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News: Mehr Kleine, weniger Große

Eine neue Bewertung des seismischen Risikos für das Stadtgebiet von Los Angeles lieferte ein ambivalentes Ergebnis für die Bewohner. Ältere Theorien scheinen die Wahrscheinlichkeit stärkerer Erdbeben überschätzt zu haben - allerdings birgt die derzeitige Ruhephase entlang einiger kleinerer Risse ein größeres Risiko für Beben geringer Stärke als bisher angenommen.
Los Angeles ist von den aneinanderstoßenden tektonischen Platten Nordamerikas und des Pazifiks eingeschlossen. Die bei der Kollission frei werdenden starken Kräfte in der Erdkruste haben in der Nähe der Stadt viele Spalten verschiedener Form und Größe entstehen lassen. Die Vorhersage von Bewegungen und Reibung entlang dieser unzähligen Spalten ist äußerst schwierig, was in noch stärkerem Maße für die Vorhersage von Erdbeben zutrifft.

Die neuen Theorien und Vorhersagen, wie sie von Christian Walls von der San Diego State University und seinen Kollegen in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature vom 23. Juli 1998 vorgelegt werden, verarbeiten Daten, die mit dem Global Positioning System (GPS) und traditionellen geographischen und seismischen Messungen gewonnen wurden. Die Kombination dieser Informationen liefert aktuelle Schätzungen zur Bewegung entlang der verschiedenen Spalten und somit auch zur Erdbebengefahr.

Die meisten der großen Beben der jüngsten Vergangenheit in diesem Gebiet wurden mit schrägen Brüchen in der Erdkruste in Verbindung gebracht, sogenannten ‘Überschiebungsbrüchen’ oder ‘inversen Verschiebungen’. Das Becken von Los Angeles wird in Nord-Süd-Richtung pro Jahr um 7 Millimeter zusammengedrückt. Man nimmt an, daß die Haupt-Überschiebungsbruch-Systeme die entstehende Kompression aufnehmen und somit auch die meisten Spannungen speichern.

Walls und seine Mitarbeiter zeigen nun jedoch, daß in den Überschiebungs-Systemen viel weniger Bewegung stattfindet, als bisher angenommen wurde – möglicherweise nehmen sie weniger als die Hälfte des Druckes auf das Becken auf. Dies bedeutet, daß die Erdbebengefahr entlang der Überschiebungsbrüche, wie der Sierra-Madre-, der Elysian-Park- und der Santa-Monica-Spalte, geringer ist – aber auch, daß die Bewegung an anderer Stelle ausgeglichen werden muß.

Die Wissenschaftler machen geltend, daß die strike-slip-Verwerfung unter der Stadt weitgehend übersehen wurde, die jener der Großen St-Andreas-Störung ähnlich ist. Diese Spalten sind im wesentlichen senkrechte Brüche, deren Krustenteile sich seitlich zueinander bewegen. Treffen mehrere von ihnen aufeinander, so kann es in einer Richtung zur Kompression kommen und senkrecht dazu zu einer Streckung des Krustenteils, sobald es an der Verwerfung entlanggedrückt wird.

Die Forscher weisen nach, daß ein nennenswerter Anteil der freigesetzten seismischen Energie und der Krustenverkürzung ausgeglichen wird durch eine Extrusion von Kruste in Ost-West-Richtung und einige Drehbewegungen an relativ kleinen strike-slips.

Wenn die angenommenen höheren Gleitwerte stimmen, so John Shaw von der Harvard University, so ist die Gefahr zerstörerischer Erdbeben an diesen Verwerfungen größer als bisher angenommen. Walls und sein Team sehen weiterhin eine gewisse Diskrepanz zwischen den Kompressionen und den Gleitwerten in diesem Gebiet. Sie nehmen an, daß ein geringer Anteil der Kompression über „verdeckte Verwerfungen“ aufgenommen wird – Spalten, die unter der Erdoberfläche versteckt sind. Shaw glaubt, daß derartige Phänomene tatsächlich als Erklärung dienen könnten. Er weist darauf hin, daß 1994 das Erdbeben von Northridge eine zuvor nicht erkannte verdeckte Spalte aufgerissen hat.

Faßt man jedoch alle Messungen zusammen, so sagen Walls und seine Kollegen voraus, daß in früheren Berechnungen die Gefahr zerstörerischer Erdbeben entlang der großen Verschiebungen und verdeckten Spalten überschätzt wurde. Stattdessen nehmen sie an, daß die Spalten von Verdugo, Raymond, San Jose und Chino trotz ihrer geringen Länge und des Fehlens historisch bedeutender Erdbeben größere Risiken bergen, als bisher angenommen.

Da die genannten Spalten klein sind, würde man erwarten, daß dort recht kleine, in einem Zeitraum gehäuft auftretende Erdbeben entstünden. Wir befinden uns derzeit zwar vielleicht in einer relativ ruhigen Phase, jedoch sagen die Forscher voraus, daß mehrere Ereignisse geringer Stärke auftreten werden, durchsetzt mit weniger häufigen Beben höherer Intensität.

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