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News: Mehr Contra als Pro für Aquakultur

Ein Expertenteam hat sich mit den Auswirkungen von Aquakultur auf die Umwelt beschäftigt und kommt zu dem ernüchternden Ergebnis: So, wie die Zucht momentan betrieben wird, richtet sie mehr Schaden an, als sie nützt. Der Bedarf an Fischmehl und Kleinfischen für die Fütterung belastet die wildlebenden Fischbestände, Abwässer und Abfälle gefährden die angrenzenden Ökosysteme, riesige Flächen an Mangroven oder küstennahen Feuchtgebieten werden beim Anlagenbau zerstört. Wenn sich diese Praktiken nicht ändern, warnen die Forscher, wird die Zucht auf Dauer nicht zur weltweiten Versorgung mit Fisch beitragen, sondern dazu führen, dass die Weltmeere schneller leergefischt sind als jetzt schon befürchtet.
Lachshäppchen zum Sekt, Garnelen in Knoblauchbutter, Krabbensalat – vor einigen Jahren noch war das etwas ganz Besonderes. Inzwischen jedoch sind diese Köstlichkeiten einigermaßen erschwinglich geworden, dank der Aquakultur: Mehr als ein Viertel des verzehrten Fischs und der Meeresfrüchte stammt heute aus Zuchtanlagen.

Angesichts überfischter Meere und zweifelhafter Fangmethoden ein wichtiger Beitrag zum Umweltschutz, denken viele. Doch weit gefehlt, warnt nun eine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich mit den Auswirkungen der Aquakultur auf die weltweiten Fischbestände beschäftigt hat. Zehn Experten aus Ökologie, Ökonomie, Fischereiwesen und Aquakultur bewerteten, ob Zuchtfische tatsächlich wie gewünscht zur weltweiten Versorgung beitragen, oder ob sie womöglich den Rückgang der wildlebenden Fischbestände weiter fördern. Rosamond L. Naylor vom Institute for International Studies an der Stanford University fasst das Ergebnis zusammen: In manchen Fällen scheint die Fischzucht mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu bringen (Nature vom 29. Juni 2000).

Die Autoren führen hierfür mehrere Gründe an. Zum einen müssen Raubfische – wie Lachs oder Forelle – mit kleineren Fischen oder Fischmehl gefüttert werden. Diese stammen meist aus der Hochseefischerei. Und der Bedarf ist enorm: Um ein Kilogramm Lachs oder Garnelen zu produzieren, benötigen die Betreiber von Zuchtanlagen drei Kilogramm "minderwertige" Fische wie Makrelen, Hering, Sardinen oder Sardellen. 1997 wurden zehn Millionen Tonnen dieser kleinen Fischarten allein zu Fischmehl verarbeitet – Tiere, die wir oder andere Konsumenten in der freien Natur sonst direkt hätten verspeisen können. Aber das ist noch nicht alles. Weitere 22 Millionen Tonnen des weltweiten Fischfangs wurden im selben Jahr an Schweine und Rinder verfüttert. Die Wissenschaftler warnen davor, dass einige Arten an der Basis der Nahrungspyramide buchstäblich aus den Ozeanen verschwinden werden, wenn sie weiter so stark befischt werden, weil der Bedarf der Aquakultur-Industrie nicht nachlässt.

Ein etwas anderes Bild zeigt sich bei Fischzuchtanlagen für herbivore Fische. Die Vegetarier ernähren sich vorwiegend von Wasserpflanzen und Algen. Da der Bedarf weltweit immer weiter zunimmt und die Fläche für Teiche dagegen immer knapper wird, sind einige Züchter jedoch dazu übergegangen, auch diese Tiere mit Fischmehl zu füttern, um größere Erträge zu erwirtschaften.

Ein weiteres Problem ist der Platzbedarf. Hunderttausende Hektar an Mangroven und Feuchtgebieten an den Küsten wurden durch Aquakulturanlagen zerstört. Damit verloren nicht nur viele Fischarten riesige Flächen ihrer wichtigsten "Kinderstuben". Und selbst wenn die ursprüngliche Natur erhalten bleibt, so sorgen Abwasser- und Abfallentsorgung von nahe gelegenen Anlagen für Probleme. Denn die durch Exkremente und nicht aufgenommenes Futter stark mit Nährstoffen und zusätzlich mit Antibiotika belasteten Abwässer gelangen oft ungeklärt in die Umwelt und verschmutzen diese empfindlichen Ökosysteme.

Doch nicht nur Abwässer und Abfälle gefährden die umliegenden Lebensräume, nicht selten entwischen auch Fische aus den Anlagen in angrenzende Gewässer. Meistens können sie sich dort halten und sogar fortpflanzen. Die Folgen können verheerend sein: Aus verschiedenen Gebieten berichten Forscher, dass solche Eindringlinge die einheimischen Arten verdrängen oder, wenn sie miteinander bastardisieren, sogar zum Aussterben der einheimischen Arten führen.

Rebecca Goldburg von Environmental Defense kommt zu dem Fazit: "Die Zucht von Lachs und Garnelen endet netto eindeutig in einem Verlust an marinen Ressourcen". Die Autoren fordern daher finanzielle Anreize für die Fischzuchtbetreiber, um auf ökologisch angepasste Techniken umzusteigen. Auch sollten Kreditinstitute wie zum Beispiel die Weltbank bei der Geldvergabe berücksichtigen, in welchen Gebieten und in welcher Form Projekte umgesetzt werden sollen. Und ganz besonders appellieren die Wissenschaftler natürlich an uns, die Konsumenten, bewusster einzukaufen. Damit Fisch und Meeresfrüchte nicht zu etwas ganz Besonderem werden müssen, weil die Meere leer sind.

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