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News: Mathe gegen Grippe

Influenzaviren haben die unangenehme Eigenschaft, die Welt ständig aufs Neue mit gefährlichen Veränderungen zu überraschen. Ein mathematisches Modell der Influenza-Evolution soll nun dazu beitragen, bessere Impfstoffe gegen zukünftige Grippewellen zu entwickeln.
Grippe-Epidemien bescheren den meisten Menschen nur ein paar ruhige Tage vor dem Fernseher. Für alte Menschen und Kinder kann eine Grippe jedoch durch zusätzliche Bakterieninfektionen, wie beispielsweise die einer Lungenentzündung, tödlich enden. Jährlich sterben Tausende Menschen an Begleiterscheinungen einer durch Influenza-A-Viren ausgelösten Grippe. Der Bedarf nach Impfstoffen ist daher entsprechend groß, ihre Entwicklung aber auch problematisch.

Denn das Motto "Kennste einen, kennste alle" trifft hier leider nicht zu. Influenzaviren besitzen auf ihrer Virenhülle Proteine, die als so genannte Antigene bewirken, dass unser Immunsystem Antikörper bildet, um den Krankheitserreger zu zerstören. Durch Veränderungen im Erbgut wandelt sich jedoch auch die Form jener Antigene. Dazu zählt auch das Hämagglutinin, mit dessen Hilfe sich das Virus an die Zellen des Wirtes heftet, bis es von diesen aufgenommen wird.

Die Wandlungsfähigkeit des Hämagglutinins sorgt dafür, dass die Antikörper der letzten Influenza-Infektion bei der neuen Attacke wertlos sind – sie erkennen die Erreger nicht. Somit beeinflusst das Immunsystem aber auch in großem Maße die Evolution der Viren, denn seine Reaktion entscheidet, welche Stämme überleben.

Besonders Influenza-A-Viren verändern ihr Genom rapide. Bei diesem Virus-Typ treten nicht nur kleine Veränderungen in den Genen der Oberflächenproteine auf (Antigen-Drift), sondern es können ganze Genom-Segmente zwischen zwei verschiedenen Stämmen ausgetauscht werden (Antigen-Shift). "Mischgefäße" und Brutstätten neuer Virus-Varianten sind beispielsweise Schweine. In ihnen können sich sowohl Influenza-A-Viren aus Vögeln als auch die aus Säugern gleichzeitig vermehren und dabei ihr Erbmaterial austauschen.

Solche Neukombinationen machen es möglich, dass Influenzaviren ganz neue Eigenschaften entwickeln. So wurde 1997 in Hongkong ein Hühner-Influenzavirus plötzlich auf Menschen übertragbar, die an den Folgen dieser Infektion schwer erkrankten oder starben. Welche immunologischen und ökologischen Prozesse solche Veränderungen bei Influenzaviren bewirken, scheint jedoch zu unberechenbar zu sein, als dass die Impfstoffentwicklung mithalten könnte, um langfristigen Schutz vor plötzlichen Grippe-Epidemien zu bieten.

Eben nicht, sagen Neil Ferguson des Imperial College London und seine Kollegen. Sie entwickelten ein mathematisches Modell, das sie mit den Informationen der letzten 20 Jahre über die Ausbreitung der Viren, den Reaktionen der menschlichen Immunabwehr bei Influenza-Infektionen und mit den bislang aufgezeichneten Veränderungen des Influenza-Erbmaterials fütterten. Das Modell sollte den Forschern zeigen, welche Faktoren die Bildung neuer Influenza-Stämme beeinflussen.

Aus den Sequenz-Analysen der Hämagglutinin-Gene ergab sich zunächst, dass die Vielfalt der Stämme, trotz der Fähigkeit der Influenzaviren, immer wieder neue Varianten zu bilden, nicht stetig zunahm, sondern gleich geblieben ist. Ein Paradoxon, nach Meinung der Forscher. Denn warum bildet das Virus nicht beliebig viele Varianten, um seine Überlebenschancen zu erhöhen?

In der Immunantwort des Menschen suchten die Wissenschaftler nach Faktoren, welche die Viren-Vielfalt begrenzen könnte. Denn die Influenza-Evolution wird entscheidend durch so genannte Kreuzreaktionen von Antikörpern des menschlichen Immunsystems beeinflusst. Diese treten auf, wenn Antikörper, die ursprünglich gegen "Virus A" gebildet wurden, nun auch an "Virus B" andocken können. Je unähnlicher sich die Hämagglutinine zweier konkurrierender Stämme in einem Wirt sind, desto geringer sind die Kreuzreaktionen der Antikörper. Nur ein Stamm wird also von der Immunabwehr eliminiert, der andere kann sich konkurrenzlos und ungestört vermehren und neue Virus-Varianten bilden.

Dies würde jedoch auch zu einem stetigen Wachstum der Viren-Vielfalt führen – was aber ja nicht der Fall ist. Die Forscher suchten also nach einem weiteren begrenzenden Mechanismus, der nicht nur das Entstehen der verschiedenen Stämme, sondern auch ihre gleichbleibende Anzahl erklärte.

Ihre Berechnungen ergaben schließlich, dass eine kurzlebige, durch Killerzellen vermittelte Immunität, die wir besitzen, während wir uns von einer Grippe-Attacke erholen, die Viren-Vielfalt in einem Gleichgewicht hält und der Evolution der Viren einen Riegel vorschiebt. Sie schützt uns für kurze Zeit vor einer erneuten Infektion, so dass neue Influenza-Stämme die alten auslöschen, weil sie um die noch anfälligen Wirte konkurrieren müssen.

"Das Modell erlaubt uns, die Biologie der Viren und ihrer Wirte zu verändern und zu verfolgen, wie diese Veränderungen die Evolution der Influenzaviren beeinflussen", erklärt die an der Entwicklung des Modells beteiligte Robin Bush von der University of California in Irvine. Mit dem Modell ließe sich voraussagen, welche Antigene auch während der Evolution der Influenzaviren stabil bleiben. Die Forscher hoffen daher, mit ihren Berechnungen in Zukunft neue Impfstoffkandidaten aufzuspüren, um dem Auftreten von neuen aggressiven Stämmen vorzubeugen, die alle paar Jahrzehnte für verheerende Grippewellen sorgen. Im Jahre 1918 starben beispielsweise 40 Millionen Menschen weltweit an den Folgen der "Spanischen Grippe".

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