Medikamentenpreise: »Unser Arzneimittelsystem droht zu kippen«

US-Präsident Donald Trump hat Pharmaunternehmen die Pistole auf die Brust gesetzt. Seinem Willen nach sollen sie ihre Produkte in Amerika zu den weltweit niedrigsten Preisen anbieten – andernfalls droht er hart durchzugreifen. Sein Vorwurf an die Konzerne: Sie nähmen zu viel Geld von den Amerikanern und subventionierten damit günstige Medikamentenpreise unter anderem in Europa.
In Europa sorgen sich seit Trumps Ankündigung viele darum, welche Folgen seine Politik haben könnte. Müssen Arzneimittelhersteller ihre Produkte dann auf dem hiesigen Markt zum Ausgleich verteuern? Fehlen ihnen die Mittel für Forschungsprojekte, oder droht Unternehmen gar die Pleite? Spektrum sprach darüber mit der Pharmazeutin Ulrike Holzgrabe, einer der führenden Expertinnen für Lieferketten und Versorgungssicherheit.
Frau Professorin Holzgrabe, nirgendwo müssen Patienten so viel Geld für Medikamente ausgeben wie in den USA. Einer Analyse des Thinktanks Rand Corporation zufolge kosten verschreibungspflichtige Arzneimittel dort im Schnitt fast dreimal so viel wie in anderen Industrieländern. Generika sind in den USA zwar günstiger, Originalmedikamente dafür aber umso teurer. Woran liegt das?
Auch bei uns sind innovative Arzneimittel zunächst teuer. Wenn ein Hersteller ein neues Produkt auf den Markt bringt, ist er noch nicht an einen Festpreis gebunden. Ein Jahr lang darf er jeden beliebigen Betrag verlangen, erst dann greift die staatliche Regulierung: Der Gemeinsame Bundesausschuss begutachtet den Zusatznutzen des Medikaments, und auf dieser Grundlage verhandeln der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Hersteller über den künftigen Preis. In den USA gibt es noch viel weniger gesetzliche Steuerung. Die Industrie hat dort nicht nur ein Jahr lang weitgehend freie Hand, sondern noch viel länger – das ist der zentrale Unterschied.
US-Präsident Trump argumentiert, dass amerikanische Pharmaunternehmen ihre Produkte für den Export verbilligen, um Zugänge zu ausländischen Märkten – etwa in Europa – zu erhalten. Dafür würden sie Patienten in den USA stärker zur Kasse bitten. Hat er Recht?
Die Kausalität ist nicht bewiesen. Jeder Hersteller nimmt den Preis, den er in einem Land erzielen kann.
Auch die hohe staatliche Forschungsförderung in den USA ist ihm ein Dorn im Auge. Sein Vorwurf: Amerikaner bezahlen, die ganze Welt profitiert. Fährt Europa bei der Medikamentenentwicklung auf dem Trittbrett der USA?
Da muss ich heftig widersprechen. Natürlich gibt es in den USA große staatliche Einrichtungen wie die National Institutes of Health (NIH), die viel Geld für die Forschung bereitstellen. Aber das macht Europa auch. Allein über das Programm Horizont Europa investieren wir Milliarden in die Forschung. Zudem müssen wir eines sehen: Es gibt kaum eine größere Entwicklungshilfe als das, was Europa für Amerika im Gesundheitssektor leistet! Wir schicken nämlich unsere besten Postdocs (Wissenschaftler nach Abschluss ihrer Promotion; Anm. d. Red.) mit eigenen Stipendien in die USA und subventionieren dadurch sehr viel Forschung jenseits des Atlantiks. Ich würde so weit gehen und sagen: Würden wir alle unsere Postdocs zurückholen, wären die USA in der Forschung ein Entwicklungsland.
Die hohen Medikamentenpreise in den USA haben also weniger mit anderen Ländern zu tun als mit einem staatlichen Versagen bei der Preisregulierung?
Die Amerikaner haben ein viel komplexeres System der Preisbildung. Die Verhandlungen über Arzneimittelpreise finden hinter verschlossenen Türen statt und sind nicht transparent …
… dabei verhandeln Pharmaunternehmen direkt mit Versicherungen sowie mit Mittelsleuten, so genannten Pharmacy Benefit Managern. Diese stehen im Ruf, eingeräumte Rabatte nicht besonders konsequent an die Apotheken weiterzugeben.
