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Microgreens: Minigemüsegarten für die Fensterbank

Gemüse züchten ohne Garten oder Balkon? Microgreens machen es möglich. Die Sämlinge lassen sich nicht nur Platz sparend anbauen, sondern sind auch äußerst nährstoffreich.
Minigemüsegarten auf Fenstersims

Wer Salat, Käsebrot oder Suppe mit einer Extraportion an Vitaminen und Mineralstoffen versehen oder einfach nur optisch ein wenig aufpeppen will, greift heutzutage zu »Microgreens«. Die Pflanzenwinzlinge werden wegen ihres bunten Äußeren auch als Veggie-Konfetti bezeichnet.

Im Gegensatz zu Kräutern, Gemüse oder Getreide, das auf herkömmlichem Wege angebaut wird, erntet man Microgreens bereits nach wenigen Tagen. Ihre Aufzucht ist nicht nur schnell, sondern gelingt in aller Regel auch Platz sparend auf der heimischen Fensterbank. Selbst Menschen ohne Garten oder Balkon können so täglich frisch geerntete Lebensmittel genießen.

Die Idee hinter den Microgreens klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Doch wissenschaftliche Studien zeigen, dass sie tatsächlich viele Vorteile bieten. Zwar können sie herkömmliche Kräuter und Gemüse am Ende nicht ersetzen – unter bestimmten Bedingungen aber dennoch eine sinnvolle Ergänzung für unseren Speiseplan darstellen.

Themenwoche Gärtnern

In Zeiten der Pandemie sind Natur und Garten für viele Menschen zu einem wichtigen Rückzugsort geworden. Warum tun Pflanzen uns gut? Wie kann jeder und jede Einzelne die Umwelt beim Gärtnern schützen? Und welche Trends gibt es derzeit beim Anbau? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert »Spektrum.de« in einer Themenwoche. Mit dabei: praktische Tipps für Menschen, die bislang an der Pflanzenpflege verzweifelt sind.

Was sind eigentlich Microgreens?

Der Trend um die Microgreens entstand bereits Ende der 1980er Jahre in den USA. In den vergangenen Jahren sind sie aber auch hier zu Lande immer populärer geworden. Unter der Bezeichnung Microgreens werden die Sämlinge von verschiedenen Gemüse-, Getreide- oder Kräutersorten zusammengefasst, die auf Anzucht- oder Komposterde beziehungsweise auf anderem Substrat herangezogen werden. Im Gegensatz zu Sprossen haben sie außer den beiden Keimblättern bereits mindestens zwei weitere »echte« Blätter entwickelt. Ist der Sämling zwischen einer und zwei Wochen alt sowie etwa fünf bis zehn Zentimeter lang, wird er fingerbreit über dem Boden abgeschnitten und kann anschließend roh verzehrt werden. Das sollte rasch geschehen: Die Lagerfähigkeit von Microgreens beträgt nur zwei bis allerhöchstens fünf Tage.

Besonders häufig kommen die Sämlinge von Linsen, Soja, Brokkoli, Alfalfa, Radieschen, Sonnenblume, Kresse, Kürbis, Mungobohne oder Schnittlauch als Microgreens zum Einsatz. Microgreens sind nämlich nicht nur wegen ihres Gehalts an Mikronährstoffen beliebt, sondern auch wegen ihrer Farben, Texturen und ihres Geschmacks. Dieser kann je nach Sorte von scharf bis nussig-süßlich reichen. Der Vielfalt sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Manche Hülsenfrüchte enthalten allerdings Stoffe, welche die Gesundheit gefährden können und beim Keimen nur teilweise abgebaut werden. Experten raten daher davon ab, Gartenbohnen- oder Kichererbsenkeimlinge zu verzehren.

