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Menopause: »Frauen, die keine Symptome haben, brauchen keine Hormone«

Die Menopause der Frau ist einmalig im Tierreich. Über ihren evolutionären Vorteil und die Grenzen der Hormontherapie spricht die Anthropologin Sylvia Kirchengast im Interview.
Eine Frau sitzt auf ihrem Bett und trägt ein Hormonpflaster an ihrem Oberschenkel auf
Bei starken Beschwerden während der Wechseljahre kann eine Hormontherapie Erleichterung bringen. Hormonpräparate sind erhältlich als Pflaster, Spritze oder Tablette sowie als Creme, Zäpfchen oder Ring zum Einführen in die Scheide.

Die Wechseljahre der Frau sind ein Phänomen im Tierreich. Während die meisten Säugetierweibchen noch vergleichsweise spät in ihrem Lebensalter Nachkommen zeugen können, leben Frauen jahrzehntelang nach dem Ende ihrer Fruchtbarkeit. Die Anthropologin Sylvia Kirchengast spricht im Interview über den evolutionären Ursprung der Wechseljahre, die Gründe, warum die Menopause in anderen Kulturen ein Segen für die Frau ist, und für wen sich die Hormontherapie eignet.

»Spektrum.de«: Frau Kirchengast, ich zitiere mal die Gynäkologin und Bestsellerautorin Sheila de Liz. In ihrem Buch »Woman on fire. Alles über die fabelhaften Wechseljahre« steht: »Keine Frau muss da durch!« Sie sagt, Frauen in den Wechseljahren litten unnötigerweise unter Beschwerden. Ist die Menopause noch zeitgemäß?

Sylvia Kirchengast: Die Menopause ist ja nicht gleichzusetzen mit Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und Ähnlichem. Der Begriff bezeichnet nichts anderes als den Zeitpunkt der letzten Menstruationsblutung und die Tatsache, dass die Frau danach keine Kinder mehr bekommen kann. Man kann die Fähigkeit zur Fortpflanzung nicht ewig erhalten. Wenn die Eizellen aufgebraucht sind, sind sie weg.

Die Wechseljahre sind ein Phänomen im Tierreich. Frauen leben nach dem Ende ihrer Fruchtbarkeit im Vergleich zu Säugetierweibchen noch Jahrzehnte. Warum?

Vergleiche sind schwierig, denn Primaten leben weitaus kürzer als Menschen. Wir haben nun einmal eine deutlich höhere Lebenserwartung als wild lebende Tiere. Es ist also naheliegend, dass ein Teil unseres Lebens auch nach der reproduktiven Phase liegt. Es gibt jedoch nur sehr wenige Studien dazu.

Allerdings zeigen auch Primaten im Zoo eine weniger lange postreproduktive Phase als Menschen.

Die Menopause ist ein einmaliges Ereignis. Es ist die letzte spontane Blutung, danach folgt die Postmenopause. Diese lange, nicht reproduktive Phase im Leben der Frau ist tatsächlich etwas Besonderes. Es geht um ein Drittel der Lebensspanne. Etwas Ähnliches gibt es nur bei Zahnwalen. Aber da diese nicht so eng verwandt mit uns sind, kann man hier nur sehr bedingt vergleichen.

»Es würde nicht viel Sinn machen, wenn Frauen sich bis zum bitteren Ende reproduzieren würden«

Was könnte der evolutionäre Vorteil der Menopause für unsere weiblichen Vorfahren gewesen sein?

Die Großmutterhypothese besagt, dass es von Vorteil war für die Frau nach der Menopause keine Kinder mehr bekommen zu können, weil sich Frauen dann in dieser Lebensphase besser um die Enkel kümmern können. Damit, so die Idee, würde die Chance, dass diese überleben und die Gene der Großmutter weitergeben, verbessert. Man könnte sich vorstellen, dass diese Enkel verstärkt die Anlage für die Menopause weitergegeben haben und diese sich durchgesetzt hat.

Klingt plausibel, oder?

Einerseits ja, andererseits: Es gibt Aspekte, die zweifelhaft sind. Wenn die Großmutterhypothese zuträfe, hätten die Enkelkinder bei ihrer Großmutter leben müssen. Wir wissen allerdings, dass dies in traditionellen Gesellschaften – und vermutlich auch in den früheren sozialen Strukturen unserer Vorfahren – meist nicht der Fall war. Oft wechselten gerade die gebärfähigen Frauen die Gruppen und die Kinder wuchsen dann eben nicht bei den Großmüttern auf.

Sylvia Kirchengast | Die Professorin für Evolutionäre Anthropologie an der Universität Wien hat zum Thema Menopause promoviert und sich immer wieder im Rahmen ihrer Forschung damit befasst. Im Campus Verlag ist ihr Buch »Frauen in den Wechseljahren. Eine interkulturelle Studie« erschienen.

