Invasive Arten: Meinung: Falsch verstandener Tierschutz
Rat Island trug seinen Namen zu Recht: Millionen Ratten besiedelten die kleine Insel der Beringstraße zwischen Alaska und Sibirien. Doch außer den Nagetieren lebte dort sonst nicht mehr viel – sie hatten die meisten Seevögel aufgefressen oder vertrieben, die Vegetation litt unter dem Hunger, und die Nahrungsnetzwerke veränderten sich bis ins Meer hinein, weil die Ratten das Ökosystem völlig durcheinandergebracht hatten. Wahrscheinlich im Jahr 1780 gelangten sie auf diese Insel der Aleuten, als ein japanisches Schiff vor der Küste Schiffbruch erlitt. Innerhalb von Jahrzenten stiegen die Ratten zur beherrschenden Art auf, die letztlich mangels Feinden ihre Umwelt zerstörte.
Doch 2007 beschloss der US Fish and Wildlife Service, zum Gegenangriff überzugehen: Die Behörde brachte tonnenweise Köder auf Rat Island aus, die mit dem speziellen Nagergift Brodifacoum versetzt waren. Es vergiftet die Tiere nicht sofort, so dass ihre Artgenossen nicht merken, dass das angebotene Futter ihnen das Verderben bringt. Stattdessen leben die Ratten noch für gewisse Zeit, bevor sie sich zum Sterben zurückziehen und innerlich verbluten. Das ist sicher kein schöner Tod, aber momentan der einzige Weg, Inselökosysteme von Ratten und Mäusen zu befreien – mit großem Erfolg. Denn mehr als 580 Eilande konnten auf diese Weise von einer der größten Plage für endemische Tier- und Pflanzenarten befreit werden; mehrere hundert Spezies konnten nur durch diese Maßnahme vor der Ausrottung bewahrt werden. In vielen Fällen bedeutet die Bekämpfung daher die letzte Hoffnung für bedrohte Arten wie den Tristan-Albatros auf Gough Island im Atlantik oder die Polynesische Erdtaube aus der Südsee. Und sind die Inseln von Menschen bewohnt, begrüßen sie die Maßnahmen, weil sie zudem darunter leiden, dass die Ratten ihre Ernten dezimieren.
Dennoch wehren sich immer wieder Tierschützer mit Medienkampagnen gegen diese Methode. Aktuell geschieht dies beispielsweise im Fall der Insel Fallaron vor der kalifornischen Küste, die der US Fish and Wildlife Survice von Mäusen befreien will, weil sie das Überleben verschiedener Seevögel bedrohen. Kritisiert wird beispielsweise, dass die Tiere ein grausamer Tod ereile, weil sie innerlich ausbluten, und dass der Mensch schon wieder mit einem heftigen Gift in die Umwelt eingreife, statt die Natur die Dinge regeln zu lassen.
Es stimmt natürlich, dass der Gifteinsatz gegen die Nagetiere brutal ist und sie nicht "human" getötet werden. Bei den Massen an Ratten, die in unnatürlich hoher Dichte diese Inseln besiedeln, führt kein Weg an Brodifacoum vorbei: Es ist die einzige sichere Möglichkeit, alle Ratten oder Mäuse auszulöschen und das Ökosystem wieder in ein natürliches Gleichgewicht zu bekommen. Dabei treten selbstverständlich immer wieder auch Kollateralschäden auf, weil sich Adler oder Möwen an verendeten Nagern satt fressen und sich dabei selbst vergiften. Allerdings versuchen die verantwortlichen Behörden, diese Verluste gering zu halten, indem sie unter anderem Jahreszeiten aussuchen, in denen die meisten Zugvögel die Inseln verlassen haben. Bisweilen fangen sie möglichst viele Mitglieder von Nichtzielarten ein, die auch die Köder oder Opfer fressen könnten, bis das Gift wieder aus dem Ökosystem verschwunden ist – es zerfällt relativ schnell und stellt dann keine direkte Gefahr mehr da.
Nur mit Brodifacoum gelingt es Ökologen, immer größere Insel von Rattenplagen zu befreien – letztes Beispiel ist South Georgia im Südatlantik, das einst Millionen Seevögeln beherbergte, bevor sich die Ratten breitmachten. In diesem Jahr wurde der letzte Sektor der Insel behandelt, erste Erfolge wie zurückkehrende Singvögel in früher befreiten Regionen South Georgias deuten an, dass die Bekämpfung erfolgreich gewesen sein könnte. Rat Island ist schon weiter: Mittlerweile nutzen wieder viele Arten das Eiland als Brut-und Rastplatz; das Ökosystem erholt sich zügig von dem Schaden. Und die Insel trägt wieder ihren alten Namen, denn Ratten gibt es seit 2009 nicht mehr. Sie heißt heute Hawadax Island.
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