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Pharmaforschung: Neuartiges Antibiotikum bekämpft gefährlichen Tripper

Die sexuell übertragene Infektionskrankheit Gonorrhö wird wegen steigender Antibiotikaresistenz zunehmend schwierig zu behandeln. Ein neues Medikament namens Gepotidacin könnte Abhilfe schaffen.
Ein Mann hält die Hände beschämt über seinen Schritt. Er trägt ein graues T-Shirt und blaue Jeans.
Wenn es im Schritt juckt und schmerzt und vielleicht auch noch unangenehm riechender, milchiger Ausfluss aus den Geschlechtsorganen entweicht, ist es vermutlich Zeit für eine ärztliche Kontrolle.

Knapp ein Prozent der Weltbevölkerung steckt sich jährlich neu mit der Geschlechtskrankheit Gonorrhö an, die auch unter dem Namen Tripper bekannt ist. Gegen früher wirksame Antibiotika sind die Krankheitsverursacher der Art Neisseria gonorrhoeae meist schon resistent. Das macht die Behandlung immer schwieriger. Medikamente mit neuen Wirkmechanismen sind dringend nötig, um die Keime in Schach zu halten. Fachleute um Jonathan Ross von der University of Birmingham haben eine solche Arznei nun getestet. In der von der Pharmafirma GlaxoSmithKline (GSK) finanzierten Phase-III-Studie schnitt Gepotidacin dabei mindestens so gut ab wie die aktuell empfohlene Kombinationstherapie aus Ceftriaxon und Azithromyzin. Zudem hat das neue Antibiotikum einen entscheidenden Vorteil: Es lässt sich in Tablettenform einnehmen, während Ceftriaxon per Spritze ins Muskelgewebe injiziert werden muss.

Die Untersuchung umfasste rund 600 Patientinnen und Patienten. Sie alle litten unter einer unkomplizierten urogenitalen Gonorrhö. Ihre Infektion beschränkte sich somit auf die Geschlechtsorgane und den Harntrakt, und die Krankheit ging einzig auf eine Besiedlung mit Neisseria gonorrhoeae zurück. Nachdem ein Teil der Testpersonen zwei Dosen Gepotidacin erhalten hatte, verschwanden die Bakterien bei 92,6 Prozent von ihnen. Das ist etwa gleich gut wie die gebräuchliche Therapie mit Ceftriaxon und Azithromyzin, die bei 91,2 Prozent der Probanden zur Heilung führte. Einen Wermutstropfen gibt es bei dem neuen Mittel allerdings: Die Behandelten berichteten insgesamt über mehr Nebenwirkungen, die jedoch in den meisten Fällen mild bis moderat ausfielen. Die häufigste Beschwerde war Durchfall, bei etwa der Hälfte der Personen in der Gepotidacin-Testgruppe.

In den USA ist der Wirkstoff bereits zugelassen, und zwar für Frauen mit Blasenentzündung. Zwei klinische Studien hatten hier einen Nutzen des Antibiotikums nachgewiesen. In einer der Untersuchungen fiel der Behandlungserfolg sogar höher aus als der einer Standardtherapie. In Europa ist Gepotidacin bislang noch nicht erhältlich. Dem Science Media Center (SMC) gegenüber gab der Hersteller GSK jedoch an, ein Zulassungsverfahren in der EU anzustreben.

Der Wirkmechanismus der Arznei ist nicht ganz neu, aber laut den Studienautoren andersartig genug, um das Medikament einer eigenen Antibiotikaklasse zuzuordnen. Wie das bereits seit Längerem erhältliche Ciprofloxacin heftet sich Gepotidacin an die bakteriellen Enzyme Gyrase und Topoisomerase IV und hemmt sie. Beide Eiweiße dienen den Bakterien dazu, ihr Erbgut zu vervielfältigen; sind sie funktionsunfähig, können die Keime sich deshalb nicht mehr vermehren. Prinzipiell verzögert der doppelte Angriff die Entstehung neuer Resistenzen, weil die Erreger Anpassungen in zwei Molekülen zugleich benötigen, um der Attacke zu entgehen. Was Gepotidacin von ähnlichen Medikamenten unterscheidet, sind seine Zielstrukturen. Es koppelt an andere Stellen der bakteriellen Enzyme als ältere Arzneien. So kann es selbst dann wirken, wenn Ciprofloxacin versagt – was bereits bei rund 70 Prozent der Tripper-Infekte in Deutschland der Fall ist.

Die Rückkehr des Trippers

Antibiotikaresistente Gonorrhö wird zunehmend zur globalen Bedrohung. Bei den Erregern ließen sich bereits Unempfindlichkeiten gegenüber allen antibakteriellen Mitteln nachweisen, die jemals gegen sie zum Einsatz kamen. Ceftriaxon sei derzeit das einzige zugelassene Medikament, das noch als Erstbehandlung für Tripper empfohlen wird, erklärt Nicola Low, Epidemiologin der Universität Bern, gegenüber dem SMC und fügt hinzu: »Schwere Gonorrhö-Infektionen werden sehr viel häufiger, wenn sich ceftriaxoneresistente Stämme weiterverbreiten.« Ob Gepotidacin hier Abhilfe schaffen könne, beantworte die Studie noch nicht. Denn die Testpersonen litten unter Infekten, die auch auf Ceftriaxon ansprachen. Demnach bleibt offen, ob das neue Medikament selbst bei solchen Keimen wirkt, die gegen das Antibiotikum resistent sind.

Die WHO stufte Neisseria gonorrhoeae bereits 2017 als Erreger mit hoher Priorität ein, weil Antibiotikaresistenzen seine Bekämpfung stark erschweren. Die letzte verbleibende Ersttherapieoption aus Ceftriaxon und Azithromyzin gilt mittlerweile ebenfalls als gefährdet, denn auch hier mehren sich unempfindliche Stämme. Der Zellbiologe Christof Hauck von der Universität Konstanz begrüßt daher die Entwicklung des neuen Wirkstoffs. Er hebt jedoch hervor, dass manche Keime bereits weniger empfindlich gegenüber Gepotidacin sein könnten, weil andere Antibiotika auf ähnlichem Weg wirken. »Es ist deshalb zu vermuten, dass Gepotidacin bei einem umfassenden Einsatz der Medizin eine Verschnaufpause, aber keinen langfristigen Erfolg bei der Eindämmung der Gonorrhö gewähren wird«, prognostiziert er.

Es wird wahrscheinlich noch weitere Wirkstoffe brauchen, um in Zukunft wirksame Waffen gegen den Tripper in der Hand zu haben. Umso wichtiger bleibt es, Neuinfektionen wo immer möglich zu vermeiden. Dazu stehen uns bereits effektive Mittel zur Verfügung, nämlich Kondome und Lecktücher, die beim Sex als physische Barriere wirken und Keime des Partners fernhalten.

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  • Quellen
Ross, J.D.C. et al.: Oral gepotidacin for the treatment of uncomplicated urogenital gonorrhoea (EAGLE-1): A phase 3 randomised, open-label, non-inferiority, multicentre study. The Lancet, 2025

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