Medikamentenherstellung: Was nicht passt, wird passend gemacht

Ein neues Medikament gegen eine Krankheit zu entwickeln, ist an sich schon schwierig genug. Noch komplizierter wird es, wenn der Stoff beim Herstellen als Gemisch von spiegelbildlichen Formen entsteht – von denen nur eine wirkt. Ein neues Werkzeug könnte künftig helfen, in solchen Fällen die unerwünschte in die gewünschte Variante umzuwandeln. Eine Gruppe um die organischen Chemiker Peng Liu von der University of Pittsburgh und Gregory C. Fu vom California Institute of Technology in den USA hat einen Katalysator geschaffen, der genau solche Umwandlungen zu Wege bringt. Die Ergebnisse könnten die Entwicklung neuer Medikamente einfacher, schneller und günstiger machen.
Es ist nichts Ungewöhnliches, dass ein Molekül in zwei Formen existiert, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten; Chemiker sprechen von Enantiomeren. Chemisch reagieren beide Formen völlig gleich, wodurch es schwer ist, sie voneinander zu trennen. Im menschlichen Körper aber macht es auf einmal einen Unterschied, welche Form vorliegt: Die eine kann man dann beispielsweise riechen, die andere nicht. Oder die eine Variante kann eine Krankheit heilen, während die andere dazu nicht in der Lage ist oder sogar schadet. Das liegt daran, dass Enzyme – diejenigen Moleküle im Körper, die dafür sorgen, dass alle Körperfunktionen korrekt ablaufen – ebenfalls eine von zwei möglichen spiegelbildlichen Formen haben, wie ein Schneckenhaus oder eine Schraube. Nur das Molekül mit der passenden Form kann damit wechselwirken.
Es wäre am einfachsten, von Beginn an nur die gewünschte Variante eines Medikaments herzustellen. Praktisch ist das nicht so einfach: Neue Wirkstoffe werden in der Regel in mehreren Schritten aus kleineren chemischen Bausteinen zusammengesetzt. Um sie zu verknüpfen, braucht es in jedem Schritt eine geeignete chemische Reaktion, die dabei keine vorhandenen Atomgruppen zerstört. Das allein ist so kompliziert, dass es oft unmöglich ist, auch noch gezielt eine Spiegelform zu erhalten. Es ist, als wäre ein Schraubenfabrikant dazu verdammt, stets eine Mischung aus rechts- und linksdrehenden Schrauben herzustellen. Doch nur die rechtsdrehenden kann man auch verwenden.
Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sortiert man die Formen anschließend und behält nur die richtigen. Dazu existieren im Labor verschiedene Techniken, allerdings verliert man dabei einen Teil des Produkts. Oder man wandelt die falschen Varianten in die richtigen um. In der Chemie ist das nicht ganz so unmöglich wie bei echten Schrauben, jedoch aufwändig, denn Bindungen müssen gebrochen und an der richtigen Stelle wieder geknüpft werden. Bislang kennt man daher nur wenige solcher Umwandlungsreaktionen, und sie beschränken sich hauptsächlich auf Bindungen zwischen zwei Kohlenstoffatomen oder einem Kohlenstoff- und einem Wasserstoffatom. Die sind aber nicht sonderlich nützlich, denn sie lassen sich anschließend nur schwer weiter umsetzen. Außerdem zielen bislang nur sehr wenige Techniken auf Bindungen an Kohlenstoffatomen, von denen vier unterschiedliche chemische Atomgruppen abzweigen. Solche Strukturen, ähnlich einem Kleeblatt mit verschiedenen Blättern, sind Bestandteil wichtiger Wirkstoffe – und es ist besonders schwer, sie in nur einer Orientierung herzustellen.
Die Forscher um Liu und Fu haben nun einen Katalysator geschaffen, der solche »Kleeblatt«-Strukturen aufbricht und anschließend in der gewünschten Form wieder zusammensetzt. Dabei greift er gezielt Kohlenstoff-Chlor-Bindungen an. Diese Bindungen lassen sich anschließend zu einer Vielzahl wichtiger Strukturelemente weiterverarbeiten, weshalb es besonders wertvoll ist, ihre Orientierung kontrollieren zu können.
Angriff auf die Kohlenstoff-Chlor-Bindung
Der Katalysator besteht aus einem Kupferzentrum, das an ein Chloratom und einen organischen Molekülrest gebunden ist. Der Molekülrest ist chiral, besitzt also eine spezielle Orientierung. Wird der Katalysator durch Licht aktiviert, »stiehlt« er ein weiteres Chloratom, und zwar von einem der Moleküle, die in zwei spiegelbildlichen Formen vorliegen. Dort wird die Bindung zwischen Kohlenstoff und Chlor gespalten. So verliert das Kleeblatt kurzzeitig eines seiner Blätter – bevor der Katalysator das Chloratom wieder zurückgibt und eine neue Kohlenstoff-Chlor-Bindung geknüpft wird. Weil der Katalysator selbst allerdings eine chemische Orientierung besitzt, hat das Blatt nur eine Möglichkeit, sich zwischen die anderen Blätter einzusortieren: so, dass es anschließend in der gewünschten Orientierung vorliegt. Das Chloratom hat also rein räumlich nur eine Chance, sich zu platzieren.
Wie die Forscher in ihrer Arbeit gezeigt haben, funktioniert das Werkzeug bei einem breiten Spektrum an Molekülen gut. Es könnte sich daher vielseitig einsetzen lassen und helfen, neue Medikamente einfacher, schneller und damit günstiger herzustellen.
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