Das ist wohl richtig, aber der Witz an der Sache ist: Trump hat derzeit gar nicht die Macht, die Medikamentenpreise zu senken, wie er das angekündigt hat. Er hat darauf nur bedingt Einfluss.
»Trump hat derzeit gar nicht die Macht, die Medikamentenpreise zu senken, wie er das angekündigt hat«
Im Mai hat Trump die Arzneimittelhersteller per Dekret aufgefordert, ihre Produkte auf dem US-Markt künftig zu den weltweit niedrigsten Preisen anzubieten. Andernfalls droht er mit einem staatlichen Preisdiktat sowie mit Exportbeschränkungen. Erwarten Sie nicht, dass er die hohen Medikamentenpreise damit senken kann?
Er kann viele Dekrete unterschreiben, aber ich bezweifle, dass das eine große Wirkung hat, solange in den USA eine konsequente staatliche Preisregulierung fehlt. Trump scheint den Arzneimittelmarkt nicht besonders gut zu kennen. Die Pharmaindustrie wird sich zu wehren wissen, und auch internationale Zusammenhänge kann er nicht einfach ignorieren. Zum Beispiel exportiert Europa mehr Medikamente in die USA als die USA zu uns – einseitige Exportbeschränkungen würden da sicher nicht ohne Reaktion bleiben.
Falls Trump einen Hebel fände, um niedrigere Medikamentenpreise in den USA durchzusetzen: Welche Folgen hätte dies für die Pharmabranche? Würden wegbrechende Umsätze die Unternehmen in Existenznot bringen?
Die innovativen Hersteller sind reich genug. Wir sehen ja, dass sie in Europa und insbesondere in Deutschland Milliarden in neue Produktionsanlagen investieren. Boehringer Ingelheim hat zum Beispiel ankündigt, im Jahr 2025 insgesamt 6,2 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung in die Hand zu nehmen. Da gibt es also viel Substanz. Es ist eher so, dass die Firmen in den USA vorsichtig werden, weil sie nicht wissen, ob Trump morgen noch dasselbe sagt wie heute. Novartis und Roche hatten beispielsweise angekündigt, massiv Geld in den USA zu investieren – aber wissen nicht, was daraus wird. Anders ist die Lage der Generika-Hersteller. Die Firmen sind meistens relativ klein und stehen ziemlich an der Wand, die können ihre Produkte nicht einfach für weniger Geld verkaufen. Wenn die amerikanische Regierung sie dazu zwingen würde, wären viele von ihnen pleite.
»Generika-Hersteller können ihre Produkte nicht einfach für weniger Geld verkaufen«
Falls die forschenden Pharmaunternehmen ihre Medikamentenpreise in den USA reduzierten, müssten sich zum Ausgleich die Patienten in Europa auf höhere Preise einstellen?
Das würde unsere Preisregulierung erst einmal verhindern. Die Festpreise und Rabattverträge in Deutschland schützen uns vor massiven Preiseerhöhungen. Andere Länder in Europa haben teilweise andere Mechanismen, regulieren aber ebenfalls die Preise staatlich. Die Hersteller könnten ihre Umsatzausfälle in den USA also nicht so einfach auf Kosten der Patienten in Europa ausgleichen. Natürlich müsste sich die Politik dann anschauen, ob innovative Pharmaunternehmen in ernsthafte Schwierigkeiten kämen, aber so schnell wird das nicht passieren.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sieht vor allem die Innovationskraft der Unternehmen bedroht. Ohne die Erlöse in den USA wären Forschung und Entwicklung für neue Therapien vielfach nicht denkbar, warnte vfa-Präsident Han Steutel kürzlich. Stimmen Sie zu?
