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Evolution: Primaten im Pirouetten-Rausch

Manche Tiere mögen ab und zu eine Bewusstseinsveränderung und beschwipsen sich etwa mit fermentierten Früchten. Menschenaffen haben wohl das schnelle Drehen für sich entdeckt.
Porträt eines Orang-Utans, der über Kopf ist
Menschenaffen wie Orang-Utans sind für ihre Spielfreude bekannt. Im Spiel lernen beispielsweise die Jüngeren motorische Fähigkeiten, die für Kampf und Flucht wichtig sind.

Nicht nur Menschen entfliehen gerne ihrem Alltag, indem sie bewusstseinsverändernde Substanzen zu sich nehmen. Von Delfinen heißt es, sie würden sich an Kugelfischen beschwipsen, und auch Menschenaffen essen fermentierte Nahrung, die Alkohol enthält. Doch es geht auch ohne Drogen, zumindest berichten das Adriano Lameira von der University of Warwick und Marcus Perlman von der University of Birmingham.

Die Wissenschaftler sichteten 40 Youtube-Videos, in denen sich unsere nächsten Verwandten, Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos, an ein Seil oder eine Liane hängten, um sich dann schnell um die eigene Achse zu drehen. Die Aufnahmen stammen sowohl von in Gefangenschaft als auch in der Wildnis lebenden Hominiden. In drei von vier Fällen setzte oder legte sich das Tier direkt danach hin, was darauf hindeutet, dass ihnen tatsächlich schwindelig wurde. Ein weiteres Indiz dafür sei der Vergleich mit menschlichen Drehexperten wie den tanzenden Derwischen. Während der rituellen Kreisbewegungen verfallen die muslimischen Sufisten in einen Trancezustand. Dabei drehen sie sich ungefähr so schnell wie die Menschenaffen in den Videos.

Orang-Utan dreht sich schwindelig

Reicht die Auswertung von zusammengesammelten Internetvideos, um eine neue Art des tierischen Rausches auszurufen? Lameira und Warwick schreiben, davon solle sich jeder selbst überzeugen. »Zur sofortigen Überprüfung« laden sie dazu ein, die akrobatischen Einlagen der Primaten nachzuahmen. Diese drehten sich im Schnitt dreimal hintereinander für fünf Umdrehungen – bei einer Geschwindigkeit von eineinhalb Umdrehungen pro Sekunde.

Laut den Forschern könnten die Erkenntnisse die Rolle von Rauschzuständen bei der Entwicklung des menschlichen Geistes besser erklären. »Es könnte sehr gut sein, dass wir schon bewusstseinsverändernde Erfahrungen gesucht und gemacht haben, bevor wir überhaupt moderne Menschen waren«, so Lameira. »Jede Kultur hat einen Weg gefunden, der Realität durch spezielle Rituale, Praktiken oder Zeremonien zu entkommen. Diese menschliche Eigenschaft ist historisch und kulturell so universell, dass die faszinierende Möglichkeit besteht, dass wir das von unseren evolutionären Vorfahren geerbt haben.« Auch könne ein Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit bestehen, da die Primaten meist in Gefangenschaft lebten und sich möglicherweise langweilten. Die Drehungen seien vielleicht der Versuch, ihre Sinne auf irgendeine Weise zu stimulieren.

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