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Offshore-Windparks: Wie Windturbinen die Ozeandynamik verändern

Offshore-Windturbinen entziehen dem Wind Energie und beeinflussen die Gezeitenströmung – mit Auswirkungen weit über die Windparks hinaus. Was bedeutet das für marine Ökosysteme?
Offshore-Windpark bei stürmischem Wetter. Mehrere Windturbinen stehen im Meer unter einem dunkel und bedrohlich wirkenden bewölkten Himmel. Die Wellen sind hoch und der Wind stark.
Auch noch viele Kilometer hinter den Anlagen beeinflussen Windparks die Strömungsverhältnisse im Meer.

Dem Wind über dem Meer stemmen sich gewaltige Bauwerke entgegen. Mehr als 100 Meter ragen die Türme von Offshore-Windturbinen in den Himmel. Fast noch einmal genauso lang sind ihre Rotorblätter. Mehr als 1600 solcher Anlagen standen bereits Ende 2024 vor den deutschen Küsten und erzeugten knapp ein Fünftel des Windstroms in Deutschland. Doch das ist erst der Anfang. Aus den neun Gigawatt, die heute alle Turbinen in deutschen Gewässern leisten, sollen bis 2045 insgesamt 70 Gigawatt werden.

Dass die Offshore-Windenergie so stark ausgebaut wird, hat einen guten Grund: Auf dem Meer sind Windturbinen besonders ertragreich. Hier kann der Wind seine volle Kraft entfalten. Weder Wälder noch Gebirge oder Städte stören die Strömung. Die einzigen künstlichen Widerstände auf der See sind die Offshore-Windturbinen selbst – und das hat Folgen für die natürlichen Luft- und Meeresströmungen. Was das für die Meeresumwelt und ihre Bewohner bedeutet, ist Stoff aktueller Forschungen.

Über dem Meer entziehen die Rotoren dem Wind kinetische Energie und wandeln sie in Elektrizität um. Dadurch entsteht ein Energiedefizit im Lee, also hinter der Turbine. Der Wind weht dort weniger stark, und es breiten sich Wirbelschleppen aus, auch Nachlaufstrukturen genannt. In diesen Nachläufen ist das Windfeld nicht nur abgeschwächt, sondern auch stark verwirbelt. Die entstehenden Turbulenzen durchmischen die bodennahen Luftschichten. Messkampagnen mit Forschungsflugzeugen sowie Satellitendaten zeigen, dass das Windfeld unter stabil geschichteten atmosphärischen Bedingungen noch bis zu 70 Kilometer hinter einem Windpark gestört sein kann – und das nicht nur auf Höhe des Rotors, sondern auch nahe der Meeresoberfläche. Die Folge: Der Wind reibt weniger stark auf dem Wasser, wodurch sich Austauschprozesse zwischen Atmosphäre und Ozean verändern.

Die Einflüsse der Windturbinen beschränken sich nicht auf Effekte über dem Wasser. Denn unterhalb der Meeresoberfläche wirken die massiven Fundamente der Turbinen auf die natürliche Strömung. Bis zu zehn Meter breit sind die Stahlpfeiler. Daran reibt das vorbeiströmende Wasser. Es entstehen Verwirbelungen, die Gezeitenströmungen werden abgebremst. Auch hier bilden sich hinter den Turbinen Nachlaufstrukturen, die bis zu einem Kilometer stromabwärts nachweisbar sind. Ähnlich wie beim Wind fließt also auch das Wasser hinter einem Windpark langsamer, während die intensiven Verwirbelungen es zugleich durchmischen. Das wiederum wirkt sich auf den Transport von Sedimenten auf dem Meeresboden aus. Außerdem ändert sich die vertikale Dichteschichtung des Meerwassers. Im Sommer vermischen sich so beispielsweise unterschiedlich warme oder salzhaltige Schichten.

Turbine im Wind | Offshore-Windparks verändern unter anderem die Strömung und den Wärmeaustausch zwischen Meer und Atmosphäre.

