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Microlauncher: Das große Geschäft mit den kleinen Raketen

Immer kleinere Satelliten brauchen immer kleinere Raketen. Start-ups aus aller Welt, darunter mehrere deutsche Unternehmen, entwickeln Microlauncher. Doch die Konkurrenz ist groß.
Etwas größer als dieses Spielzeugmodell sind die neuen Raketentypen schon, aber früh übt sich die Begeisterung

Bus oder Taxi? Einfach und günstig reisen oder teuer und bequem? Die Entwickler kleiner, neuer Satelliten stellen sich derzeit genau diese Fragen – allerdings nicht für die Fahrt zum Startplatz, sondern für den Transport ihrer Satelliten ins All: Sollen sie auf bewährte große Raketen setzen, die – wie ein voll besetzter Fernbus – viele Minisatelliten auf einmal in eine Erdumlaufbahn bringen? Oder sollen sie neuen kleinen Raketen vertrauen, die mit flexiblen Ausflügen ins All werben und rund um den Globus entwickelt werden?

Einige dieser so genannten Microlauncher fliegen bereits, zahlreiche andere sind in den letzten Zügen ihrer Entwicklung, auch drei deutsche Start-ups mischen mit. Sie alle versprechen zielgerichtete und ziemlich spontane Abstecher in den gewünschten Orbit. Und sie alle hoffen auf den großen Durchbruch ihrer Taxidienste. So einfach wird das allerdings nicht, denn die etablierten Raketenbauer überarbeiten ebenfalls ihre Routen und Vehikel. Das große Geschäft mit den kleinen Satelliten ist attraktiv.

Vieles in dieser neuen Raumfahrtwelt ist noch unklar, eines steht jedoch außer Frage: Der Satellitenmarkt verändert sich massiv. Bis vor wenigen Jahren wurde er dominiert von dicken Brummern – von riesigen Telekommunikations- und Erdbeobachtungssatelliten, mitunter so groß wie ein Minibus und beim Start meist einige Tonnen schwer. Heutzutage sind Leichtgewichte angesagt: Von den etwa 500 Satelliten, die 2019 ins All starteten, hatten nach Berechnungen des Bundesverbands der Deutschen Industrie rund 400 Satelliten eine Masse von weniger als fünf Kilogramm. Aber auch darüber, im Bereich von 100 oder 200 Kilogramm, werden immer mehr Späher gestartet.

Trend zur Miniaturisierung und Schwarmbildung

Möglich macht das die Miniaturisierung, die längst auch elektrische und optische Raumfahrtkomponenten erfasst hat. Zudem lockt ein neues Geschäftsmodell: Haben früher wenige große Satelliten in knapp 36 000 Kilometer Höhe die komplette Erde abgedeckt, übernehmen dies nun hunderte oder gar tausende Satelliten auf niedrigeren Bahnen – in so genannten Konstellationen.

Das US-Unternehmen Planet betreibt zum Beispiel eine Flotte aus knapp 400 Satelliten von der Größe einer Schuhschachtel, die täglich ein Bild von jedem Punkt auf der Landmasse der Erde liefern. Das Raumfahrtunternehmen SpaceX will mit tausenden Starlink-Satelliten, von denen jeder so groß ist wie eine Minibar, Internet in den hintersten Winkel der Erde bringen. Andere Betreiber möchten mit ihren Konstellationen Schiffe überwachen, Radarbilder liefern oder Daten von Sensoren einsammeln, die alle Bereiche des Lebens vernetzen sollen – von der Ölplattform bis hin zur entlegenen Farm. So unterschiedlich diese Satelliten sein mögen, allen ist eines gemein: Aktuelle Raketen wie Europas Ariane 5, die auf einen Schlag mehr als 20 Tonnen ins All wuchten können, sind für sie viel zu groß.

»Der Trend geht eindeutig weg von wenigen großen zu vielen kleinen Satelliten«, sagt auch Marco Stemer, Leiter des Bereichs Raketen bei Isar Aerospace. Das Start-up aus Ottobrunn, unweit von München, ist eines der zahlreichen neuen Unternehmen, die kleine Raketen für immer kleinere Satelliten entwickeln. Allein der New Space Index, eine Initiative des Ingenieurs Erik Kulu, listet derzeit mehr als 110 kleine Raketenprojekte in unterschiedlichen Stufen ihrer Entwicklung auf. Darunter sind neben Isar Aerospace auch zwei weitere, durchaus vielversprechende Kandidaten aus Deutschland: HyImpulse aus dem württembergischen Neuenstadt am Kocher sowie die Rocket Factory Augsburg (RFA).

