Weltgesundheitsversammlung: Pandemievertrag der WHO angenommen

Die Weltgemeinschaft will Panik und Chaos, wie es sie während der Coronapandemie gab, im Fall einer neuen großen Gesundheitsnotlage verhindern. Dazu haben die Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf einen Pandemievertrag verabschiedet. Das internationale Vertragswerk war in der Rekordzeit von gut drei Jahren ausgehandelt worden. Die Delegationen feierten die Annahme mit anhaltendem Applaus.
Ein Vertrag war aus Sicht der WHO-Mitglieder nötig, weil eine ähnliche Situation wie die Coronapandemie zu befürchten ist. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus warnt: »Die nächste Pandemie ist keine Frage des Ob, sondern des Wann.«
Zudem war unsicher, ob sich das Abkommen realisieren ließe, da US-Präsident Donald Trump bei seinem Amtsantritt 2025 den Austritt aus der WHO anordnete. »Vor diesem Hintergrund ist das Zustandekommen des Abkommens eine große politische und diplomatische Leistung, ein wichtiges Bekenntnis der internationalen Staatengemeinschaft zum Multilateralismus in der globalen Gesundheitspolitik, den Donald Trump zerstören und durch seine ›America-first‹-Politik ersetzen will«, sagte der Gesundheitsökonom Michael Stolpe vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel gegenüber dem deutschen Science Media Center.
Was war während der Covid-19-Pandemie schiefgelaufen?
In den Augen der WHO verlief vieles in der Coronapandemie chaotisch. Als sich 2020 das Coronavirus Sars-CoV-2 von China aus in der ganzen Welt verbreitete, reagierten viele Länder mit Panik. Masken und Schutzmaterial waren knapp. Regierungen machten sich gegenseitig Bestellungen streitig, viele verhängten Ausfuhrsperren für solches Material, auch Deutschland. Als endlich Impfstoff da war, horteten Länder die Impfdosen, die USA und Indien stoppten sämtliche Ausfuhren. Und während in reichen Ländern schon die dritte Immunisierung durchgeführt wurde, warteten Menschen in ärmeren Ländern noch auf die erste Lieferung.
Die Folgen: schätzungsweise 36 Millionen Tote weltweit – durch eine Infektion oder weil sie wegen anderer Krankheiten in der Pandemie nicht behandelt werden konnten. Die Wirtschaft brach weltweit ein, Millionen von Kleinunternehmen gingen pleite.
Was wird mit dem Vertrag anders?
Daher sollen mit dem Abkommen an entscheidenden Stellen Weichen gestellt werden. So in Sachen Prävention: Die Länder verpflichten sich mit dem Vertragswerk, ihre Gesundheitssysteme und die Überwachung des Tierreichs so zu stärken, dass Krankheitsausbrüche schnell entdeckt und möglichst im Keim erstickt werden. Dieser so genannte One-Health-Ansatz »sei für eine wirksame Pandemieprävention grundlegend«, so Stolpe. Nur damit ließe sich beobachten, welche Erreger in natürlichen Ökosystemen kursieren und ob es ein Übertragungsrisiko für Pathogene aus dem Tierreich auf den Menschen gebe. Dem stimmt Pedro Villarreal Lizárraga von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zu. Endlich sei der One-Health-Ansatz »in einem völkerrechtsverbindlichen Instrument verankert«.
Stolpe zufolge hatten jedoch einige Regierungen bei den Verhandlungen eine stärkere Berücksichtigung des One-Health-Ansatzes verhindert – nämlich solche, »die den Ursprung von Sars-CoV-2 nicht im Tierreich, sondern in einem Laborunfall vermuten«. Diese These käme diesen Ländern gelegen, »die kostspielige Investitionen in den Schutz von Biodiversität und natürlicher Ökosysteme wegen einer expandierenden Landwirtschaft vermeiden wollen«.
