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Ökosysteme: Meere: Ausgeplündert und ungeschützt

Gesundes Korallenriff
Während der letzten Jahrhunderte hat die Menschheit mehr als neunzig Prozent aller größeren und wirtschaftlich verwertbaren Meeresorganismen übernutzt, zwei Drittel der Seegraswiesen und küstennahen Feuchtgebiete zerstört, die Wasserqualität zum Teil um den Faktor 1000 verschlechtert sowie die Einschleppung von Tier- und Pflanzenarten in neue Lebensräume deutlich beschleunigt.

Im Mittelmeerraum begann dieser Zerstörungsprozess schon vor 2500 Jahren und im Wattenmeer im Mittelalter, während Flussmündungen wie Küsten Nordamerikas oder Australiens erst mit dem Beginn der Kolonialisierung stärker betroffen waren. In allen Regionen beschleunigte sich diese negative Entwicklung allerdings noch zusätzlich während der letzten 150 bis 300 Jahre.

Nach Angaben von Heike Lotze von der kanadischen Dalhousie-Universität und ihrer Kollegen war der Ablauf dabei in den von ihnen untersuchten Testgebiete relativ ähnlich [1]: Zuerst verschwanden die großen Säugetier-, Vogel- und Reptilienarten, die vielfach bereits um 1900 deutlich in ihren Beständen geschrumpft waren und bis 1950 auch noch weiter abnahmen. Unter den Fischen traf es erst Lachs und Stör, die sich an Flussmündungen leicht fangen ließen, dann die großen Arten der Hochsee wie Tunfisch oder Haie, anschließend Grundfische wie Kabeljau und Heilbutt, bis am Schluss kleinere Hochseefische wie Hering und Sardinen folgten.

Endemische Koralle aus Australien | Endemische Koralle aus Australien: Symphillia wilsoni lebt nur auf Felsplattformen vor der Küste Südaustraliens.
Auch Krustentiere und Muscheln blieben nicht verschont, wobei besonders der Verlust der Auster weitere Folgen nach sich zog: In großen Populationen säubert sie das Wasser durch Filtration, sodass es auch durch ihre Übernutzung zu einer Verschlechterung der Wasserqualität kam. An die Stelle von übernutzten oder sogar ausgerotteten Arten traten in den letzten Jahrzehnten dafür mehr und mehr exotische Spezies, die etwa im Ballastwasser von Schiffen eingeschleppt oder absichtlich ausgesetzt wurden.

Neben der direkten Ausbeutung zerstörten vor allem übermäßige Sedimentzufuhr, Abwässer und Baumaßnahmen die küstennahen Ökosysteme. Bis 1950 verursachte vor allem die Entwaldung und der Ackerbau einen stetig zunehmenden Eintrag von Erdreich in die Ozeane, sodass Seegraswiesen und Riffe versandeten. Dieser Trend hat sich mittlerweile stabilisiert, dafür steigt die Menge an eingeschwemmten Stickstoffen und Phosphaten, die häufige, sauerstoffzehrende Algenblüten auslösen.

Die Lebensräume können sich allerdings auch relativ rasch wieder erholen, so Lotze. Voraussetzung sei jedoch, dass mindestens zwei negative Einflüsse durch den Menschen stark verringert oder beseitigt würden – etwa ein Nutzungsstopp von Tierarten in Kombination mit Wasserreinhaltung. Die Wissenschaftler prognostizieren daher, dass die Flussdeltas und Küstenregionen in den entwickelten Ländern ihre schlimmsten Zeiten bereits hinter sich haben, während in ärmeren Staaten der Druck vorerst noch weiter wachsen dürfte.

Dies gilt dort gerade auch für Korallenriffe, wie das Team um Camilo Mora von der Universität in Auckland in einem weltweiten Überblick festgestellt hat [2].Demnach stehen knapp 19 Prozent aller Korallenriffe dem Papier nach unter der Obhut von Meeresparks. Doch nur 0,01 Prozent sind tatsächlich vor Jagd, Sammeln, Wasserverschmutzung oder Versandung geschützt.

Etwa vierzig Prozent der Meeresreservate haben auch nur eine überschaubare Größe und sind kleiner als ein bis zwei Quadratkilometer, was nicht ausreicht, um große Fische oder Meeressäuger dauerhaft den Nachstellungen zu entziehen. Mora und seine Kollegen empfehlen daher einen Mindestdurchmesser von zehn bis zwanzig Kilometern, was immerhin – bei rigoros durchgesetzten Schutzbestimmungen – knapp ein Zwanzigstel aller Riffe weltweit effektiv erhalten könnte.

Und nach einer Studie von John Pandolfi von der Universität von Queensland in Brisbane wäre dies auch dringend nötig [3], denn die Schäden, die in den letzten dreißig Jahren an den Korallenriffen der Erde angerichtet wurden, sind größer als alle anderen der letzten 220 000 Jahre – zumindest in der Karibik.

Der Wissenschaftler untersuchte dazu die versteinerten Überreste der Korallen aus dieser Zeit und verglich sie mit den Beständen vor dreißig Jahren und jenen von heute. In dieser Zeit kam es mindestens viermal zu einem vollständigen Absterben der Bestände durch Seespiegelschwankungen, doch erholten sie sich anschließend wieder rasch an benachbarter Stelle zur alten Artenvielfalt und Struktur.

Während bis vor dreißig Jahren an den von Pandolfi untersuchten Riffen um Barbados die Geweihkorallen dominierten, sind sie nun verschwunden. Die Riffe werden stattdessen hauptsächlich von Algen und Seegräsern besiedelt, was auch die entsprechend negativen Folgen für die Korallenfischfauna hatte. Die Ursachen für diesen radikalen Wandel: Überfischung, Bodenerosion und Abwässer. Sie stellen alle ein globales Problem dar und betreffen selbst das vermeintlich gut geschützte Great Barrier Reef vor Australien; um aber die Folgen der Erderwärmung zu überstehen, dürften die Riffe nicht noch weiter durch diese Ursachen geschädigt werden, so der Forscher.

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