Da klagt nun wirklich der Falsche! Wenn man Herrn Steutel hört, möchte man glauben, dass die innovativen Pharmaunternehmen in Europa am Hungertuch nagen. Das tun sie bei Weitem nicht, ganz im Gegenteil – sie bekommen auch bei uns noch viel zu viel Geld für ihre Produkte. Sicherlich würde es Einbrüche geben, wenn in den USA die Medikamentenpreise sinken. Aber ich sehe nicht, dass das zu einem Problem wird, am wenigsten für die Versorgung: Auf patentgeschützte Medikamente entfallen in Deutschland nur 6,7 Prozent der verordneten Tagesdosen. Den Großteil des Marktes decken die Generika-Hersteller ab.
Schon jetzt gibt es Beispiele, in denen wegbrechende Einnahmen die Versorgung gefährden. Gerade erst drohten Hersteller des Antidiabetikums Metformin damit, die Produktion aufzugeben. Der Grund: Die EU will die Pharmaindustrie an den Kosten für eine neue Stufe der Abwasserreinigung beteiligen; die Unternehmen argumentieren, dass sie diese Kosten wegen der gedeckelten Medikamentenpreise nicht weitergeben könnten und damit nicht mehr rentabel wären.
Die geplante Kostenbeteiligung trifft in erster Linie Generika-Hersteller, und deren Margen sind tatsächlich so gering, dass sie das nicht bezahlen könnten. Das ist ein großes Problem. Mit der Abwasserrichtlinie schüttet die EU das Kind mit dem Bade aus, denn bei den Medikamentenrückständen im Wasser geht es nicht um eine Folge der Produktion, sondern um das, was Patienten ausscheiden. Bei Metformin ist das Problem, dass die Patienten den Wirkstoff gleich grammweise einnehmen, das belastet das Abwasser natürlich stark. Die Richtlinie ist nett gedacht, funktioniert so aber nicht. Wenn die Kostenbeteiligung an der Abwasseraufarbeitung wie geplant kommt, werden wir nicht nur Metformin verlieren, sondern viele weitere Medikamente. Ich bin aber optimistisch, dass man darüber noch einmal redet. Auch, weil es nicht so einfach ist, die Behandlung von Diabetikern mal eben umzustellen. Alternativen zu Metformin wären auf jeden Fall teurer und würde die Kassen viel Geld kosten.
Ein anderes Beispiel: 2022 kam es zu Engpässen beim Brustkrebsmedikament Tamoxifen. Generika-Hersteller führten dies auf die niedrigen Festpreise zurück, durch die ihnen Spielräume fehlten, um steigende Produktionskosten auszugleichen. Wie sensibel ist der Markt – drohen bei uns Engpässe, wenn die USA zu sehr an der Preisschraube drehen?
Bei Tamoxifen kam einiges zusammen. Neben der schlechten Rendite ging es bei den Engpässen auch um einen eigentlich unwichtigen Hilfsstoff, der von einer Firma plötzlich nicht mehr geliefert werden konnte. Die Beispiele zeigen vor allem, dass wir nicht pauschal auf Medikamentenpreise schauen und alles auf die gleiche Weise regulieren können, sondern die Einzelfälle genau unterscheiden müssen. Wenn man einfach nur sagt, die Pharmaindustrie verdient viel Geld, dann ist das nicht richtig. Die Generika-Hersteller müssen auf den Cent genau rechnen. Denken Sie an die Infektionswelle 2023, als auf einmal keine Fiebersäfte für Kinder mehr da waren. Da hatte die Firma 1A Pharma ihre Produktion eingestellt, weil die einfach nicht mehr rentabel war. Das hat das Unternehmen sicher nicht gern getan, es gab auch viel schlechte Presse – aber sie hatte mit ihrer Produktion einfach stetig rote Zahlen geschrieben und konnte das nicht immer so weitermachen. Nicht nur die USA haben also ein Problem, auch wir in Europa müssen damit anfangen, unseren gesamten Arzneimittelmarkt zu ändern.
»Wenn man einfach nur sagt, die Pharmaindustrie verdient viel Geld, dann ist das nicht richtig«
Darauf zielte 2023 bereits der damalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit seinem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG). Was hat das gebracht?