»Das System wird nicht weniger komplex, nur weil die Rakete kleiner ist«
Marco Stemer, Leiter des Bereichs Raketen bei Isar Aerospace

Ist der Bau kleiner Raketen also keine Raketenwissenschaft mehr? Stemer schüttelt den Kopf: »Das System wird nicht weniger komplex, nur weil die Rakete kleiner ist.« Einfacher seien lediglich Handling und Fertigung des Projekts: Tanks können aus einem Bauteil hergestellt werden, aufwändiges Verschweißen entfällt. Tests benötigen weniger Sicherheitsauflagen und können schneller umgesetzt werden. Viele Entwickler von Kleinraketen setzen zudem auf neuartige Materialien und Technologien wie Kohlefaser oder 3-D-Druck. Billig sind diese Ansätze und schnell, sie lassen sich bislang aber nur bei vergleichsweise kleinen Raketen umsetzen. »Was die Größe solcher Komponenten angeht, bewegen wir uns am oberen Ende des momentan Machbaren«, sagt Stemer.

Experimentierfreudig zeigen sich die Start-ups ebenfalls bei den Treibstoffen ihrer Raketen. Jahrzehntelang waren Kerosin oder Wasserstoff erste Wahl, verbrannt mit flüssigem Sauerstoff. Kerosin liefert jedoch nur einen begrenzten Schub, und flüssiger, eiskalter Wasserstoff ist schwer zu handhaben. Mehr und mehr geht der Trend daher zu leichten Kohlenwasserstoffen wie Methan. Auch Isar Aerospace und die Rocket Factory Augsburg gehen in diese Richtung, schweigen sich über die genaue Zusammensetzung ihres Treibstoffs allerdings aus. Rocket Factory setzt zudem auf ein neuartiges Triebwerkskonzept, das gestufte Verbrennung genannt wird und das derzeit auch SpaceX für die Raptor-Triebwerke einer geplanten Mondrakete erprobt.

HyImpulse will einen anderen Weg einschlagen: Die Rakete des Unternehmens, einst eine Ausgründung aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), soll von Paraffin angetrieben werden, einem leicht zu handhabenden Feststoff. Im vergangenen September erwachte das Triebwerk erstmals zum Leben. Isar Aerospace baut derweil im schwedischen Kiruna einen Teststand für den Antrieb seiner Spectrum-Rakete. Im März werde er in Betrieb genommen, sagt Stemer. Auch die Augsburger Raketenbauer sind in Kiruna aktiv. Kommendes Jahr wollen schließlich alle drei Unternehmen zum ersten Mal ihre Raketen starten – so zumindest lauten die ambitionierten Pläne.

Große Konkurrenz bei kleinen Raketen

Die Konkurrenz ist allerdings schon weiter. Als Vorreiter bei kleinen privaten Raketen gilt seit Jahren Rocket Lab. 18 Starts hat die Electron-Rakete des US-Unternehmens bereits absolviert, 16 davon waren erfolgreich. Mittlerweile experimentiert Rocket Lab sogar mit Fallschirmen, um Teile der Rakete zurückzubringen und später wiederverwenden zu können – eine Fähigkeit, von der die anderen Start-ups weit entfernt sind. Die Electron kann allerdings nur 300 Kilogramm ins All bringen – weniger als die Raketen von HyImpulse (500 Kilogramm), Isar Aerospace (etwa 1000 Kilogramm) und RFA (bis zu 1500 Kilogramm). Doch auch in der 1000-Kilogramm-Klasse tut sich einiges: Mitte März will das US-Unternehmen Firefly seine neue Rakete erstmals starten, Relativity Space aus Kalifornien möchte im Herbst nachlegen. Viele weitere wollen folgen.

