Größer, als der Verstand erlaubt: Wie der sechste Fleißige Biber die Mathematik an ihre Grenzen bringt

Fleißige Biber beschreiben in der Mathematik keine süßen, flauschigen Tierchen, sondern etwas erstaunlich Rätselhaftes – geradezu Mystisches. Es handelt sich um eine Reihe von Zahlen, die rasant anwachsen und irgendwann die Grenzen der Berechenbarkeit sprengen. Egal, wie sehr man sich anstrengt oder wie viel Rechenpower man aufwendet: Ab einem bestimmten Punkt gibt es keine Möglichkeit mehr, die Zahlen mit den Werkzeugen der Mathematik zu bestimmen. Wann diese Grenze erreicht ist, ist bislang noch nicht klar; seit Jahrzehnten versuchen Fachleute herauszufinden, welche die kleinste Fleißige-Biber-Zahl ist, die sich nicht mehr berechnen lässt. Die ersten fünf Fleißige-Biber-Zahlen sind inzwischen bekannt. Und wie sich nun herausstellt, ist bereits die sechste Fleißige-Biber-Zahl so gigantisch, dass sie die menschliche Vorstellungskraft sprengt.
Für Mathematikerinnen und Mathematiker sind die fleißigen Biber deshalb so spannend, weil sie ein konkretes Beispiel für Unberechenbarkeit liefern. Die Grundlage für diese Zahlen legte der Logiker Kurt Gödel im Jahr 1931, als er bewies, dass es in der Mathematik zwangsläufig wahre Aussagen gibt, die sich nicht beweisen lassen. Anfangs hofften Fachleute noch, das sei ein abstraktes Ergebnis ohne konkrete Anwendungsfälle. Doch sie lagen falsch, inzwischen sind etliche unbeweisbare Probleme bekannt. Das erstaunliche daran: Für einige davon lässt sich sogar beweisen, dass sie unbeweisbar sind.
Eines der ersten Beispiele dafür ist das Halteproblem der Informatik, das herangezogen wird, um Fleißige-Biber-Zahlen zu definieren. Das Halteproblem besagt, dass es kein Computerprogramm gibt, das allgemein prüfen kann, ob ein Algorithmus irgendwann zum Ende kommt oder bis in alle Ewigkeit weiterrechnet. Als sich Alan Turing dieses Problem in den 1930er Jahren überlegte, gab es noch keine Computer, weshalb sich der Mathematiker mit dem theoretischen Modell einer Rechenmaschine behalf: die nach ihm benannte Turingmaschine. Diese besteht aus einem unendlich langen Band, das mit Nullen und Einsen beschriftet ist, und einem Kopf, der das Band ausliest, beschreibt und nach rechts und links verschiebt. Eine solche Maschine kann theoretisch jede Art von Berechnung durchführen – ebenso wie ein Computer.
Angenommen, eine Turingmaschine soll zwei Zahlen miteinander multiplizieren. Die Nullen und Einsen auf dem Band entsprechen dann den beiden Faktoren. Vor der Berechnung muss man eine bestimmte Anzahl an Zuständen definieren, in denen sich die Maschine befinden kann, etwa A, B, C und D sowie HALT. Diese entscheiden darüber, was die Turingmaschine genau macht. Zum Beispiel: Falls diese Fünf-Zustands-Maschine im Zustand A eine 1 auf dem Band einliest, überschreibt sie diese durch eine 0, schiebt das Band nach links und wechselt in Zustand C. So arbeitet sie dann weiter, bis sie irgendwann (etwa Zustand B beim Einlesen einer 1) in den Zustand HALT wechselt. In diesem Fall hält die Turingmaschine an, die Berechnung ist zu Ende. Das Ergebnis der Multiplikation sind dann die Zahlen auf dem Band.
Wie Turing bewies, gibt es keine allgemeine Methode, die für alle möglichen Turingmaschinen (also alle Algorithmen) bestimmen kann, ob sie irgendwann anhalten werden. Sprich: Es ist unmöglich, für jedes beliebige Computerprogramm anzugeben, ob es irgendwann seine Arbeit beenden wird. Und diese Tatsache nutzte der ungarische Mathematiker Tibor Radó im Jahr 1962 aus, um die Fleißigen-Biber-Zahlen BB(n) zu definieren: Wie viele Rechenschritte BB(n) kann eine Turingmaschine mit n Zuständen, die irgendwann zum Halten kommt, höchstens durchführen?
