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Materialwissenschaft: Hinter der Härte von Glas steckt ein verborgener Phasenübergang

Manche harten Materialien sind aus molekularer Sicht eigentlich flüssig. Bei der Suche nach den Ursachen stieß ein Forschungsteam bei unterkühlten Flüssigkeiten auf einen bislang unentdeckten Übergang zwischen zwei grundverschiedenen Zuständen.
abstrakte verbogene Glasscheibe
Glas verhält sich wie ein Festkörper, ähnelt auf molekularer Ebene aber eher einer Flüssigkeit.

Die starre Erscheinung von Glas täuscht, denn eigentlich ist es ein so genanntes amorphes Material. Seine Atome und Moleküle liegen nicht in geordneten Strukturen vor wie bei normalen Festkörpern, sondern sie bilden ein Durcheinander, das dem in einer Flüssigkeit sehr ähnelt. Nun haben die theoretischen Chemiker Dimitrios Fraggedakis, Muhammad R. Hasyim und Kranthi K. Mandadapu von der University of California in Berkeley ein mikroskopisches Modell erstellt, das erklärt, warum und ab wann sich Materialien glasartig verhalten. Womöglich spielt dabei sogar ein neu entdeckter Phasenübergang eine Rolle.

Amorphe Strukturen kann man als unterkühlte Flüssigkeiten auffassen, die einfach nur sehr langsam fließen. Unterkühlt bedeutet: Die Temperatur liegt zwar unter dem Schmelzpunkt des Materials, aber es erstarrt nicht zu einem Kristall. Vielmehr bleiben die Atome und Moleküle ungeordnet. Zu diesem seltsamen Verhalten kommt es typischerweise, weil kein Kristallisationsansatz vorhanden ist, das heißt ein Vorläufer, auf dem weiteres Kristallgefüge aufbauen kann.

Fraggedakis, Hasyim und Mandadapu wollten herausfinden, was einer unterkühlten Flüssigkeit wie Glas ihren Charakter als Festkörper verleiht, wann sie ihn verliert und was bei der Umwandlung mikroskopisch passiert. Dazu betrachteten sie eine weitere Kenngröße, die als Onset-Temperatur bezeichnet wird. Sie entspricht in gewisser Weise der klassischen Schmelztemperatur, allerdings für den besonderen Fall unterkühlter Flüssigkeiten: Sie markiert den Punkt, bei dem eine unterkühlte Flüssigkeit zu einer regulären wird.

Das Team aus Kalifornien erstellte ein vereinfachtes zweidimensionales Modell, führte Computersimulationen durch und verglich die Ergebnisse mit Experimenten. Wenn man eine Flüssigkeit abkühlt, behalten die Moleküle dem Modell zufolge die ungeordnete Struktur bis zur Onset-Temperatur. Hier erreichen sie dann einen festkörperähnlichen Zustand und werden so viskos, dass sie sich effektiv kaum bewegen können. Dieses Einsetzen der Starrheit interpretierten die Forscher als einen bisher unentdeckten Phasenübergang, der unterkühlte von normalen Flüssigkeiten unterscheidet. Aber wieso genau geschieht dieser Übergang bei einer bestimmten Temperatur, und welche mikroskopische Erklärung gibt es für den Unterschied?

Laut der These der Forscher ändern alle unterkühlten Flüssigkeiten ständig ihre molekulare Anordnung und bleiben sozusagen in Bewegung. Das System wechselt zwischen verschiedenen Zuständen: Bei diesen handelt es sich um verschiedene lokale Minima in der Energielandschaft, die alle vom System angenommen werden können. Jedes entspricht einer anderen molekularen Konfiguration. Die Teilchen springen also von einem Minimum zum nächsten. Diese Anregungen modellierten die Forscher analog zu etwas, was normalerweise in festen Kristallen vorkommt, nämlich als so genannte Defekte oder Löcher. In einer unterkühlten Flüssigkeit verbinden sie sich zu Paaren von Löchern. Der Zusammenhalt sorgt für Festigkeit. Erhitzt man die unterkühlte Flüssigkeit nun auf die Onset-Temperatur, so brechen die Paare in ungebundene Löcher auseinander. Bei der Entkopplung der Lochpaare verliert das System seine Starrheit und verhält sich wie eine normale Flüssigkeit.

Mit ihrer neuen Theorie haben die Wissenschaftler erstmals einen plausiblen Erklärungsansatz für den mikroskopischen Ursprung der Onset-Temperatur gefunden. Damit ließe sich besser verstehen, warum sich die Moleküle in amorphen Materialien unterhalb dieser Temperatur verhalten, als befänden sie sich in einem Festkörper. Die Betrachtung gilt allerdings nur für zweidimensionale Flüssigkeiten. In Zukunft möchte die Forschergruppe ihr Modell auch auf dreidimensionale Systeme erweitern und somit noch mehr über reale unterkühlte Flüssigkeiten herausfinden.

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