»Wir werden die Ersten sein, die mit einer privat entwickelten Rakete in Europa starten«
Marco Stemer, Leiter des Bereichs Raketen bei Isar Aerospace

Sind die deutschen Raketenbauer also zu spät dran? »Nein, wir kommen genau zum richtigen Zeitpunkt«, behauptet Marco Stemer. Die US-Unternehmen seien zwar etwas weiter, »sie sind aber auch sehr beschränkt auf den amerikanischen Markt«. Und der ist etwas speziell: Wer seine Satelliten von den USA aus starten will, unterliegt strengen Auflagen, insbesondere hinsichtlich der Rüstungskontrolle, ITAR genannt. Die Vorgaben zu erfüllen, gilt als langwierig und teuer, »ITAR-frei« ist in der internationalen Raumfahrt daher längst zum Qualitätssiegel geworden. »Da kommen wir ins Spiel«, sagt Stemer selbstbewusst. »Wir werden die Ersten sein, die mit einer privat entwickelten Rakete in Europa starten.« Kampflos geben die US-Unternehmen den europäischen Markt trotzdem nicht auf: Das kalifornische Start-up ABL hat kürzlich zum Beispiel angekündigt, ab kommendem Jahr von den Shetland-Inseln starten zu wollen.

Konkurrenz droht auch von anderer Seite: Die großen Raketenbauer haben ihr Herz für kleine Satelliten entdeckt. 143 Minispäher brachte SpaceX Ende Januar auf einen Schlag ins All, ein Weltrekord. »Rideshare« heißt das Konzept, bei dem sich viele, meist sehr kleine Satelliten einen Start teilen. Agenturen vermitteln die freien Plätze – ähnlich einer Mitfahrzentrale. Bei SpaceX, das solche Mitfluggelegenheiten zum Kampfpreis von einer Million Dollar für bis zu 200 Kilogramm anbietet, lässt sich das Angebot sogar online per Kreditkarte buchen: 5000 Dollar werden als Anzahlung abgebucht. Erstattung ausgeschlossen.

Rideshare hatte bislang allerdings keinen guten Ruf. Das Angebot ist zwar billig, dafür werden alle mitgenommenen Satelliten an derselben Haltestelle abgesetzt: in gleicher Höhe und in einer identischen Umlaufbahn. Muss ein Satellit anschließend seinen Orbit ändern, benötigt er dafür viel Energie – also schweren und teuren Treibstoff. Doch auch hier scheint Abhilfe in Sicht: Mehrere Start-ups entwickeln derzeit raketenbetriebene Schlepper, die eine Hand voll Satelliten – ähnlich einem Sammeltransport – von ihrer Absetzstelle in besser geeignete Umlaufbahnen bugsieren sollen.

Taxis versus Sammeltransport

Ein Problem für die neuen Taxis? »Ich würde nicht sagen, dass wir damit konkurrieren«, sagt Marco Stemer und rechnet vor: 50 bis 200 Kilogramm wiegt ein typischer Konstellationssatellit, sechs bis zwölf sind pro Umlaufbahn nötig. Die Größenordnung von 600 bis 1200 Kilogramm ist genau die Klasse der Spectrum.

So sucht jeder der neuen Anbieter nach seiner Nische, nach seinem Geschäftsmodell. Noch spielen die Investoren mit. Während hinter der Rocket Factory Augsburg mit OHB eines der größten Raumfahrtunternehmen Deutschlands steckt, hat Isar Aerospace im Dezember eine neue Finanzierungsrunde abgeschlossen. Mehr als 100 Millionen Dollar stehen dem Unternehmen nun nach eigenen Angaben zur Verfügung. »Wir haben all das Geld, das wir brauchen, um unsere erste Rakete zu starten«, sagt Marco Stemer.

Finanzielle Unterstützung gibt es zudem von der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, die einen Microlauncher-Wettbewerb ausgeschrieben hat – auf deutsche Initiative und zugeschnitten auf die drei deutschen Start-ups. Elf Millionen Euro erhält, wer es in die nächste Wettbewerbsrunde schafft. Neben dem Geld zählt für Stemer aber vor allem, dass die Europäer, die bislang viele Milliarden Euro in staatliche Raketen wie die Ariane gesteckt haben, nun auch die private Raumfahrt fördern. »Das ist ein Zeichen, das wir lange vermisst haben«, sagt der Isar-Aerospace-Ingenieur. »Denn Wettbewerb ist etwas, das wir alle begrüßen sollten: Es treibt uns dazu, die besten Produkte zu entwickeln.« Und sei es ein Taxi ins All.

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