Fans werden nicht müde, die Vorteile der »Zwölf-Tage-Kräuter« zu betonen: So lassen sie sich das ganze Jahr über anbauen, können vom Verbraucher an Ort und Stelle produziert werden und enthalten im Vergleich zu anderen Stadien der Pflanzenentwicklung die höchste Konzentration an Nährstoffen pro Kalorie. Auf Letzteres deutet etwa eine Forschungsarbeit von Carolyn Weber von der US-amerikanischen Idaho State University aus dem Jahr 2017 hin. Die Biologin entdeckte, dass sich in den Sämlingen des Brokkoli im Vergleich zum reifen Gemüse deutlich mehr Mineralstoffe befinden. Gleichzeitig benötigen die Pflanzenwinzlinge 94 Prozent weniger Zeit, 200-mal weniger Wasser, keinen Dünger sowie keine Pestizide oder eine energieaufwändige Transportkette, wenn sie auf der heimischen Fensterbank angebaut werden.

Unabhängig davon, auf welchem Substrat Carolyn Weber ihre Brokkolisämlinge anzüchtete, hatten Microgreens einen höheren Gehalt an Magnesium, Mangan, Kupfer und Zink als das reife Gemüse. Kultivierte die Biologin die Microgreens auf Komposterde, war die Konzentration der Mineralstoffe Phosphor, Kalium, Kalzium, Magnesium, Mangan, Eisen, Zink und Natrium beispielsweise 1,7-mal so hoch wie in herkömmlichem Brokkoli.

Kleine Vitaminbomben

Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen 2019 Agrarforscher um Antonio Cilla von der Universität Valencia. Die Wissenschaftler prüften im Rahmen ihrer Studie nicht nur den Gehalt an Mineralstoffen und antioxidativen Substanzen in Brokkoli-, Grünkohl-, Radieschen- und Senfsämlingen. Sie testeten auch, wie hoch die Bioverfügbarkeit dieser wichtigen Stoffe ist. Denn bei Nahrungsmitteln kommt es nicht nur darauf an, wie viel sie von etwas enthalten. Wichtig ist ebenso, dass solche Inhaltsstoffe in einer Form vorliegen, in der sie vom Körper gut aufgenommen werden können.

Mineralstoffe, Vitamin C, Polyphenole und andere pflanzliche Antioxidanzien seien nicht nur in größeren Mengen in den Microgreens enthalten, sondern hätten auch eine hohe Bioverfügbarkeit, so das Fazit der spanischen Forscher. Der Gehalt an Gesundem variierte allerdings – bei den Sämlingen wie bei dem reifen Gemüse – von Sorte zu Sorte sowie je nach Anzuchtbedingung. So enthielt Brokkoligemüse beispielsweise 13 bis 110 Milligramm Vitamin C je 100 Gramm Frischgewicht. Die Sämlinge kamen unter den gewählten Bedingungen in der Untersuchung auf 51 Milligramm je 100 Gramm Frischgewicht.

Der Gehalt an Gesundem variiert von Sorte zu Sorte sowie je nach Anzuchtbedingung

Cilla und seine Kollegen vermuten, dass der Verzehr von Microgreens dank ihrem hohen Anteil an Antioxidanzien und anderen bioaktiven Stoffen die Gesundheit positiv beeinflusst. Das könnte vor allem für den Verdauungstrakt gelten: Zumindest im Labor hemmen Vitamine, Polyphenole, Glucosinolate und Carotinoide das Wachstum von Darmkrebszellen.

Bei anderen Nährstoffen liegen die reifen Gemüsesorten vorne. So ermittelten Forscher aus Italien und Zypern zwar größere Mengen an Kalzium, Magnesium und Polyphenolen in den Sämlingen von Salatpflanzen (Lactuca sativa). Antioxidanzien wie Betacarotin, Chlorophyll oder Lutein kamen hingegen in den ausgereiften Salatblättern in höheren Konzentrationen vor.