Mit dem Gesetz sind wir in die richtige Richtung aufgebrochen, aber auf dem Weg stehen geblieben. Das Wichtigste wäre, die Festbeträge und Rabattverträge für Generika abzuschaffen – denn dies sind die Gründe, weshalb sich die Produktion nicht lohnt. Mit dem ALBVVG ist dies leider nur bei Kinderarzneimitteln passiert. Karl Lauterbach war übrigens Anfang des Jahrtausends maßgeblich daran beteiligt, die Festbeträge und Rabattverträge einzuführen. Das Ziel war damals, die Medikamentenpreise runterzubringen, was auch geklappt hat. Aber jetzt haben wir steigende Arzneimittelausgaben, obwohl Generika immer billiger werden. Während die innovative Industrie täglich höhere Preise aufruft, müssen Generika-Firmen fast alle Wirkstoffe in China und Indien bestellen, weil sie diese zu dem geforderten Preis nicht selbst herstellen können. Und das ist unsere Grundversorgung, denn diese Firmen bedienen 90 Prozent des Marktes. Das zeigt: Unser Arzneimittelsystem droht zu kippen. Das ist ein viel größeres Problem als das, was gerade in den USA passiert.
Würden Rabattverträge und Festpreise entfallen, führte dies allerdings zu höheren Preisen und noch mehr Kosten für die Krankenkassen.
Dafür muss man Regelungen finden, denn natürlich dürfen die Kosten nicht ins Unermessliche steigen. Das ist aber möglich. Würden wir die innovativen Arzneimittel um geschätzte zehn Prozent billiger machen, könnten wir den Generikamarkt bereits sanieren.
Wie wollen Sie die Preise für Originalmedikamente senken, ohne die Forschung an neuen Arzneimitteln zu gefährden?
Wir dürfen uns nicht Bange machen. Natürlich drohen Unternehmen mit dem Ende der Forschung, aber am Ende wollen sie doch neue Produkte verkaufen – und wenn ich die Milliardenumsätze sehe, werden sie auch mit zehn Prozent weniger noch forschen und investieren. Entscheidend wäre, dass wir von Anfang an mit den Herstellern über die Preise verhandeln, nicht erst nach einem Jahr. Was damit möglich ist, zeigte vor einiger Zeit das Beispiel Sovaldi, ein Medikament gegen Hepatitis C, von dem eine einzelne Tablette in den USA unvorstellbare 1000 Dollar kostete. In Deutschland brachte sie die Firma Gilead für 700 Euro auf den Markt, auch das stand in keinem Verhältnis zu den Entwicklungskosten. Nach den Verhandlungen mit den Krankenkassen waren es plötzlich gut 200 Euro weniger, und komischerweise ist der Hersteller trotzdem nicht pleite gegangen. Wir sollten diese Verhandlungen von Anfang an führen und den Unternehmen Grenzen setzen.
Noch einmal zurück zu den USA: Sorgt Präsident Trump mit seinen horrenden Zollaufschlägen vor allem für China nicht dafür, dass die Medikamentenpreise erst einmal steigen statt sinken?
Ja, natürlich. Trumps Logik ist wohl, dass die Zölle Unternehmen in die USA zurückbringen, um dort zu produzieren. Aber seine wechselhafte Politik führt dazu, dass niemand ihm traut und Unternehmen sehr vorsichtig sind, in Amerika zu investieren.
»Trumps wechselhafte Politik führt dazu, dass niemand ihm traut und Unternehmen sehr vorsichtig sind, in Amerika zu investieren«
Der Verband Pro Generika hat davor gewarnt, dass Medikamente zur »Waffe im Handelskrieg« werden könnten. Führen die globalen Handelsstreitigkeiten dazu, dass Europa die Abhängigkeit von China und Indien bei der Wirkstoffproduktion endgültig auf die Füße fällt?
Wenn Trump immer höhere Zölle nimmt und den US-Markt unattraktiv für chinesische Firmen macht, könnten die Chinesen versucht sein, den europäischen Markt zu überschwemmen. Darin sehe ich die größte Gefahr, weil dann eine europäische Produktion noch schwieriger wird und die Abhängigkeit weiterwächst. Schon jetzt ist es doch so: Die Chinesen brauchen keine Atombombe – sie könnten einfach aufhören, Antibiotika zu liefern.
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