtückischer als angenommen?
Die Krebserkrankung Morbus Hodgkin gehört zur Gruppe der malignen Lymphome und zeigt sich äußerlich durch eine schmerzlose Lymphknotenschwellung. Benannt ist die seltene Krebsform nach dem Pathologen und Anatomen Thomas Hodgkin, der sie bereits 1832 - allerdings fälschlich als Pseudoleukämie - beschrieb.

Der Krebs spricht gut auf Chemotherapie und Bestrahlung an und hat deshalb sehr gute Heilungschancen. Eine mögliche virale Beteiligung an seiner Entstehung ist den Wissenschaftlern nicht neu, denn bei 40 bis 60 Prozent der Patienten ließ sich das Epstein-Barr-Virus nachweisen. Aber auch genetische Faktoren können nicht ausgeschlossen werden, da die Erkrankung manchmal gehäuft familiär auftritt. Nur die Masern-Viren hatte bislang niemand verdächtigt.

Auf die Idee, dass Masern vielleicht nicht ganz so unschuldig am Ausbruch der Erkrankung waren, kamen israelische Forscher um Jacob Gopas von der Ben-Gurion University durch vergleichende epidemiologische Studien. Als sie die zwischen den Jahren 1960 und 1996 auftretenden Fälle von Morbus Hodgkin unter die Lupe nahmen, zeigte sich eine ungewöhnliche Korrelation.

Mädchen, die im Alter zwischen 10 und 16 Jahren an Masern erkrankt waren, zeigten sich für den seltenen Krebs anfälliger. Daraufhin entnahmen die Forscher bei 68 Krebskranken eine Gewebeprobe und untersuchten sie auf virale Spuren. Bei 60 Prozent mit Erfolg, denn die Zellen enthielten mindestens ein, manchmal zwei, wichtige Masernproteine. Als sie einige wenige Proben auch auf Spuren vorhandener RNA untersuchten, ließen sich auch hier Kopien nachweisen. Dies unterstützt die Theorie aktiver Masern-Viren im Krebsgewebe. Wie erwartet, konnten 30 Prozent der Biopsien positiv auf ein weiteres Virus, das Epstein-Barr-Virus, getestet werden.

Doch dies gibt den Forschern weitere Rätsel auf. Denn nicht alle Patientenproben zeigten Infektionen. Außerdem sind beide Virentypen sehr unterschiedlich voneinander. Möglicherweise gehen die Masern-Viren mit den befallenen Lymphozyten eine geheime Interaktion ein, woraufhin die Zellen die Kontrolle über ihre geregelte Teilung verlieren und sich in Tumorzellen umwandeln. Eine weitere Möglichkeit wäre die beiden Virenstämmen gemeinsame Unterdrückung des körpereigenen Immunsystems. Entgleisungen könnten der Abwehr dann entgehen.

Doch vielleicht sind die Viren auch unschuldig am Ausbruch der Krebserkrankung und nur zufällige Zuschauer in sowieso geschwächten Lymphozyten. Um ihrer Beteiligung auf die Schliche zu kommen, planen die israelischen Forscher weitere Studien. So wollen sie unter anderem feststellen, zu welchem der dreißig Masern-Stämme die gefundenen viralen Spuren eigentlich gehören. Und ob die beteiligten Viren sich überhaupt in Israel heimisch fühlen oder vielleicht eine Beigabe in Impfstoffen sind, mit denen israelische Kindern immunisiert werden.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen
American Association for Cancer Research, 92nd Annual Meeting, 24. bis 28.3.2001, New Orleans

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.