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Psychische Krankheiten: Merkwürdig nicht durch Blindheit

Brauen, Mund und Augen - mehr brauchen die meisten von uns nicht zu sehen, um das Gesicht eines Gegenübers als traurig, wütend oder froh zu erkennen. Aber die, denen das nicht gelingt - fehlt ihnen der Zugang zu jeder Emotion?
Fangen wir einmal nicht mit dem Vorzeige-Hollywood-Autisten "Rain Man" an, seinen Schwierigkeiten mit anderen Menschen oder seinen unglaublichen intellektuellen Leistungen in abseitigen Spezialgebieten. Machen wir stattdessen eine andere Schublade auf – hinein kommen Rain Man und alle frühkindlichen Autisten der Welt, dazu die Personen mit Asperger-Syndrom und Patienten mit SEPD, der "sozio-emotionalen Verarbeitungsstörung". Und noch ein paar andere, die auf die eine oder andere Weise mehr oder weniger Probleme damit haben, mit "Gesunden" "normal" zu kommunizieren oder ein übliches Maß an sozialem Umgang zu pflegen. Die Schublade sollte ziemlich geräumig sein. Vielleicht könnte "Schwere und leichte soziale Entwicklungsstörungen" draufstehen. Aber was haben die verschiedenen Schubladeninsassen eigentlich gemeinsam? Ist so ein Sammelsurium überhaupt sinnvoll?

Individuelle Gesichter auseinander zu halten und Emotionen zu erkennen ist nicht dasselbe | Die Bilderserie aus computertechnich veränderten Gesichtern verdeutlicht welche Unterschiede bei der Wahrnehmung von individuellen Gesichtern (sie wandeln sich von oben nach unten) und Emotionen (von links nach recht verschieden) bestehen. Ähnlich unterschiedliche Bilder wurden im Versuch auch den Kandidaten zur Einschätzung präsentiert.
Rebecca Heftner, Jason Barton und ihre Kollegen finden schon. Die Forscher von der Harvard Medical School haben versucht zu ergründen, worauf die auffälligen Schwierigkeiten rühren, die Menschen mit derart unterschiedlich stark ausgeprägten autistischen Zügen beim Umgang mit Anderen haben. Zu diesem Zweck luden sie 41 sehr unterschiedliche freiwillige Erwachsene zu einem Wahrnehmungstest. Zu erkennen galt es Gesichtsausdrücke und Gesichtszüge von Berühmten und Unbekannten – und zudem Stimmen und Körperhaltungen mit wechselndem emotionalen Anstrich.

Unter den Kandidaten fanden sich Menschen mit schwachen und stark ausgeprägten sozialen Entwicklungsstörungen und 15 Personen ohne auffällige Verhaltensdefizite als Kontrollgruppe. Letztere versagten höchstens aus Unkenntnis gelegentlich beim Erkennen eines offenbar doch nicht so ganz berühmten Gesichtes und ordneten auch die dargebotenen emotional gefärbten Gesichter, Stimmen und Körperhaltungen zumeist treffend ein.

Bei sechzehn verhaltensbeeinträchtigten Probanden bestätigte das Experiment dann Bekanntes: Empathie für die Gefühlslage eines Gegenübers ist für Autisten, Asperger-Patienten und andere sozial Entwicklungsgestörte schwierig bis unmöglich – je nach Schwere des jeweiligen Problems. Hochinteressant dagegen das Ergebnis bei zehn Kandidaten, die zwar die präsentierten Prominenten problemlos erkannten, zugleich aber typisch bei den Versuchen versagten, Stimmungslagen an Gesicht, Haltung oder Stimmlage wahrzunehmen.

Dieses Ergebnis nimmt einer noch weit verbreiteten Hypothese Wind aus den Segeln: Offenbar ist die Fähigkeit, verschiedene Gesichter unterscheiden zu können nicht per se verknüpft mit jener, Emotionen des Gegenübers einordnen und verstehen zu können. Anders ausgedrückt: Nicht an der Fähigkeit Gesichter zu lesen scheitern Personen mit einer sozialen Entwicklungsstörung, sondern daran, emotionale Inhalte wahrzunehmen, zu bewerten oder zu verstehen.

Dass ein Problem der Gesichtsblindheit mit autistische Züge einhergeht, war bereits vor einiger Zeit erstmals vermutet worden. Damals hatten Forscher beobachtet, dass einige Kinder mit frühkindlichem Autismus offenbar nicht in der Lage waren, die Gesichter ihrer Mütter zu erkennen – nun kann eher angenommen werden, dass sie das mütterliche Antlitz durchaus als bekannt einstufen, ihm aber keinen besonderen emotionalen Status zuschreiben können.

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