Was könnte stattdessen der evolutionäre Vorteil der Menopause gewesen sein?

In früheren Zeiten war es sicherlich nicht einfach, schwanger und damit relativ wenig mobil zu sein. Und richtiggehend gefährlich war die Geburt: Sie war langwierig beim Menschen, vermutlich auch bei unseren näher verwandten Vorfahren, denn der Kindskopf wurde in der Evolution immer größer. Komplikationen und Geburtsverletzungen waren häufig, insbesondere Infektionen. Ein junger Körper kommt mit den Belastungen der Schwangerschaft besser zurecht. Da erscheint es günstiger für Frauen, so früh mit der Fortpflanzung aufzuhören, dass das Risiko, bei der Geburt zu sterben, nicht zu groß wird.

Die evolutionäre Vorteil der Menopause wäre, dass die Frauen damit länger überleben?

Genau, es würde nicht viel Sinn machen, wenn Frauen sich bis zum bitteren Ende reproduzieren würden. Die letzten Nachkommen hätten dann keine Mutter und kaum eine Chance, ihrerseits das fortpflanzungsfähige Alter zu erreichen. Günstiger für den Erfolg der Nachkommen war es für die Frauen, wenn sie sich um die vorhandenen Kinder gut kümmern konnten.

Und eventuell auch um Enkel. Diese Theorie widerspricht gar nicht der Großmutterhypothese?

Nein, beide Effekte könnten dazu beigetragen haben, dass sich die Menopause durchgesetzt hat.

Würde das Argument nicht auch dafür sprechen, dass andere Arten eine Menopause hätten entwickeln müssen? Es ist schließlich doch für kein Tier günstig, keine Mutter zu haben?

Wir sehen bei vielen Arten zwar, dass die Reproduktion mit fortgeschrittenem Alter nachlässt, aber nirgendwo eine so ausgeprägte Postmenopause wie beim Menschen. Bei einer Maus sind die Nachkommen schon acht Wochen nach der Geburt in der Lage, selbstständig zu überleben, also brauchen sie keine lange Phase der Betreuung. Menschenkinder werden besonders unreif geboren und brauchen deswegen lange die Fürsorge ihrer Eltern, früher insbesondere die der Mutter. Die Kinder wurden damals wahrscheinlich etwa die ersten vier bis fünf Jahre gestillt.

Die Maus ist allerdings auch sehr weit entfernt vom Menschen.

Bei den nichtmenschlichen Primaten ist es noch sehr unklar, ob es etwas Ähnliches wie die Menopause gibt. In der freien Wildbahn leben nur sehr wenige Individuen so lange, dass man eine solche Phase zweifelsfrei nachweisen könnte. Aus dem, was bekannt ist, würde ich vermuten: Es gibt menopausale Zustände bei unseren tierischen Verwandten, aber sie sind wohl kürzer als beim Menschen. Allerdings: Wir sind acht Milliarden Menschen. Unsere nächsten Verwandten zählen nur 200 000 Individuen.

Wie meinen Sie das?

Beim Menschen war es offensichtlich eine besonders erfolgreiche Strategie, die Fortpflanzung vorzeitig einzustellen, damit sich die Frauen um die bereits vorhandenen Nachkommen kümmern konnten.

Der Erfolg der Menschheit ist auf die Wechseljahre zurückzuführen? Da würden mir andere Aspekte vorher einfallen, etwa die Fähigkeit zum sozialen Lernen.

Die Menopause allein kann kein Bevölkerungswachstum hervorrufen, aber sie ist Teil zahlreicher Veränderungen in den evolutionären Mustern der Menschheit. Frauen nach der Menopause sind gute zusätzliche Betreuungspersonen, die es im Tierreich in dieser Form nicht gibt. Ein früheres Ende der Reproduktionsfähigkeit und damit ein erhöhtes Investment erfahrener Frauen hat wahrscheinlich die Sterblichkeit der Kinder reduziert und sich als gute Strategie erwiesen.

»Frauen haben die Menopause heute durchschnittlich mit 51, früher ist sie wohl mit Mitte 40 eingetreten«

Kommen Frauen heute eigentlich später in die Wechseljahre als früher?

Laut Definition tritt die Menopause ein, sobald eine Frau seit mindestens einem Jahr keine spontanen Menstruationsblutungen hatte. Das heißt, sie lässt sich nur im Rückblick feststellen. Systematische Erfassungen gab es zudem in früheren Zeit nicht. Anhand dessen, was wir wissen, würde ich schätzen, dass sie sich wenige Jahre nach hinten verlagert hat. Frauen haben die Menopause heute durchschnittlich mit 51, früher ist sie wohl mit Mitte 40 eingetreten.