Um die Frage für jedes n zu beantworten, müsste man das Halteproblem lösen. Denn um den fleißigsten Biber zu finden, muss man wissen, welche Turingmaschinen halten und welche nicht. Damit ist die Folge von Fleißigen-Biber-Zahlen im Allgemeinen nicht berechenbar. Dennoch konnte Radó die ersten drei Fleißige-Biber-Zahlen (1, 6 und 21) bestimmen – wenn auch unter großem Aufwand. Denn eine Schwierigkeit besteht darin, dass die Anzahl der möglichen Turingmaschinen (Computerprogramme) mit wachsenden Zuständen n schnell zunimmt.
Die fleißigsten Biber wachsen schnell an
1963 beschrieb Radó den Versuch, die vierte Fleißige-Biber-Zahl BB(4) zu berechnen, als hoffnungslos. Doch damit irrte er sich. Denn 20 Jahre später fand Alan Brady den Wert von BB(4): Die höchste Anzahl an Rechenschritten einer haltenden Turingmaschine mit vier Zuständen beträgt demnach 107. Das blieb vier Jahrzehnte lang der letzte Wert der Fleißige-Biber-Zahlen, der sich exakt bestimmen ließ. Erst im Juli 2024 konnte auch die fünfte Fleißige-Biber-Zahl bestimmt werden: Der Informatik-Doktorand Tristan Stérin hatte zwei Jahre zuvor ein großes Gemeinschaftsprojekt namens »bbchallenge« ins Leben gerufen, in dem alle Ergebnisse zu dem Themenbereich gesammelt und durch Beweisprüfer überprüft werden. Dabei ließ sich schließlich beweisen, dass BB(5) = 47 176 870.
Seither stellt sich nun die Frage, wie groß BB(6) ist. Bislang ließ sich nur beweisen, dass die sechste Fleißige-Biber-Zahl größer als ein bestimmter Wert sein muss. Im Jahr 2022 bewies Pavel Kropitz, dass BB(6) mindestens 15 ↑↑ 10 beträgt; das bedeutet: 10 hoch 10 hoch 10 hoch … hoch 10 – das Ganze 15-mal. Das an sich ist unfassbar riesig. Doch wie Stérin nun berichtete, gibt es weitere Fortschritte bei der Abschätzung der sechsten Fleißigen-Biber-Zahl. Am 16. Juni wurde der Mindestwert demnach auf 10 ↑↑ 11 010 000 erhöht (also 10 hoch 10 hoch … – und zwar 11 010 000-mal). Und nur neun Tage später wurde der Wert weiter gesteigert auf: 2 ↑↑↑ 5. Diese Zahl ist so unfassbar riesig, dass es schwerfällt, sie auch nur zu beschreiben. In diesem Fall geht es um 2er-Potenzen: Stellen Sie sich vor, Sie führen 65 536-mal die Potenzen 2 hoch 2 hoch 2 hoch 2… aus und erhalten das Ergebnis X. Und dann nehmen Sie diese gigantische Zahl X und führen erneut X-mal die Potenzen 2 hoch 2 hoch 2 hoch 2… aus. Das Resultat davon ist 2 ↑↑↑ 5 – und mindestens so groß ist die sechste Fleißige-Biber-Zahl.
Ist der sechste Biber überhaupt berechenbar?
Diese Ergebnisse sind durchaus erstaunlich, insbesondere wenn man bedenkt, wie groß der Sprung von der fünften zur sechsten Fleißige-Biber-Zahl ist. Es könnte sich aber auch herausstellten, dass die sechste Fleißige-Biber-Zahl unberechenbar ist. Tatsächlich gibt es ein paar (schwache) Hinweise darauf: 2024 wurde zum Beispiel eine Sechs-Zustands-Turingmaschine gefunden, die fast dem Collatz-Problem entspricht – eines der hartnäckigsten Probleme der Zahlentheorie. Möchte man zeigen, dass diese Maschine anhält (oder für immer weiterläuft), käme das quasi einer Lösung des Collatz-Problems gleich. Und an diesem beißen sich etliche Fachleute seit Jahrzehnten erfolglos die Zähne aus. Eine Befürchtung ist daher, dass das Collatz-Problem zu den unbeweisbaren Aussagen der Mathematik gehört. In diesem Fall wären die Versuche, BB(6) zu berechnen, zwangsläufig zum Scheitern verurteilt.
Bisher ist allerdings nur stichhaltig bewiesen worden, dass die 643-ste Fleißige-Biber-Zahl unberechenbar ist. Die neuesten Forschungsergebnisse zu BB(6) verleiten den Mathematiker und Informatiker Scott Aaronson von der University of Texas jedenfalls dazu, seine Vorhersage für die kleinste unberechenbare Fleißige-Biber-Zahl nach unten zu korrigieren: Zuvor nahm er an, dass es möglich sein könnte, die ersten 20 oder 30 Fleißige-Biber-Zahlen zu bestimmen – doch nun vermutet er, dass bereits nach der sechsten, siebten oder achten Zahl Schluss sein könnte.
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