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Demenz: Medikament verlangsamt kognitiven Abbau bei Alzheimer im Frühstadium

Der Amyloid-Antikörper Lecanemab zeigt in einer klinischen Studie vielversprechendere Ergebnisse als andere Medikamente. Mediziner äußern sich optimistisch – doch einige Fragen bleiben offen.
Hand von alter Person liegt auf schwarz-weiß Fotos
Alzheimerpatienten büßen nach und nach ihre kognitiven Fähigkeiten ein. Irgendwann verblassen auch die Erinnerungen an die Vergangenheit.

Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leben derzeit mit einer Demenzerkrankung – die meisten davon mit Alzheimerdemenz. Und in den kommenden Jahren werden es noch deutlich mehr werden: Die Deutsche Alzheimergesellschaft rechnet bis zum Jahr 2050 mit 2,4 bis 2,8 Millionen Demenzpatienten über 65 Jahre. Eine wirksame Therapie gegen das Vergessen gibt es bislang nicht. Zwar wurde in den USA 2021 das Alzheimermedikament Aducanumab zugelassen, ob es die Krankheit wirklich bremst, ist aber umstritten.

Etwas hoffnungsvoller sehen nun die Ergebnisse einer klinischen Studie aus, die ein Team um Christopher van Dyck von der Yale School of Medicine im »New England Journal of Medicine« veröffentlicht hat: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler testeten den monoklonalen Anti-Amyloid-Antikörper Lecanemab an knapp 1800 Personen mit einer leichten Demenz. Jene Patienten, die den Antikörper über 18 Monaten hinweg erhalten hatten, zeigten weniger Amyloid-Ablagerungen im Gehirn als eine Kontrollgruppe, die mit einem Placebo behandelt worden war. Außerdem ging der kognitive Abbau bei der Lecanemab-Gruppe etwas langsamer vonstatten.

Insgesamt verlangsamte sich der Rückgang der geistigen Fähigkeiten um etwa 27 Prozent. Das entspricht 0,45 Punkten auf dem Clinical Dementia Rating Scale Sum of Boxes (CDR-SOB) Score, einer Kenngröße, die Forscher nutzen, um die kognitiven Fähigkeiten bei Alzheimerpatienten zu messen.

Lecanemab zielt wie die meisten anderen Alzheimermedikamente darauf ab, die Ablagerung des Peptids Beta-Amyloid zu vermindern, das im Gehirn von Alzheimerpatienten meist in großen Mengen zu finden ist und vermutlich Nervenzellen absterben lässt. Beta-Amyloid gilt entsprechend als einer der Haupttreiber der Krankheit, neben den Tau-Fibrillen, die sich ebenfalls im Gehirn von Demenzpatienten ansammeln. Ob dieses Modell so stimmig ist, ist allerdings in den vergangenen Jahren von Forschern immer wieder in Zweifel gezogen worden – auch weil so ziemlich alle Therapien, die auf Beta-Amyloid abzielen, ihre Wirkung beim Menschen bislang verfehlt haben. Inzwischen vermuten viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, dass die Mechanismen hinter der Krankheit in Wahrheit deutlich komplexer sind.

Nutzen und Risiken für die Patienten müssen gegeneinander abgewogen werden

Wird Lecanemab letztlich die Ausnahme unter den Amyloid-Therapien bilden? »Insgesamt ist es eine sehr ermutigende Studie«, sagte Stefan Teipel, der unter anderem die Forschungsgruppe Klinische Demenzforschung am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) leitet, gegenüber dem Science Media Center (SMC). Auch Johannes Levin, stellvertretender Leiter der klinischen Forschung am DZNE, äußert sich optimistisch: »30 Prozent Progressionsverlangsamung bedeutet nicht, dass die Krankheit gestoppt oder geheilt wird. Trotzdem finde ich diese erste Therapieoption sehr wichtig.«

»Die Frage, die man diskutieren muss, ist, wie relevant der Effekt klinisch ist«, erklärt Teipel. »In den 18 Monaten Untersuchungszeitraum wurden zwischen der Lecanemab- und der Placebogruppe 0,45 Punkte Unterschied auf der CDR-Skala beobachtet. Davon merkt der Patient wahrscheinlich kaum etwas. Allerdings muss man da auch einen längeren Zeitraum bedenken. Wenn der Effekt persistiert, würde die Differenz über die Zeit noch weiter auseinandergehen und relevanter werden.«

»Die Substanz wird alle zwei Wochen intravenös verabreicht und initial wird alle drei Monate ein MRT-Scan gemacht. Das ist ein wahnsinniger Aufwand und eine große Belastung für die Patienten«Stefan Teipel, DZNE

Dabei müsse man auch berücksichtigen, dass die Studiengruppe aus Menschen bestanden habe, die so leichte Einschränkungen hatten, dass sie ihren Alltag vermutlich noch einigermaßen gut bewältigen konnten. »Die Substanz wird alle zwei Wochen intravenös verabreicht und initial wird alle drei Monate ein MRT-Scan gemacht. Das ist ein wahnsinniger Aufwand und eine große Belastung für die Patienten. Was gewinne ich in den 18 Monaten und was geht dadurch an Lebensqualität vielleicht auch verloren? Das muss man gegeneinander abwägen«, sagt Teipel.

Ein weiterer Punkt sind die Nebenwirkungen: Bei rund zwölf Prozent der Teilnehmer traten Schwellungen oder Blutungen im Gehirn auf – ein Problem, das man auch schon von anderen Medikamenten kennt, die auf Amyloid-Antikörpern basieren. Das Fachmagazin »Science« berichtete Ende November 2022 sogar von mittlerweile zwei Todesfällen, die mit der Einnahme von Lecanemab in Verbindung zu stehen scheinen. Und auch die Autoren der Studie schreiben in ihrer Arbeit, längere Studien seien nötig, um den Nutzen und die Sicherheit von Lecanemab im Frühstadium von Alzheimer abschließend zu beurteilen.

Das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Medikaments zu beurteilen, wird letztlich in den Aufgabenbereich der Zulassungsbehörden fallen. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) will ihr Urteil voraussichtlich Anfang Januar 2023 fällen. Über die Zulassung von Lecanemab zur Behandlung von Alzheimer in Europa lasse sich derzeit noch keine Aussage treffen, sagt Stefan Teipel.

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