Warum heute später?

Die Menopause tritt ein, wenn der Eizellenvorrat der Frau aufgebraucht ist. Dieser wird schon vor der Geburt angelegt. Wie viele Eizellen eine Frau hat, liegt zum Teil an den Lebensbedingungen der eigenen Mutter während der Schwangerschaft. Diese haben sich in den letzten 100 Jahren natürlich stark verbessert. Man ist besser ernährt, man hat weniger schwere Krankheiten.

Kennt man weitere Umweltfaktoren, die den Eintritt der Menopause beeinflussen?

Es gibt Theorien, dass zum Beispiel die Einnahme der Pille einen Einfluss haben könnte. Sie sorgt dafür, dass weniger Eisprünge stattfinden, es gehen also während der Einnahmezeit weniger Eizellen verloren. Allerdings ergeben die Studien zu dem Thema kein einheitliches Ergebnis. In meiner Arbeitsgruppe haben wir den Zusammenhang untersucht und keine später eintretende Menopause bei Frauen, die die Pille genommen haben, feststellen können.

Die Pille hat die Fortpflanzung einst für Frauen steuerbar gemacht, Sex und Fortpflanzung getrennt und damit quasi unsere Biologie überlistet. Wäre das für die Menopause nicht auch möglich, etwa durch die Einnahme von Hormonen?

Natürlich gibt es Frauen, die Östrogene und Progesteron nehmen und sich freuen, wenn sie Pseudoblutungen haben. Manchen gibt das ein Gefühl von anhaltender Jugendlichkeit. Sie wollen dieses Zeichen des Alterns nicht haben. Letztlich ist es aber nur eine Verschleierung der Menopause, die zwangsläufig jede Frau trifft.

Es sind immer mal wieder Frauen in den Schlagzeilen, die in einem sehr fortgeschrittenen Alter noch ein Kind bekommen haben.

Man kann natürlich vorzeitig Eizellen einfrieren lassen, dann kann man nach der Menopause vielleicht noch ein Kind austragen. Wir kennen diese Fälle, wo Frauen mit Eizellspende mit über 70 noch Drillinge bekommen. Aber das ist ja eine völlig unnatürliche Situation.

»Die Menopause ist keine Krankheit«

Ist die Hormontherapie also sinnlos?

Ich habe lange Zeit an einer Frauenklinik mit Gynäkologen zusammengearbeitet. Da gab es sehr strikte Befürworter und andererseits auch vorsichtige Mediziner. In den 1960er Jahren hatte man begonnen, Frauen in den Wechseljahren Östrogen zu geben – in einer sehr hohen Dosierung. Das hat dann die Brustkrebsraten erhöht. Inzwischen hat man die Hormondosierung stark reduziert. Man kann heute eine sehr gezielte und nebenwirkungsarme Hormontherapie machen, wenn eine Frau Beschwerden hat. Bei starken Symptomen würde ich dazu raten, denn es macht keinen Sinn, sich Jahre seines Lebens mit Beschwerden herumzuschlagen, die die Lebensqualität stark reduzieren. Dabei geht es ja nicht nur um Hitzewallungen. Symptome können auch Depressionen sein oder Gelenkschmerzen und in weiterer Folge Osteoporose und Gedächtnisprobleme. Frauen, die keine Symptome haben, die sie beeinträchtigen, brauchen allerdings keine Hormone. Die Menopause ist keine Krankheit.

Aber sich jung fühlen will doch jeder, ist das keine gute Motivation für eine Hormontherapie?

Klar können sich Frauen durch Hormonpräparate mehr Vitalität und Jugendlichkeit erhalten. Das ist wirklich positiv, wenn man sich das wünscht. Aber ewige Jugend gibt es auch so nicht. Die Menopause ist für Frauen ein untrügliches Zeichen, dass ein gewisses Alter erreicht ist. In manchen Kulturen ist das ein Grund zum Feiern, etwa in Teilen Indiens. Die Frauen sind froh, dass sie nicht mehr ständig Kinder gebären müssen. Ihr Status in der Gesellschaft verbessert sich.

Warum?

In traditionellen Gesellschaften, etwa in Indien, werden junge Frauen oft bevormundet, beispielsweise von den Eltern oder Schwiegereltern. Sie werden dazu gedrängt, zu Hause zu bleiben, und ihnen wird kaum Freiraum gelassen. Außerdem wird die Menstruation oft als unrein angesehen. Doch mit deren Ende werden Frauen weniger geächtet und können sozial aufsteigen. In früheren Zeiten gab es etwas Ähnliches auch in Mitteleuropa. Es gibt Berichte, dass in Klöstern Nonnen nach der Menopause die Kommunion austeilen durften. Das war etwas, das sonst Männern vorbehalten war.

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