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News: Mentales Verkehrschaos

Diese Linie, dieser Schwung, diese Eleganz - so schwärmen die beiden am Nachbartisch. Doch nicht etwa über den neuesten Filmstar: Es geht um ein Automodell. Kein Wunder, dass bei solcher Begeisterung selbst das Gehirn durcheinander gerät.
Der Kombi war grün, hatte vorne zwei Türen, dunkle Scheiben und eine Anhängerkupplung. Welche Marke, welches Modell? Ein Achselzucken, keine Ahnung.

Autoliebhaber könnten über diese Beschreibung nur lächeln. Welchen besonderen Stellenwert der vierrädrige Untersatz in ihrem Leben einnimmt, zeigt sich auch in ihrer ganz anderen Betrachtungsweise der Lieblingsobjekte: Sie scheinen dafür jene Gehirnregion zu benutzen, die sonst für das Erkennen von Gesichtern zuständig ist – eine Eigenart, die sie mit Vogel- und Hundeexperten teilen, wie entsprechende Tests seitens Isabel Gauthier von der Vanderbilt University und ihrer Kollegen in den letzten Jahren zeigten.

Das Bemerkenswerte daran ist, dass sie damit diese Objekte womöglich ganz anders wahrnehmen als Menschen, welche die Leidenschaft nicht teilen. Denn Gesichter erfassen wir nicht als zusammengesetztes Puzzle von Einzelinformationen, sondern als Ganzes auf einen Blick, bei dem Augen, Nase, Mund und Ohren eine untrennbare Einheit bilden. Ist für diese Menschen ein Auto also auch mehr als ein Bausatz von Rädern, Karosserie, Scheiben und Stoßstangen? Oder benutzen sie doch andere neuronale Schaltkreise für das Erkennen des fahrbaren Untersatzes, und die Aktivität an derselben Stelle zeugt nur von unmittelbarer Nachbarschaft getrennter Prozesse?

Der ganzheitliche Blick sollte sich dann am besten offenbaren, wenn sich das zuständige Gehirnareal gleichzeitig mit mehreren Prozessen beschäftigen muss und dabei Konflikte auftreten – zum Beispiel bei einem Fotoalbum von der letzten Autoausstellung, für das neben den neuesten Modellen auch die gesamten Vorführdamen abgelichtet wurden.

Und so präsentierten Gauthier und ihre Kollegen 40 Versuchspersonen – darunter 20 Autoexperten – auf einem Bildschirm abwechselnd Bilder von Gesichtern und von Autos. Die Freiwilligen mussten jeweils per Tastendruck bestätigen, ob das neue Bild dasselbe Objekt zeigte wie das vorangegangene. Um zu kontrollieren, ob die Teilnehmer das Bild im Ganzen – also wie ein Gesicht – erfassen, stellten die Wissenschaftler manchmal die obere Hälfte des Bildes umgedreht dar. Und während den Teilnehmern die Köpfe rauchten, griffen die Forscher mittels Elektroden auf der Kopfhaut die Gehirnwellen ab.

Und tatsächlich gerieten die Autofans in Schwierigkeiten: Zwar erkannten sie jedes ihrer Lieblingsobjekte auf vier Rädern sofort und auch als Ganzes, doch beim Anblick der Gesichter von Zweibeinern kamen sie plötzlich ins Schwimmen – und zwar direkt beim ersten Blick. Es handelt sich also um einen Konflikt bereits in der ersten Phase der Bildverarbeitung, die noch nicht von bewussten Prozessen beeinflusst wird.

Das mentale Verkehrschaos zeigt, dass jenes so genannte fusiforme Gesichtsareal wohl doch für mehr Aufgaben zuständig ist als nur die Gesichtserkennung. Gern gesehene und gut einstudierte Objekte finden hier offenbar ebenfalls ihren Platz, und mal wieder gilt: Allein die Übung macht's. Dann bekommt der grüne Kombi beim nächsten Versuch vielleicht auch den richtigen Markennamen zugewiesen.

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