Das nun verabschiedete Pandemieabkommen soll auch die Lieferketten stärken. Alle Länder sollen Zugriff auf Schutzmaterial, Medikamente und Impfstoffe haben. Gesundheitspersonal soll weltweit zuerst versorgt werden. Zudem habe man sich auf einen Technologietransfer verständigt: Pharmafirmen sollen ihr Knowhow teilen, damit auch in anderen Ländern Medikamente und Impfstoffe produziert werden können. Dazu seien die Unternehmen aber nicht verpflichtet, betont Villarreal Lizárraga. Allerdings könnten die Staaten einen solchen Technologietransfer fördern, indem sie den Unternehmen »zusätzliche Vorteile anbieten und so die Kosten für den Empfänger des Technologietransfers ausgleichen«.
Laut dem Abkommen wollen die Länder zudem die Forschung und die Entwicklung von Medikamenten systematisch angehen. DNA-Sequenzen von Pathogenen – also etwa Viren, Bakterien oder anderen Mikroorganismen – sollen für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen frei zur Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug sollen Pharmafirmen der WHO zehn Prozent ihrer Produktion zur Verteilung in ärmeren Ländern spenden und weitere zehn Prozent zu günstigen Preisen abgeben. Dabei handelt es sich um das so genannte PABS-System (Pathogen Access and Benefit Sharing System).
Sind alle Erwartungen erfüllt worden?
Unterm Strich, ja – aber in den gut dreijährigen Verhandlungen waren zahlreiche Kompromisse nötig. Die Europäer wollten zum Beispiel stärkere Auflagen bei der Prävention durchsetzen: Regierungen sollen das Krankheitsgeschehen in der Tierwelt enger überwachen, weil Erreger von dort sich an Menschen anpassen können. Ärmere Länder verwiesen auf die hohen Kosten, wie oben erwähnt.
Die afrikanischen Länder wiederum hätten gerne strengere Auflagen im PABS-System und beim Technologietransfer gesehen sowie klare Finanzierungshilfen zur Stärkung der Gesundheitssysteme.
Warum warnen Populisten vor dem Vertrag?
Verschwörungstheoretiker behaupten vor allem in sozialen Netzwerken, die WHO könne nun bei der nächsten Pandemie Zwangsmaßnahmen anordnen. Das ist falsch. In Artikel 22 des Pandemievertrags steht ausdrücklich, dass weder die WHO noch ihr Generaldirektor innerstaatliche Maßnahmen anordnen, Reisebeschränkungen verhängen, Impfungen erzwingen oder Lockdowns anordnen können. Der Vertrag gilt nur in Ländern, die ihn ratifizieren. In dem Vertrag sind keine Strafmaßnahmen vorgesehen, wenn ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Es sei wichtig, »dass die nationalen Behörden weiterhin das souveräne Recht haben, die Maßnahmen zu wählen, die sie für die Reaktion auf künftige Pandemien für am besten geeignet halten«, sagte Villarreal Lizárraga gegenüber dem Science Media Center. »Das kann auch gar nicht anders sein, denn solche Entscheidungen zum Wohl der Bevölkerung eines Landes werden am besten auf nationaler Ebene getroffen.« Das Pandemieabkommen solle jedoch ein Mindestmaß an Maßnahmen für das Gemeinwohl aller Länder garantieren, »die dem nationalen Ermessen zumindest einige Grenzen setzen«.
Warum das Abkommen doch noch scheitern könnte
Unsicher sei noch, ob das geplante neuartige System zum Austausch von Erregerproben und genetischen Sequenzen verwirklicht werde. Denn die Details zum PABS-System wurden in einen Anhang ausgelagert, der noch ausgehandelt werden muss. Das dürfte laut Stolpe mindestens ein weiteres Jahr dauern. »Das geplante PABS – im noch ungeklärten Anhang – ist entscheidend«, erklärt Stolpe. »Sollte es nicht zu Stande kommen, würde wohl das gesamte Pandemieabkommen scheitern.«
Erst mit PABS-System kann der Vertrag den Regierungen zur Ratifizierung vorgelegt werden. Er tritt erst in Kraft, wenn 60 Länder ihn ratifiziert haben. Die WHO hat derzeit noch 194 Mitgliedsstaaten, die USA und Argentinien haben jedoch ihren Austritt angekündigt. (dpa/kas)
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