Die Menge an bioaktiven Inhaltsstoffen schwankt zudem je nach Untergrund, auf dem die Pflänzchen wachsen. So empfiehlt ein Team von der Universität Neapel etwa, Koriander, Kohlrabi und Pak Choi am besten auf einem organischen Untergrund wie Torfmoos keimen zu lassen. In ihrer Untersuchung betonen die Wissenschaftler auch, wie wichtig es sei, bei professionellem Anbau auf einen niedrigen Gehalt an Nitrat in der Nährlösung oder im Substrat zu achten, damit Microgreens nicht zu einer erhöhten Aufnahme des Stoffs beitragen. Nitrat ist ein wichtiger Nährstoff für Pflanzen. Im menschlichen Körper wird er aber mitunter in Nitrit umgewandelt, welches im Verdacht steht, in großen Mengen Krebs erregend zu sein.

Sinnvolle Ergänzung, aber kein Ersatz

»Microgreens sind kein Ersatz für Gemüse«, sagt Harald Seitz vom Bundeszentrum für Ernährung in Bonn. Auch als »Superfood« würde er die Sämlinge nicht bezeichnen. Der Gehalt an wertvollen Inhaltsstoffen sei zwar hoch. Doch um auf die gleiche Menge an Mikronährstoffen zu kommen, die in herkömmlichem Gemüse enthalten ist, müsste man Unmengen davon zu sich nehmen. »Und wer isst schon 200 Gramm Sämlinge?«

Der Experte betrachtet Microgreens deshalb eher als gesunde Würzstoffe. Den Trend findet er dennoch gut: »Was gibt es Schöneres, als sich Essbares auf der eigenen Fensterbank anzupflanzen? Frischer geht es nicht!«

Um die Keimbelastung möglichst gering zu halten, empfiehlt es sich, die Sämlinge nach dem Ernten – ähnlich wie normales Gemüse auch – gründlich zu waschen und rasch zu verzehren. Wie mikrobiologische und molekularbiologische Untersuchungen zeigen, können Sprossen und Keimlinge durchaus einen Nährboden für krank machende Bakterien und Mikroorganismen bilden. Das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit rät deshalb Personen mit einer geschwächten Immunabwehr sowie Kindern, Senioren und Schwangeren sicherheitshalber vom rohen Verzehr ab.

Microgreens: Tipps für den Anbau zu Hause

  • Kaufen Sie geprüftes Saatgut vom Fachhändler, um das Risiko für eine mikrobielle Belastung möglichst gering zu halten. Gut als Microgreens anbauen lassen sich zum Beispiel Linsen, Soja, Brokkoli, Alfalfa, Radieschen, Sonnenblume, Kresse, Kürbis, Mungobohne oder Schnittlauch.
  • Nutzen Sie für den Anbau von Microgreens am besten Anzucht- oder Komposterde. Normale Garten- oder Balkonerde enthält zu viel Dünger: Die Sämlinge werden dadurch unter Umständen gelb.
  • Füllen Sie die Erde etwa zwei Zentimeter hoch in Anzuchtschalen. Diese sind idealerweise mit kleinen Löchern versehen, damit das Wasser gut abfließen kann.
  • Verteilen Sie die Saat großzügig und halten Sie den Boden mit frischem Leitungswasser feucht.
  • Manche Pflanzen keimen bei Licht, andere bei Dunkelheit. Decken Sie Erstere in den ersten vier bis sechs Tagen mit Klarsichtfolie ab. Für die Dunkelkeimer verwenden Sie hingegen eine lichtdichte Abdeckung.
  • Lüften Sie die Schälchen zwei- bis dreimal am Tag, um Schimmelbildung vorzubeugen.
  • Nach 10 bis 14 Tagen können Sie die Sämlinge ernten. Schneiden Sie die zarten Pflänzchen dafür mit der Schere fingerbreit über dem Boden ab. Bis auf wenige Ausnahmen (etwa Weizengras) wachsen die Pflänzchen nach der Ernte nicht nach. Man muss sie deshalb anschließend neu aussäen.

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