Der Fußabdruck des Windparks im Ökosystem

Was bedeutet das für die ambitionierten Ausbaupläne für die Offshore-Windenergie? Wie genau beeinflussen die Anlagen die Atmosphäre und den Ozean? Und wie lässt sich der Ausbau der Windenergie möglichst naturverträglich gestalten – im Einklang mit dem Meeresökosystem? Antworten liefern numerische Modelle. Mit Computern lassen sich Meeresströmungen, Windgeschwindigkeiten an der Meeresoberfläche und die Verteilung von Temperatur und Salzgehalt im Wasser simulieren. Forscherinnen und Forscher nutzen die digitalen Werkzeuge, um Szenarien mit und ohne Windparks in der Nordsee zu vergleichen. Dabei analysieren sie, wie sich verschiedene Ausbaustufen und Turbinenanordnungen konkret auf die Ozeandynamik und auf das Ökosystem auswirken.

Numerische Ozeanmodelle beschreiben die Dynamik der Meere, indem sie verschiedene physikalische Gleichungen einbeziehen. Sie rechnen dabei meist mit Auflösungen im Kilometerbereich, um regionale Strömungs- und Durchmischungsprozesse realitätsnah abzubilden, etwa in der Nordsee. Um in diese Modelle die Offshore-Windparks zu integrieren, müssen deren physikalische Effekte mathematisch angenähert und in die Modellgleichung eingebunden werden. Dabei werden beispielsweise zusätzliche Widerstandskräfte eingeführt, welche die Geschwindigkeitsänderungen und Turbulenzen an den Standorten der Windparks simulieren. Lokale Reduktionen der Windgeschwindigkeiten können vorgeschrieben werden, um die atmosphärischen Wirbelschleppen im Modell abzubilden.

Lokale Effekte mit regionalen Auswirkungen

Besonders interessiert die Fachleute dabei, wie sich Windparks über längere Zeiträume auf die Nordsee auswirken. Und erste Antworten liegen ihnen dank der Simulationsergebnisse inzwischen vor: Die atmosphärischen Nachläufe breiten sich mit der Zeit und infolge wechselnder Windrichtungen großflächig aus. Rund um die Windparks entstehen Windgeschwindigkeitsanomalien. Die mittleren Windgeschwindigkeiten sind hier gegenüber dem Normalzustand um etwa ein bis zwei Meter pro Sekunde abgeschwächt. Und der Effekt ist nicht nur 100 Meter über dem Meer, also auf Nabenhöhe nachweisbar – sondern auch in unmittelbarer Nähe zur Meeresoberfläche. Dort sind die Geschwindigkeiten noch bis zu ein Meter pro Sekunde langsamer als vor dem Windpark.

Nachläufe | Die Satellitenaufnahme zeigt Nachläufe hinter mehreren Windparks in der Deutschen Bucht. Dunkle Farben machen Wasser mit geringer Oberflächenrauigkeit kenntlich, helle Farben stehen für hohe Rauigkeiten. Mit Hilfe lokaler Windmessungen lassen sich die Rauigkeiten in Geschwindigkeiten umrechnen. Die dunklen Farben hinter den Windparks, also die Nachläufe, zeigen, dass die Rauigkeit hier abnimmt, was auf geringere Windgeschwindigkeiten an der Meeresoberfläche hindeutet.

Derlei Simulationen sind wichtig für die Planung und Steuerung von Windparks. Sie helfen, die Windturbinen so in den Wind zu stellen, dass diese den Wind optimal ausbeuten und möglichst wenig Energie verloren geht. Doch auch für die Ozeandynamik liefern die Simulationen wichtige Erkenntnisse. Wind ist eine treibende Kraft für die Meere. Er erzeugt Wellen und Strömungen und durchmischt damit die oberen Wasserschichten. Doch wenn Windturbinen der Atmosphäre Energie entziehen, fehlt sie der Meeresoberfläche als Antrieb. So zeigen die Simulationen auch, dass sich nicht nur die Windfelder, sondern auch Oberflächenströmungen des Meeres großflächig verändern. Im Bereich eines Windparks strömt das Wasser dann bisweilen um etwa zehn Prozent langsamer.

