KI-Beweis: KI soll erneut ein jahrzehntealtes Mathe-Rätsel geknackt haben

»Es scheint, als seien die Erdős-Probleme sowohl eine unerschöpfliche Quelle des Vergnügens als auch eine unerschöpfliche Quelle des Dramas«, schrieb der Informatiker Sebastien Bubeck von OpenAI am 30. November 2025 auf X. Es ist das zweite Mal innerhalb von zehn Tagen, dass KI-Firmen vollmundig verkünden, eine KI habe selbstständig jahrzehntealte Mathematik-Probleme gelöst. Doch bei genauerem Hinsehen erweisen sich die Ergebnisse als wenig spektakulär.
Am 20. November 2025 veröffentlichte die US-Firma OpenAI ein Paper, in dem die Autorinnen und Autoren erklären, mithilfe des neuesten Sprachmodells GPT-5 zehn »Erdős-Probleme« gelöst zu haben. Dabei handelt es sich um Aufgaben, die der legendäre Mathematiker Paul Erdős im Lauf seines Lebens formuliert hat. Sie umfassen mehr als 1000 Probleme, deren Lösung Erdős teilweise mit kleinen Geldsummen belohnte. Bis heute versuchen sich immer wieder teils namhafte Mathematikerinnen und Mathematiker an den noch ungelösten Aufgaben. Daher erregte die Bekanntgabe von OpenAI zunächst viel Aufmerksamkeit.
Doch kurze Zeit später folgte die Ernüchterung. Denn wie sich herausstellte, hatte das KI-Modell nicht selbstständig eine Lösung entwickelt, sondern bloß das Internet durchsucht und noch nicht überprüfte Lösungsansätze reproduziert, die bisher keine Beachtung gefunden hatten. Die KI hatte also nur eine besonders intensive Websuche durchgeführt. Der OpenAI-Informatiker Bubeck erklärte das im Nachhinein folgendermaßen: »Es geht nicht darum, dass KI selbstständig neue Ergebnisse entdeckt, sondern vielmehr darum, wie Tools wie GPT-5 Forschenden dabei helfen können, unser bestehendes Wissen auf eine Weise zu navigieren, zu verknüpfen und zu verstehen, die zuvor nie möglich war.«
Durchbruch oder Hype?
Doch bald darauf folgte der nächste vermeintliche Durchbruch. Am 30. November 2025 gab die Firma Harmonic bekannt, ihr Sprachmodell Aristotle habe das Erdős-Problem Nummer 124 gelöst, das seit mehr als 30 Jahren offen ist. Dabei handelt es sich um eine zahlentheoretische Fragestellung, die vereinfacht wie folgt lautet: Lässt sich jede ausreichend große Zahl als Summe von Potenzen natürlicher Zahlen bilden? Die KI hat das Problem offenbar innerhalb von sechs Stunden bewiesen – anschließend haben die Fachleute das Ergebnis durch einen Beweisprüfer verifiziert.
»Das ist ziemlich beeindruckend«, schrieb der Mathematiker Thomas Bloom dazu auf X, der die Website mit den gesammelten Erdős-Problemen verwaltet. Doch er weist in seinem Post auch auf ein paar Schwachstellen des Ergebnisses hin: Es gebe in Wirklichkeit zwei verschiedene Versionen des Erdős-Problems, und die KI habe die einfachste gelöst. Der Beweis sei auch überraschend simpel ausgefallen. »Das Problem hat einen ähnlichen Schwierigkeitsgrad wie Mathematik-Wettbewerbe, bei denen KI schon große Erfolge gefeiert hat«, schreibt er. »Dies ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie KI-Tools eingesetzt werden können, um nach einfachen Lösungen oder Gegenbeispielen zu suchen – aber kein Beispiel dafür, dass KI eigenständig eine Lösung für ein wirklich schwieriges oder wichtiges offenes mathematisches Problem findet.«
Eine ähnliche Sichtweise teilt der Fields-Medaillist Terence Tao auf Mastodon: »Problem Nummer 124 wurde in drei verschiedenen Arbeiten von Erdős behandelt, wobei er jedoch in zweien davon eine wichtige Hypothese ausließ, die das Problem zu einer Folge eines bekannten Ergebnisses (Browns Kriterium) machte.« Das habe die Fachwelt jahrelang übersehen, die KI jedoch nicht – und so sei sie zu einer naheliegenden Lösung gekommen.
»Derzeit werden Anstrengungen unternommen, die verbleibenden Probleme auf der Erdős-Website systematisch zu scannen, um weitere Fehlformulierungen oder andere Quick Wins zu identifizieren«, schreibt Tao. Wir können also bald mit weiteren KI-Erfolgsmeldungen rechnen.
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