Die Simulationsergebnisse zeigen die Auswirkungen: Nahe der Oberfläche durchmischen sich die Wasserschichten infolge des schwächeren Winds weniger, die vertikale Dichteschichtung prägt sich stärker aus – und das teils noch weit abseits des Windparks. Besonders deutlich wird das in den Sommermonaten. Die Temperaturen an der Meeresoberfläche sind dann erhöht, während die Bodentemperaturen niedriger sind als normal.

Laut Studien kann sich in betroffenen Regionen die biologische Produktivität verändern

Innerhalb des Windparks gibt es hingegen einen gegenläufigen Effekt. Durch die Turbulenzen, die an den Fundamenten entstehen, vermischen sich die Wasserschichten umso mehr. Die vertikale Durchmischung fällt mitunter doppelt so stark aus wie die natürliche Vermischung durch die Gezeitenströmung. Dadurch wird wärmeres, salzärmeres Oberflächenwasser in tiefere Schichten transportiert, während kälteres, salzhaltigeres Wasser aufsteigt. Die vertikale Dichteschichtung nimmt also lokal ab. Wie diese gegenläufigen Effekte außer- und innerhalb des Windparks einander beeinflussen und welcher Prozess letztlich die Oberhand gewinnt, wird derzeit noch erforscht. Dass sich die Nachlaufeffekte von Offshore-Windparks sowohl auf Strömungsgeschwindigkeiten als auch auf die vertikale Durchmischung weiträumig auswirken, gilt jedoch als gesichert. Und damit stellt sich die Frage nach den Folgen für das maritime Ökosystem.

Konsequenzen für das Leben im Meer

Die Ozeandynamik reguliert zentrale biogeochemische Prozesse. Dazu gehören der Transport und die Verfügbarkeit von Nährstoffen, der Austausch von Sauerstoff innerhalb der Wassersäule und wie sich Sediment und organisches Material verteilen und ablagern. Folglich können auch physikalische Veränderungen, die mit Offshore-Windparks einhergehen, das Ökosystem beeinflussen. Erste Studien deuten darauf hin, dass in betroffenen Regionen die biologische Produktivität einen Wandel erfahren kann – auf Grund der veränderten Schichtung und Strömungsgeschwindigkeit des Wassers. Beispielsweise wurde in Ozeanmodellen beobachtet, dass sich die räumlichen Vorkommen von Phyto- und Zooplankton um bis zu zehn Prozent verändern. Die Forschung zu diesen komplexen Zusammenhängen steht jedoch noch am Anfang, und der Bedarf an weiteren Untersuchungen zum Einfluss auf die Ökosysteme ist groß.

Eines lässt sich jedoch jetzt schon sagen: Offshore-Windparks sind nicht grundsätzlich nachteilig für die Meeresumwelt. Je nach Standort und Situation können sie sowohl positive als auch negative Folgen haben. Klar ist aber auch: Sie beeinflussen – wie andere menschliche Eingriffe etwa durch Schifffahrt oder Fischerei – ihre Umwelt und greifen in natürliche Gleichgewichte ein. Die aktuelle Studienlage zeigt, dass sich die simulierten Veränderungen meist im Bereich natürlicher Schwankungen bewegen. Ihr Einfluss auf physikalische und ökologische Prozesse in den betroffenen Regionen ist allerdings messbar. Umso wichtiger ist es, die ökologische Betrachtung und den Meeresschutz stärker in die Planung und die Entwicklung des Windenergieausbaus einzubeziehen. So können negative Einflüsse minimiert und mögliche Vorteile für das Ökosystem gezielt gefördert werden.

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  • Quellen

Akhtar, N. et al., Scientific Reports 10.1038/s41598–022–22868–9, 2022

Akhtar, N. et al., Scientific Reports 10.1038/s41598–024–56731-w, 2024

Christiansen, N. et al., Frontiers in Marine Science 10.3389/fmars.2022.818501, 2022

Christiansen, N. et al., Frontiers in Marine Science 10:1178330, 2023

Daewel, U. et al., Communications Earth & Environment 10.1038/s43247–022–00625–0, 2022

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